Aus den Feuilletons

Warum die Panik, ihr Ja-Sager?

Der türkische Präsident Erdogan winkt seinen Anhängern in Istanbul zu.
Der türkische Präsident Erdogan wirbt vor Anhägern in Istanbul für das geplante Verfassungsreferendum. © AP / Yasin Bulbu l/ Presidential Press Service
Von Adelheid Wedel |
Der türkische Journalist Can Dündar berichtet in seiner "Zeit"-Kolumne verstörende Dinge aus dem Wahlkampf um das Verfassungsreferendum. Erdoğans Anhänger würden sich zu "blutigen Drohungen" versteigen, da die Nein-Sager in den Umfragen derzeit vorn lägen.
"Nichts deutete in ihrer Kindheit daraufhin, dass sie eines Tages allein in einer norddeutschen Kirche sitzen würde", erfahren wir in CHRIST & WELT aus dem Leben von Mariam, einer aus Syrien Geflüchteten. Mareike Enghusen bringt uns das Schicksal der 28-jährigen Frau nahe, "die nicht nur vor dem Krieg geflohen ist, sondern auch vor ihrem Bruder, ihrem Onkel und den anderen Menschen, die geschworen haben, sie umzubringen. Denn Mariam" – so der geänderte Name – "ist vom Islam zum Christentum konvertiert, nicht erst in Deutschland, sondern schon vor Jahren, daheim in Syrien. Und wer das tut, verdient in den Augen jener Menschen, mit denen sie aufwuchs den Tod."
Seit zweieinhalb Jahren lebt Mariam in Deutschland, sie engagiert sich ehrenamtlich für Flüchtlinge, begleitet sie auf Ämter, übersetzt Dokumente. Die meisten Menschen, denen sie hilft, sind Muslime. Sie akzeptieren Mariam als Christin, "aber sie sollen nicht wissen, dass sie selbst einmal Muslimin war." Sie weiß, "auch in Deutschland wurden schon Flüchtlinge, die zum Christentum konvertierten, von ihren früheren Glaubensbrüdern bedroht." Laut CHRIST & WELT genießt Mariam ihre Freiheit in einer deutschen Großstadt, sie hat schnell Deutsch gelernt und einen Job in einer Schule gefunden. Ein Jahr noch möchte sie arbeiten, "danach will sie sich an der Uni für einen Master einschreiben. Ihre derzeitige Aufenthaltsgenehmigung läuft bis Ende 2018. Den Gedanken an die Zeit danach schiebt sie weit fort" – als einzige Möglichkeit bleibt ihr die Hoffnung, ein christliches Hoffen.

Eine Aufspaltung der Türkei?

In seiner wöchentlichen Kolumne in der ZEIT informiert Can Dündar aktuell über die Krise in der Türkei. Es sind verstörende Nachrichten. Dündar zitiert "die Prophezeiung, dass sich die Türkei in zwei Nationen, in eine islamische und eine säkulare", aufspalten wird. Diese beiden Welten seien nun Realität und "die Wörter Ja und Nein sind gleichsam zu Symbolen dieser soziokulturellen Spaltung geworden". Dündar schildert Beispiele aus der türkischen Provinz, "wo sich die Vertreter im Ja-Lager derzeit zu blutigen Drohungen versteigen, während die Nein-Vertreter ihre Kampagnen quasi unter Lebensgefahr führen." Ein Nein käme einem Putsch gleich, hört man AKP-Abgeordnete sagen. "Warum die Panik", fragt Dündar und weiß die Antwort: "Weil in den Umfragen trotz allem das Nein die Nase vorn hat."
Die Tageszeitung TAZ ergänzt, dass die türkische Staatsanwaltschaft lange Haftstrafen für die elf inhaftierten Journalisten der Tageszeitung "Cumhuriyet" fordert. Es sind die ehemaligen Kollegen von Can Dündar, dem einstigen Chefredakteur der Zeitung.

Weltlage infiltriert unsere kulturellen Rituale

"Ist es wirklich mutig", fragt Christine Lemke-Matwey, ebenfalls in der ZEIT, "wenn sich klassische Musiker zu ihren politischen Überzeugungen bekennen?" Die Autorin registriert, "dank Brexit, Trump und Co." geschieht das immer häufiger. "Nicht selten nutzen sie dafür die Podien, auf denen sie sich ohnehin bewegen. Eine kleine Ansprache an der Rampe, ein Zettel im Programmheft – die Weltlage infiltriert unsere kulturellen Rituale." Längst zieht es die Bewegten auch hinaus aus den Konzertsälen und Opernhäusern. So war es der Cellist Alban Gerhardt, der vor einigen Tagen die sonntägliche "Pulse of Europe-Demonstration auf dem Berliner Gendarmenmarkt eröffnete. Erst spielte er Bach, dann wandte er sich an das 7000-fache Publikum: "Herzrasen habe er bekommen, als der Clown ins Weiße Haus eingezogen sei. Er wünsche sich, dass sein Sohn in einem freien, weltoffenen Europa aufwachse." Der russisch-deutsche Pianist Igor Levit bekennt: "Solange ich eine Stimme habe, solange ich in der Lage bin, meine Stimme zu erheben, werde ich nicht zulassen, dass diese aggressiven Leute meine Gesellschaft und meine Welt zerstören…"
"Zum 100. Geburtstag von Johannes Bobrowski erscheinen erstmals 1200 Briefe des großen Dichters", meldet DIE WELT. Mathias Weichelt nennt die vierbändige Briefausgabe "ein Leseabenteuer sonders gleichen, ein fast 30 Jahre umspannendes Epochendrama. Man kann hier noch einmal nachlesen, was es hieß, im sozialistischen Teil des getrennten Landes zu leben, der Willkür der Obrigkeit und den Nachstellungen der Staatssicherheit ausgeliefert."
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