Warum ein Literaturnobelpreis niemals unpolitisch ist
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Der "Tagesspiegel", die "FAZ" und die "SZ" kritisieren die Verleihung des Literaturnobelpreises 2019 an Peter Handke. Die "Süddeutsche" lehnt die unpolitische Haltung der Akademie ab und betont, dass so ein Preis immer politische Wirkung habe.
Die Entscheidung des Stockholmer Nobelpreiskomitees dominiert die Feuilletons. Der TAGESSPIEGEL hat eine Reihe von Kommentaren zusammengestellt und zitiert den serbischen Kulturminister mit dem etwas wirren Satz, Handke hätte den Nobelpreis "schon längst bekommen müssen, doch dann hat die Politik ihre Finger dazwischen gemischt".
Dem stellt die Zeitung den Kommentar des ehemaligen kosovarischen Außenministers gegenüber, der sich bei der schwedischen Akademie erkundigte, ob sie auch Handkes Rede, "die er beim Begräbnis des serbischen Ex-Präsidenten Slobodan Miloševic hielt, als Teil seines literarischen Werks berücksichtigt habe." Woraus wir das Streitthema ersehen können - Handkes Kommentare zum Jugoslawien-Krieg.
Kritik am Preisträger
Die FAZ erinnert an die "vielen zynischen und menschenverachtenden Aussagen, die der neue Nobelpreisträger für Literatur über den Zerfall Jugoslawiens gemacht und geschrieben hat." Und gibt dem slowenischen Schriftsteller Miha Mazzini das Wort, der sich daran erinnerte, "wie er im kalten Winter des jugoslawischen Zerfalls stundenlang vor leeren Geschäften um das Nötigste anstand, um dann abends in der kalten Wohnung zu lesen, wie Handke die 'Jugoslawen' als beneidenswert beschrieb, da sie nicht in einer Konsumwelt lebten."
Woraus wir ersehen: Handke kann nicht nur zynisch, er kann auch richtig dumm. Die Stellungnahme des amerikanischen PEN-Zentrums wird zitiert mit der listigen Frage, ob ein Schriftsteller, "der hartnäckig Kriegsverbrechen in Frage gestellt hat, es verdiene, für seinen 'sprachlichen Einfallsreichtum' gefeiert zu werden".
Die SÜDDEUTSCHE greift die Bemerkung des Sekretärs der Schwedischen Akademie auf, der meint, sie müsse nicht literarische Qualität gegen politische Überlegungen abwägen, und widerspricht:
"Die Jury des Literaturnobelpreises mag sich noch so häufig und routiniert auf das Kunstschöne, das Sprachlich-Poetische, der Politik Enthobene berufen: Dieser Preis hat immer politische Wirkung, auch, was niemanden überraschen sollte, im Jahr 2019."
Die Gewaltästhetik von Videospielen und die Morde in Halle
Der TAGESSPIEGEL veröffentlicht einen Artikel, der ausdrücklich auf die Morde von Halle Bezug nimmt. Zwar gebe es keine direkte Verbindung zwischen Videospielen und solchen Gewalttaten, jedoch, so der TAGESSPIEGEL, "muss die Frage gestellt werden, ob die Gewaltästhetik, die solche Spiele oft entwerfen, sich nicht auch dort wiederfindet, wo Menschen sich Kameras auf den Kopf setzen, um wie bei Lets-Play-Sessions live zu streamen, wie sie Menschen töten."
Der Artikel beschreibt die kriegerische Inszenierung auf Computermessen, wo diese Tötungsspiele angeboten werden und kritisiert die Werbestände der Bundeswehr auf solchen Events: "Es scheint die logische Fortsetzung des Videospiels zu sein: Was du im Spiel mit deinem Tarnfarben-Controller erlebt hast, kannst du im Anschluss auch in echt erleben. Schließ dich jetzt an." Eine kritische Auseinandersetzung sei kaum zu erkennen, moniert der TAGESSPIEGEL.
Zwei Humorgrößen treffen aufeinander
Wem bei so viel Streit nach Entspannung ist, dem sei die FAZ empfohlen, die über einen Bühnenabend mit John Cleese und Michael Niavani in Wien berichtet. Beide, schreibt die FAZ, seien eine Weltmacht des Humors - Cleese in der großen Welt, Niavani wenigstens in Österreich.
Der Wiener mit persischen Wurzeln erzählte "er gelte seines Aussehens wegen als Terrorist, andererseits als Nazi, weil er Österreicher sei. Während Cleese Österreich zum PR-Coup gratuliert, Hitler als Deutschen verkauft zu haben, räsoniert der Gastgeber über das deutsch-österreichische Verhältnis. Es sei Ausdruck schwarzen Humors an sich, Deutscher zu sein."
Wir halten dagegen: Wer solche Nobelpreisträger hat, kann sich Spott kaum erlauben.