Aus den Feuilletons

Warum es keine Solidarität mit China gibt

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Chinesische Mitglieder eines medizinischen Einsatzteams im Kampf gegen das Coronavirus. Sie haben sich extra für den Schutzanzug die Haare abrasieren lassen.
Chinesische Mitglieder eines medizinischen Einsatzteams im Kampf gegen das Coronavirus. Sie haben sich extra für den Schutzanzug die Haare abrasieren lassen. © imago images / Xinhua
Von Arno Orzessek · 15.02.2020
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Die „FAZ“ macht sich Gedanken über China: Das Coronavirus wirke fast wie eine Metapher für die Unsicherheit, die das westliche Selbstbewusstsein in seiner angefochtenen Hegemonie innerhalb der Globalisierung befallen habe.
"Hatschi" hieß es in der Wochenzeitung DER FREITAG unter dem Foto einer Frau, deren Niesen das Phänomen Tröpfchen-Infektion in ausspritzender Nässe illustrierte. Das "Wochenlexikon" des FREITAG widmete sich dieses Mal der "Erkältung" und erläuterte unter B wie "Brühe" fein-witzig: "Es ist nicht die antibiotikareiche Ernährung, die das Huhn in gekochtem Zustand zu einem tatsächlich wirkungsvollen Heilmittel bei Erkältungen macht. Auch ein glückliches Landhuhn kann Darniederliegenden etwas Glück durch Linderung verschaffen." Dass Hühnersuppe auch gegen das Corona-Virus hilft, behauptete der FREITAG nicht.

Wahrnehmung von Chinesen als potenzielle Gefährder

Überhaupt ist es mit der Hilfe für die Infizierten Chinas seltsam bestellt, befand die FRANKFURTER ALLGEMEINE ZEITUNG: "Normalerweise", so Mark Siemons, "zeigt sich in Deutschland bei jeglichen Notlagen in der Welt eine spontane Bereitschaft zur Solidarität, dazu, sich das Unglück der anderen zu eigen zu machen. Vom Tsunami bis zum Brand von Notre-Dame: Man kann sich die öffentliche Wahrnehmung plötzlich hereinbrechender Schrecken schon kaum mehr ohne das gleichzeitige Bemühen vorstellen, sich der eigenen Humanität zu versichern. Davon ist jetzt, da sich die Menschen vor allem in der chinesischen Stadt Wuhan in einer verzweifelten Situation befinden, auffallend wenig zu spüren. Chinesen oder wie Chinesen aussehende Menschen kommen im herrschenden Corona-Diskurs als potentielle Gefährder, nicht als potentiell Hilfsbedürftige vor."
Mark Siemons erklärte die Krise der Solidarität in erster Linie damit, dass das Corona-Virus ansteckend ist, aber er betonte auch einen weiteren Aspekt: "Das Virus wirkt fast wie eine Metapher für die Unsicherheit, die das westliche Selbstbewusstsein in seiner angefochtenen Hegemonie innerhalb der Globalisierung befallen hat."

Kino ist nicht Hollywood

Nicht unpassend dazu titelte die Tageszeitung DIE WELT: "Das Ende der Weltherrschaft". Denn erstmals war bei der Verleihung der Oscars ein nicht-englischsprachiger Film zum Besten des Jahrgangs gekürt worden und zwar der südkoreanische Film "Parasite", der auch den Oscar für die beste Regie – die Bong Joon-ho geführt hat – und weitere Trophäen abräumte.
"Die Academy", so der WELT-Autor Hans-Georg Rodek, "könnte damit ihre Funktion als Werbeträger für Hollywood auf dem Müllhaufen der Geschichte entsorgt haben. Aber da liegt gleichzeitig ihre Chance: sich ehrlich als Spiegel nicht eines Landes, sondern der gesamten Filmwelt zu begreifen. Deshalb sollte als Nächstes die diskriminierende Kategorie 'internationaler Film' abgeschafft werden."
Im Grunde schlugen alle Blätter in die gleiche Kerbe: "Kino ist nicht Hollywood. Kino ist global", hieß es in der NEUE ZÜRCHER ZEITUNG. Und die SÜDDEUTSCHE ZEITUNG meinte unter der Überschrift "Willkommen im Weltkino": "Die Internationalisierung tut der zunehmend verkrampften Academy nur gut."

Handke erzählt vom Scheitern eines Rachefeldzugs

Eine andere Akademie, die Königlich-Schwedische in Stockholm, hatte Peter Handke im letzten Jahr den Nobelpreis für Literatur zuerkannt, worüber bis auf den Tag krasser Dissens herrscht. Vor diesem Hintergrund besprach die Wochenzeitung DIE ZEIT Handkes neuen Roman "Das zweite Schwert": "Obgleich auf April und Mai 2019 datiert, während die Nachricht vom Nobelpreis erst im Oktober kam, wird das Buch als eine Antwort auf den letzten Streit um den Autor gelesen werden", so der ZEIT-Autor Thomas E. Schmidt.
"Wieder macht es Handke seinen Kritikern leicht, denn hier überlässt sich der Erzähler, nur eine Hautschicht von 'Handke' geschieden, einer zielstrebigen Rachlust, welche sich zu einer 'Gewaltphantasie' verdichtet. Der Poet will töten, er greift sich schon das eiserne Schwert, von dem das Lukas-Evangelium als letztem Mittel der Verteidigung spricht, und zieht los."

Achtung, Spoiler-Warnung! Handkes Roman endet dann doch nicht in einer suppigen Blut-Oper. Der Rächer wählt, wie Schmidt unterstreicht, "die zivile Form des Konfliktaustrags". Oder um es mit der SZ zu sagen: "Handke erzählt vom Scheitern eines Rachefeldzugs – und von einem Sieg der Literatur." Wovon auch sonst, dürften die Handke-Kenner unter Ihnen denken.

"Dresden ist ein Fleck auf dem britischen Heldenepos"

Einen ganz anderen Sieg hat einst Großbritannien gefeiert: den Sieg über Nazi-Deutschland. Nicht jedes Mittel zu diesem Zweck hat heute gute Presse, und am wenigsten wohl der Bombenkrieg gegen die deutschen Städte – so gegen Dresden am 13. Februar 1945. "Dresden ist ein Fleck auf dem britischen Heldenepos", bemerkte der britische Historiker Sinclair McKay in der WELT. Laut McKay macht sich "riesige Wut" breit, wenn er in Londoner Pubs über den britischen Angriff diskutiert: "Wut vor allem auf Marshall Sir Arthur Harris", den Chef der Luftwaffe.
"Ich kenne Leute, die sagen, sie würden ihn auf der Stelle wieder ausgraben und aufhängen. Die Gefühle sind in dieser Frage ausgesprochen heftig. Und natürlich gibt es auch viele Briten, die Dresden offiziell als britisches Kriegsverbrechen bezeichnet sehen wollen. Von denen werde ich als moralisch verkommen bezeichnet, weil ich diese Meinung nicht teile."

Die richtigen Lehren aus Weimar ziehen

Apropos moralische Verkommenheit! Sie wird von vielen Menschen der AfD vorgeworfen – und die AfD wirft munter zurück. Auf wen es im "Kampf gegen die neue Rechte" ankommt, fragte die ZEIT – und antwortete noch in der Überschrift: "Auf die Konservativen kommt es an!" Und das sah der Politologe Claus Leggewie in der SZ ähnlich:

"Widerstand darf keine Spezialität linker Antifaschisten sein. Es ist die Pflicht des Bürgertums, sich nicht erneut nach Rechtsaußen zu öffnen. Diesem Sündenfall waren die Liberalen und die Union in Thüringen gerade sehr nahe. Mit der Extremismus-Theorie" - links und rechts seien gleich gefährlich – "spinnen sie die Lebenslüge des Bürgertums weiter, die Weimarer Republik sei am Zangengriff der 'Ränder' zugrunde gegangen. Dabei haben in Wirklichkeit der Extremismus der 'demokratischen Mitte' und der Verrat des Bürgertums die Nazis stark gemacht."
Womit wir mitten drin wären in der Kampfzone Gegenwart – aber auch für heute am Ende. Sie wissen noch nicht, was tun an diesem Sonntag? DER FREITAG titelte: "Man könnte ja mal lieben".
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