Warum Kunst ein bisschen wie Sex ist
Ai Weiwei gab in Berlin seine Antrittsvorlesung an der Universität der Künste: Dass er die Arbeit des Künstlers mit Sex verglich, lässt kaum ein Feuilletonist unerwähnt. Dennoch sei die Veranstaltung eine äußerst trostlose Podiumsdiskussion gewesen, bemängelt die "FAZ".
Es gibt Themen, die haben sie alle. Die "Ersten Weltspiele der indigenen Völker" allerdings, die hat nur die FAZ. Die sind, wie Paul Ingendaay feststellt, allerdings auch bloß "eine bunte, aber politisch verlogene Mogelpackung".
"Da es allein in Neuguinea an die tausend indigene Völker gibt, von denen kein einziges zwischen dem 23. und 30.Oktober i(m brasilianische)n Palmas an den Start ging, und Afrika so gut wie gar nicht vertreten war, muss man bei diesen 'Weltspielen' von einer winzigen, ziemlich willkürlichen Auswahl sprechen."
Ingendaay berichtet viel Interessantes von den indigenen Völkern. "Viele von ihnen haben keine sicheren Gebietsgrenzen, ignorieren die Rechtsprechung des Landes, in dem sie leben, kennen keine Sportvereine, keine Zahnärzte und keine Mülltrennung."
Es gab wohl auch Proteste in Palma. "Die Stimmung in der Arena", lesen wir beruhigt,
"blieb aber stets fröhlich. Dafür sorgte der enervierend gutgelaunte Moderator, der das Publikum unaufhörlich zum Klatschen animierte. Am Eröffnungstag verkündete er das Motto, das leider durch nichts eingelöst wird: 'Heute sind wir alle Indigene!'"
Die Paketisierung der Welt
Dafür hat die SÜDDEUTSCHE exklusiv die DIN Norm EN 13724. Die wird, trauert Gerhard Matzig, bald nicht mehr nötig sein. Es ist "die sogenannte Briefkastennorm".
"Der Briefkasten", so Matzig, "ist schließlich etwas anrührend Analoges. Daher steht jetzt ein Update im Reich der Digitalität an. Der Briefkasten 2.0: Das ist der Paketkasten, der sich derzeit im Alltag bemerkbar macht als eine weitere Chiffre – und mehr noch: als eine direkte Folge der digitalen Revolution."
Denn: "Die Paketbox ist eine logische Folge des boomenden Internethandels: Sie macht unsere Welt versandfertig und verändert die Ästhetik des Alltags. ... Der Paketisierung der Welt", so Matzig, "entkommt man nicht."
Rainald Goetz wechselt die Gattungen
Auch der Büchnerpreis-Rede von Rainald Goetz entkommt man weiterhin nicht. In der WELT beantwortet Reinhard Kämmerlings ungefragt, aber dafür sehr gelehrt die Frage:
"Warum sang Rainald Goetz"- "Ein in antiker Rhetorik geschulter Kollege", so Kämmerlings, "bemerkte sogleich das Stilmittel der Metábasis eis állo génos, den Wechsel in eine andere Gattung. Von der argumentierenden, auch polemisierenden Rede fiel Goetz am Schluss fast unvermittelt in den Hymnus, wenn auch in der zeitgemäßen Version der Pophymne."
Nicht ganz so gelehrt, dafür verständlich, holt Joachim Güntner die rhetorische Stilkritik in der NZZ nach: "Goetzens Auftritt brachte rhetorischen Gestus und literarischen Stil in Deckung; er wirkte, um dies abgegriffene große Wort zu bemühen, über alle Massen authentisch."
Ai Weiwei hat keine Zeit zum Lesen
Das bringt uns zu der Frage: Wie authentisch ist Ai Weiwei? Und damit zu dem Thema, das, außer den Zürchern, alle haben. Ai hat in Berlin so etwas wie eine Antrittsvorlesung gegeben.
"Kunst ist ein bisschen wie Sex",
fasst Julika Bickel in der TAZ zusammen. Marcus Woellner mault in der WELT: "Ai Weiweis Antrittsvorlesung ... wird zur müden Performance der Verweigerung". Das mit dem Sex bringen sie natürlich alle. "Als", so die Version in der WELT, "sich eine Studentin traut die unfragbarste aller Fragen zu stellen, schläft Ai wieder fast ein: 'Wie würden Sie Kunst definieren?' Nach langer Beratung mit seinem Dolmetscher kommt gar nichts, nur eine Ausflucht: 'Es ist wie beim Sex: Man braucht sehr viel Erfahrung – und ich habe sehr viel Erfahrung –, aber dann kann man es doch nicht erklären.' Null Info, oder too much information? Herzlich willkommen in Berlin, Ai Weiwei", schließt Woellner in der WELT, während Niklas Maak in der in der FAZ anhebt:
"Dies war, man kann es nicht anders sagen, eine der trostlosesten Podiumsdiskussionen in der an trostlosen Podiumsdiskussionen nicht armen Stadt Berlin. ... Wenn man", das ist Maaks Fazit, "vom Erkenntnisgewinn dieses Nachmittags auf die Qualität des Kunststudiums in Berlin hochrechnen müsste, könnte man den Studierenden nur empfehlen, viel zu reisen und hin und wieder mit Ai Weiwei allein in einem Café über Kunst und die Welt zu sprechen."
Caroline Fetscher findet Ai Weiwei im TAGESSPIEGEL immerhin "scheu und schlagfertig".
"Auf die Frage ... , welche Bücherer seinen Studenten empfehlen könne, antwortete er, dass er leider keine Zeitzum Lesen habe – auch wenn Lesen ja eigentlich das Schönste sei, weil man 'durchZeilen schauen und sich dabei in Gedanken eine Welt ausmalen' könne."
Das gilt natürlich auch, wenn nicht erst Recht, fürs Lesen der Feuilletons.