Was Marx als Faselei brandmarkte
Der Niedergang des Wortes "alternativ" beschäftigt die Feuilletons: Warum nur ist das harmlose kleine Wort schon wieder Bestandteil eine "Unwortes des Jahres" geworden? Ebenso werfen die Zeitungen einen Blick auf Karl Marx' Formulierkunst und sein Verhältnis zu den Sozialdemokraten.
Man muss schon aufpassen, was man sagt. Vor allem, wenn man genau weiß, was man sagen will. Den jungen Autor Simon Strauß etwa hat der SPIEGEL ob dessen, was er gesagt, besser: geschrieben hat, als "Wegbereiter der Neuen Rechten" bezeichnet, und die TAZ als "Kubitscheks Ernst Jünger". Beides zitiert Tilman Krause jetzt in der WELT und versucht eine letzten Endes etwas kurz gesprungene Ehrenrettung der Romantik gegen einen von Krause so genannten "Gesinnungs-TÜV", dem der Autor Strauß unterzogen worden sei.
In derselben WELT weist Matthias Heine auf das geheime Wanderleben von Wörtern hin, und zwar von links nach rechts - was die Frage aufwerfen könnte, ob der Begriff "Romantik" eine solche Wanderbewegung womöglich auch hinter sich hat, so wie das Wort, um das es Heine geht: "alternativ". "Wir müssen (das Wort) ‚alternativ‘ loswerden", fordert Heine, denn: "Schon zum zweiten Mal ist ein Ausdruck, in dem ‚alternativ‘ vorkommt, zum Unwort des Jahres gewählt worden: ‚Alternative Fakten‘."
Der deprimierende Niedergang eines Wortes
Urs Bühler umschreibt diese Wahl in der NEUEN ZÜRCHER ZEITUNG (NZZ) poetisch mit: "Ein Hüllwort, nackt gegeißelt." Mathias Heine meint: "Das Interessanteste am neuen Unwort des Jahres ist der deprimierende Niedergang des Wortes alternativ. Was in den Siebzigerjahren ein mit Hoffnung aufgeladener Begriff war, dessen Benutzer von einer Linken jenseits des Massenmörder-und-Beton-Kommunismus träumten, ist zum Dreckswort im Munde von Verschwörungsirren, Reichsbürgern und Realitätsverweigerern geworden."
Marx und die Sozialdemokraten
Nach der Blüte der Krauseschen Romantik und vor dem Wuchern des Heineschen "Massenmörder-und-Beton-Kommunismus" schrieb einer, der genau wusste, was er sagen wollte. Aber wir verstehen es nicht mehr, behauptet Dietmar Dath in der FRANKFURTER ALLGEMEINEN ZEITUNG (FAZ):
"Es ist", schreibt er, "der unüberwindliche Fluch der deutschen Sozialdemokratie, dass sie Dummheiten, die Karl Marx bei ihr bereits gerügt hat, immer wieder begehen muss, zur Strafe dafür, dass sie den Tadel ignorierte, als Marx noch lebte. Auf ihre jüngsten Niederlagen im Herbst und Winter zum Beispiel reagiert sie, als hätte sich ihr alter Champion Ferdinand Lassalle, den Marx polemisch vor sich her zu prügeln liebte, in zwei Hälften gespalten: eine schwerfällige namens Sigmar Gabriel und eine leichtsinnige namens Martin Schulz. Gabriel redet als Bauern-, Arbeiter- und Arbeitslosenfänger neuerdings von Heimat, Leitkultur und patriotischer Umverteilung, weil ihm niemand erzählt hat, wie schlimm Lassalle von Marx dafür verprügelt wurde, dass jener naive Mann allerlei Probleme der sogenannten sozialen Gerechtigkeit ‚vom engsten nationalen Standpunkt her‘ fassen wollte. Komplementär dazu singt Schulz das Lied ‚Vereinigte Staaten von Europa so schnell wie möglich‘, um der trostlos erneuerten Koalition mit den Unionsparteien eine politische Idee mitzugeben, in deren Zeichen man ihm zutrauen könnte, Gutes zu bewirken … – wohl auch, weil ihm unbekannt ist, dass Marx in demselben Dokument, … nämlich der grandiosen ‚Kritik des Gothaer Programms‘ von 1875, alle derartigen Sprüche von Völkerverständigung und supranationaler Zusammenarbeit im Interesse der Marktverlierer als haltlose Faselei brandmarkt."
Eine andere Art, Verstand zu benutzen
Das war, obschon leicht gekürzt, ein ganz schön langer Satz – allerdings nicht annähernd so lang wie der, den Dath zitiert, um uns zu zeigen, wie Marx schreibt. Der ist so lang, dass er das Format dieser Kulturpresseschau sprengen würde. Also müssen wir uns mit dem begnügen, was Dath darüber sagt, nämlich: "Das ist nicht nur eine andere Art zu schreiben als die von Naomi Klein, Thomas Piketty oder dem Unsichtbaren Komitee für den Aufstand bei Facebook. Das ist eine andere Art, den Verstand zu benutzen."
Ambros Waibel bringt seine Botschaft dagegen in der TAZ auf zwei Worte, in denen alles steckt: "Vorwärts, Zwerge!" Vorsichtshalber schreibt er aber doch drunter, was er uns damit zugerufen haben will, nämlich: "Warum gegen eine Große Koalition nichts, für Neuwahlen aber alles spricht." Einfach macht es uns aber auch Waibel nicht, er fährt fort: "Und was der Vatikan und der Heilige Geist mit der ganzen Sache zu tun haben."
Da verhält es sich wie mit einem Gedankengang von Karl Marx, auch wenn Ambros Waibels Sätze deutlich kürzer sind: Das nachzuvollziehen, würde das Format dieser Kulturpresseschau sprengen. Manches muss man halt doch selber lesen.