Aus den Feuilletons

Was soll überhaupt diese Frage?

Moderator Johannes B. Kerner (r) sitzt in Köln (Nordrhein-Westfalen) in der ZDF-Show "Deutschlands Beste - Männer" neben seinen Gästen: Comedian Olaf Schubert (l-r), Comedian Michael «Bully» Herbig, Sportlerin Maria Höfl-Riesch, Journalist Claus Kleber, Sportler Franz Beckenbauer und Moderator Günther Jauch. Im Hintergrund ein Bild von Politiker Helmut Schmidt, der auf Platz Eins gewählt wurde.
Moderator Johannes B. Kerner (r) sitzt in der ZDF-Show „Deutschlands Beste – Männer“ neben seinen Gästen: Comedian Olaf Schubert (l-r), Comedian Michael «Bully» Herbig, Sportlerin Maria Höfl-Riesch, Journalist Claus Kleber, S © picture alliance / dpa / Caroline Seidel
Von Paul Stänner |
Hessens „spannendste“ Brücke und andere Absurdidäten ergötzen die Kritiker der manipulierten ZDF-Bestenlisten. Aber auch Amazons Verkaufsrankings inspirieren Satiriker zu Nachahmungstaten.
Die heutige Kulturpresseschau, meine Damen und Herren, ist voll von Empfehlungen. Wir beginnen damit, Ihnen zu empfehlen, Empfehlungen nicht zu trauen. Bei mehreren öffentlich-rechtlichen Programmen haben Redakteure Rankings so manipuliert, dass die Ergebnisse besser ins laufende Programm passten. Das ZDF zum Beispiel jubelte seinen eigenen Nachrichtenmann hoch. Nun müssten viele Ergebnisse in Frage gestellt werden, schreibt Klaudia Wick in der Berliner Zeitung: „Warum landete der Rhododrendronpark im Ammerland nicht auf dem richtigen Platz? Was ist denn nun die spannendste Brücke Hessens? Und was soll überhaupt diese Frage?“
Ja eben, was soll der ganze Quatsch? dachten wohl auch die TV-Redakteure, weshalb sie gewissenlos an den Beliebtheitslisten herumfummelten. Dagegen erinnert Klaudia Wick sie daran, dass es „von jeher zu den Aufgaben der sogenannten Vierten Gewalt“ gehört, „Wahlfälschungen und Falschaussagen zu entlarven.“ Und konstatiert: „Der Sündenfall besteht ja weniger in der Verschiebung eines Rankings als in der Haltung der Sender, uns neuerdings mit dem Verweis auf Straßenumfragen oder Online-Abstimmungen ein U (= Unterhaltung) für ein X (= seriöse Information) vormachen zu wollen.“ Sie mahnt an, nicht Unterhaltung und Information zu vermischen. Joachim Huber sieht im Tagesspiegel den Kern der öffentlich-rechtlichen Glaubwürdigkeit angegriffen: „Die Beitragszahler werden via Rankingshow just mit dem Geld betrogen, mit dem sie ARD und ZDF bezahlen. Gründlicher kann Vertrauen nicht missbraucht werden.“
Dass auch der Handelsriese Amazon seine Empfehlungslisten manipulierte, ist nicht weiter erstaunlich, weil Amazon dem Profit, nicht aber der Redlichkeit verpflichtet ist. Deswegen haben schon 555 deutsche Schriftsteller einen Protestbrief an Amazon unterschrieben, den der Tagesspiegel druckt. In einem persönlichen Brief beschimpft in der Welt Hans Zippert den Amazon-Chef Bezos als „geistigen Waterboarder“, weil er, Zippert, im Amazon-Ranking auf Platz 75.193 (Stand 15. August) geführt werde, was natürlich vernichtend sei für die Kreativität eines Autors. „Ich muss ganz ehrlich sagen, dass ich sehr froh wäre, wenn Sie, lieber Herr Bezos, mal eine Empfehlungsliste in meinem Sinne manipulieren könnten. Ich weiß nicht, was Sie dafür verlangen, wäre aber bereit, 100 – 150 Euro aus eigener Tasche dafür auszugeben.“ Dann ist Zippert noch verblüfft darüber, dass Käufer seines Buches „Deutschland retten“ auch einen 25-Kilo-Sack Kartoffeln der Sorte Linda bestellt haben...und wir fragen uns, was die Leser von Horrorautor Stephen King, der mit 900 Kollegen den amerikanischen Aufruf gegen Amazon unterzeichnet hat, was also dessen Leser gern bestellen ...
Nichts mehr zu bestellen hat Dominik Wichmann als Ex-Chefredakteur des Stern. Da spitzt die Branche die Bleistifte: Wichmann sei wegen seines Führungsstils gescheitert, richtet die Berliner. Die Süddeutsche lobt heimtückisch: „Der Tag, an dem Dominik Wichmann nicht mehr Chefredakteur des Sterns sein sollte, war eigentlich ein Tag zum Feiern. Die Redaktion hatte wochenlang geschuftet, die Grafikabteilung noch mehr Luft ins Blatt gepustet, und ihr aller Chef vorab feurige Poeme zur neuen ‚Sinnlichkeit‘ des Stern verfasst.“ Hat aber alles nichts genützt, um die Mittagszeit musste Wichmann erfahren, dass man ihn aus dem Ranking genommen hatte. Das Bedauern klingt verhalten.
Da passt es, dass dieselbe Zeitung Männern implizit empfiehlt, Hut zu tragen, weil in der Literatur am Hut der Stand der Dinge abzulesen sei. Lothar Müller zitiert Jacob van Hoddis Gedicht „Weltende“, in dem es 1911 ahnungsvoll heißt „Dem Bürger fliegt vom spitzen Kopf der Hut“ − und drei Jahre später war es ganz Europa, das auseinander flog. Der ehebruchgeplagte Held aus James Jocye Roman „Ulysses“ war ein Mann mit stabilem Bowler und auch Kafkas Bankangestellten Josef K. treibt die Sorge um seinen Hut um − wenn Sie am Wochenende nichts zu tun haben, empfehlen wir Ihnen, mal ein selbst manipuliertes Ranking Ihrer Kopfbedeckungen aufstellen. Da werden Sie sehen, wie es um Sie steht.