Weniger lesen ist mehr
Der Schweizer Schriftsteller plädiert in der "Neuen Züricher Zeitung" für gründlicheres Lesen. Statt schnell viele Bücher zu konsumieren, sei es sinnvoll, ein gutes Buch lieber doppelt zu lesen.
Rollen wir uns erst einmal ein bisschen ein. Und zwar mit Martin Mosebach, der in der Tageszeitung DIE WELT über "Das Wesen des Fahrrads" nachdenkt. Mosebach erinnert sich daran, wie viel ihm als Schüler - und als ein schlechter dazu - der Moment bedeutet hat, in dem er sich nach dem letzten Klingeln in den Sattel schwingen und auf abschüssiger Bahn die Schule samt ihren Plagen hinter sich lassen konnte:
"Die Straße war schnurgerade, und schnell bekam das Fahrrad eine hohe Geschwindigkeit. Mein Hemd war halb aufgeknöpft, der Fahrtwind blähte es auf, der Schweiß auf der Stirn kühlte ab. In dieser sausenden Fahrt an den Pappelreihen vorbei fiel das Miserable der vergangenen Stunden von mir ab. Die Geschwindigkeit erzeugte ein Triumphgefühl. Obwohl durch meine Schuld alles unausdenklich schrecklich war, erlebte ich jetzt das reine Glück. Das konnte mir niemand, nicht einmal ich selbst mir rauben",
schwärmt der begeisterte Velozepidist Mosebach in der WELT. Wir aber möchte ihm, obwohl selbst gelegentlich als Rennradfahrer unterwegs, zurufen: Versuchen Sie es mal mit einem richtigen Motorrad! Dann führt Sie nämlich jede Straße bergab und wenn es Ihnen beliebt, können Sie das Triumphgefühl der Geschwindigkeit sekündlich erbeuten.
Dobelli: Bei Büchern radikal selektiv geworden
Gar nichts von hoher Geschwindigkeit hält Rolf Dobelli - zumindest, wenn es ums Lesen geht. Unter der Maxime - zugleich der Überschrift - "Weniger lesen, dafür doppelt" plädiert der Schweizer Schriftsteller in der NEUEN ZÜRCHER ZEITUNG für Konzentration und Beschränkung.
"Wir lesen falsch. Wir lesen zu wenig selektiv und zu wenig gründlich. Wir lassen unserer Aufmerksamkeit freien Lauf, als wäre sie ein zugelaufener Hund, den wir gleichgültig weiterstreunen lassen, anstatt ihn auf prächtige Beute abzurichten. Wir verschleudern unsere wertvollste Ressource an Dinge, die sie nicht verdient haben. Heute lese ich anders als noch vor wenigen Jahren. Zwar genauso viel wie früher, aber weniger Bücher, dafür bessere, und zweimal. Ich bin radikal selektiv geworden", bekennt Rolf Dobelli in der NZZ.
Integration - "Wie entsteht gesellschaftliches Vertrauen?"
Soweit zu diesen Dingen! Und nun wenden wir uns von den zeitlos-samstagstypischen Essays ab und aktuellerem Stoff zu. Wenn auch der Artikel "In der Welt der einander Fremden" in der TAGESZEITUNG ebenfalls als "Essay" firmiert. Dirk Knipphals fragt ein Jahr nach Angela Merkels 'Wir schaffen das': "Wie entsteht gesellschaftliches Vertrauen?"
Völlig freihändig will Knipphals die Antwort indessen nicht geben - er stützt sich bei Jürgen Habermas und Niklas Luhmann ab.
"Ein Philosoph wie Jürgen Habermas, in vielem Luhmanns Gegenspieler, sieht Vertrauen letztlich nur dann begründbar, wenn die Gesellschaft sich eine vernünftige Ordnung gegeben hat - auf die man, jetzt wieder mit Luhmann gesprochen, lange warten kann, sehr lange. Für Luhmann dagegen ist Vertrauen ein Mechanismus der Subjekte, mit der Tatsache umzugehen, 'dass man in einer überkomplexen Welt ohne zureichende Kenntnis handeln und sich handelnd engagieren muss‘ (so wie, nebenbei gesprochen, Angela Merkel an jenem 4. September 2015, als sie ihren Satz sagte). Wenn Kontrolle unmöglich ist, ist doch Hoffnung besser."
Wow, Dirk Knipphals! Merkels am Parlament komplett vorbeidekretiertes 'Wir schaffen das' derart mit Luhmann zu adeln, das hat Schneid!
Reformation des Islam ist nötig
Derweil setzt in der FRANKFURTER ALLGEMEINEN ZEITUNG der Philosoph und Islamwissenschaftler Abdel-Hakim Ourghi seine Mission für eine Erneuerung des Islam fort.
Ourghi hatte in dieser Woche bereits in der NZZ eine - im übrigen dichtere und wuchtigere - Polemik zum gleichen Thema verfasst. Seine neue alte Hauptforderung in der FAZ nun lautet: "Der Islam braucht eine Reformation, die seine fatalen politischen Ausprägungen unterbindet." Wir unterstellen: Dem können sich viele von uns anschließen.
Andererseits gibt die ukrainische Schriftstellerin Julia Kissina in der NZZ einige Lebensweisheiten zum besten. Und eine - erstaunlich oft zutreffende - lautet: "Die Erfüllung unserer Wünsche ist eine Strafe."
In diesem Sinne: Bleiben Sie wunschlos glücklich!