Aus den Feuilletons

Wenn ein Schriftsteller an den Regierungschef schreibt

Der ungarische Schriftsteller György Konrád signiert am 08.03.2014 im schleswig-holsteinischen Landtag in Kiel anlässlich seines Vortrags im Rahmen der "Woche der Brüderlichkeit" ein Buch.
György Konrád hat in der "FAZ" einen offenen Brief an Viktor Orbán geschrieben. © picture-alliance / dpa / Markus Scholz
Von Hans von Trotha |
Der schädlichste ungarische Politiker seit der Wende: Deutliche Worte findet der Schriftsteller György Konrád für den Regierungschef seines Heimatlandes Ungarn in der "FAZ" – die seinen offenen Brief an Viktor Orbán abdruckt.
"Wir steuern unruhigen Zeiten entgegen",
schreibt Adrian Lobe in der FAZ. Wo lebt der Mann? Ist Frankfurt gar das Auge des Taifuns? Der Ort, um den die "unruhigen Zeiten" herumwehen? Auf nach Frankfurt! Lobes Gegenstand ist aber gar nicht Frankfurt, sondern das Silicon Valley. Und da scheint es schon unruhiger zuzugehen. "Das Silicon Valley bereitet sich auf den Untergang vor", weiß Lobe, und: "Populisten beschwören den Untergang des Abendlands."

Abrechnung mit der "Revolte der Ungewaschenen"

Gustav Seibt gibt in der SÜDDEUTSCHEN vor, den von Heinrich Geiselberger herausgegebenen Suhrkamp-Band "Die große Regression. Eine internationale Debatte über die geistige Situation der Zeit" zu rezensieren, rechnet aber in Wahrheit mit der "Revolte der Ungewaschenen" ab. So lautet ein Zitat aus dem Band, das als Überschrift über dem Seibt-Artikel gelandet ist. "Ist das wirklich ein aktuelles Best-of linken Denkens?", fragt Seibt und findet: "Das wäre erschütternd". Seibt ist in Fahrt:
"Das beginnt damit, dass die Neoliberalismus-Saga erschreckend unkonkret bleibt", meint er zum Beispiel, oder:
"Wenn linke Parteien ihre klassische Klientel nicht mehr vertreten, dann dringen Populisten in die 'Repräsentationslücken' ein. Populismus ist der Aufstand der 'Ungewaschenen' (da sind sie – die Formulierung stammt von Wolfgang Streeck) gegen kosmopolitische Trickbetrüger. Und es gibt nicht nur offenen Protest, sondern auch die stille Auswanderung aus der pädagogisch als Ende der Geschichte gefeierten liberalen Demokratie."
Da sind sie schon wieder beieinander – die Vision vom Ende und die Populisten. Die werden ja gern mit den Nazis verglichen. Dagegen verwahrt sich in der NZZ der Historiker Caspar Hirschi, indem er erklärt, "wie man Rechtspopulisten unfreiwillig stark macht". Nämlich: indem man sie mit den Nazis vergleicht. So "geben Nazi-Vergleiche Populisten die Gelegenheit, sich als Verleumdungsopfer zu inszenieren oder ihrerseits mit Nazi-Vergleichen zu operieren."
Hirschi spricht von einer "populistischen Kommunikationsstrategie, durch verbale Grenzüberschreitungen Gegenpolemik zu provozieren, um auf diese anschliessend ... erneut zu replizieren. ... Der Nazi-Vergleich ist damit Bestandteil einer Polarisierungsspirale, in deren Verlauf die Entrüstung über verbale Entgleisungen die Debatte über politische Entscheidungen zusehends verdrängt."

Offener Brief an Viktor Orbàn

Hirschi meint vor allem Trump. Ob seine Analyse für alle Populisten taugt, kann man in der FAZ überprüfen, die einen offenen Brief von György Konrád an Viktor Orbán abdruckt. Da hat der Nazi-Vergleich ein besonders widerliches und erschütterndes Fundament – den Antisemitismus:
"Dass nun Ihr Propagandaapparat in Goebbels-Manier am Beispiel des Juden Soros den Verursacher allen Übels für die Nation und die Welt vorführt, ähnlich der nazistischen Losung von 1933 (`Die Juden sind unser Unglück´), das erinnert traurig an das verabscheuenswürdige Vorbild. ... Ich bin überzeugt davon", schreibt Konrád, "dass Sie seit der Wende der schädlichste ungarische Politiker sind. Niemandem außer Ihnen ist es gelungen, so viele Verleumdungen und unbegründete Behauptungen anzuhäufen."
Heißt: Nicht zwingend Schluss mit den Nazivergleichen. Aber Vorsicht. Das gilt eigentlich überhaupt für Vergleiche. Auch für den ebenfalls sehr beliebten Vergleich eines Weltzustands mit der Apokalypse.

Bunker als Immobilie der Apokalypse

Was uns noch einmal zu Adrian Lobe zurückkommen lässt, wobei wir bei den Populisten bleiben können, da Lobe nicht nur die "Trump-Apokalypse" zitiert, "zu der die Zeitung 'The New Zealand Herald' die über 10 000 Einbürgerungsanträge in Neuseeland nach der Präsidentschaftswahl stilisierte", sondern auch "die latente Angst, dass ein Cyberwar zum Kollaps aller kritischen Infrastrukturen, zum Systemausfall führt oder das Experiment der künstlichen Intelligenz aus dem Ruder laufen könnte".
Als Bewohner Frankfurts quasi naturgemäß auch Fachmann für Immobilien-Spekulationen, weiß Lobe, welches die passende Immobilie zur Apokalypse ist: der Bunker. Im Ernst:
"Zu den jüngsten Immobilientrends der Tech-Entrepreneure", lesen wir in der FAZ, "gehört der Kauf von Bunkern. Reid Hoffman, Mitgründer der Karriereplattform LinkedIn, schätzt, dass fünfzig Prozent der Internet-Milliardäre eine 'Apokalypse-Versicherung' in Form eines Bunkers oder einer Insel abgeschlossen haben, wo sie im Ernstfall Zuflucht fänden."
Wie man angesichts einer solchen Meldung noch auf die Phrase dreschen kann, dass wir "unruhigen Zeiten" erst "entgegensteuern", das bleibt für heute Lobes Geheimnis.
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