Wenn Opa Schröder erzählt
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Altbundeskanzler Gerhard Schröder ist unter die Podcaster gegangen. In "Die Agenda" bespricht er unter anderem, wie er die Coronakrise gemeistert hätte und wie es ihm so geht. Die "FAZ" erinnert dieser "gemütliche" Podcast an Erzählungen von Opa.
"In der Psychologie ist die Langeweile bisher kaum erforscht", behauptet Nicolaus Freund in der SÜDDEUTSCHEN ZEITUNG. Warum das so ist, wird uns nicht verraten, aber dafür gibt es eine genaue Definition dieses Zustands:
"Ich würde Langeweile als das unangenehme Gefühl definieren, etwas zu wollen, aber sich nicht auf befriedigende Aktivitäten einlassen zu können", stellt John D. Eastwood fest.
Er ist Professor für klinische Psychologie in Toronto und hat ein Buch über die Psychologie der Langeweile geschrieben. Daher weiß er auch, dass dieser Zustand durchaus gefährlich sein kann:
"Wenn Menschen langweilig ist und sie das Gefühl haben, die Kontrolle über ihr Leben zu verlieren, dann suchen sie nach Bedeutung in der Feindseligkeit gegenüber anderen."
Aus dem kleinen Lehrbuch des Boulevardjournalismus
Nach dieser Definition könnte vielleicht auch die Redaktion der "BILD"-Zeitung von Langeweile getrieben gewesen sein, als sie beschloss, den Virologen Christian Drosten frontal anzugehen: "Das Ganze ist eine Geschichte aus dem kleinen Lehrbuch des Boulevardjournalismus. Kapitel: Wie bau ich mir einen Aufreger", schreibt Steffen Grimberg in der TAZ und fasst zusammen:
"Man nehme einen prominenten Menschen aus der Wissenschaft und dessen Studie. Dann klaubt man ein paar Aussagen anderer Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler zusammen, die den Ergebnissen der Studie tatsächlich oder vermeintlich widersprechen. Mit denen konfrontiert man den erstgenannten Wissenschaftler. Und damit es auch spannend wird, lässt man eine möglichst knappe Frist für die Antwort."
Blöd nur, dass die von der "BILD"-Zeitung zitierten angeblich drostenkritischen Wissenschaftler eilig erklärten, mit dieser Form des Journalismus nichts zu tun haben zu wollen. Was Michael Hanfeld in der FRANKFURTER ALLGEMEINEN ZEITUNG zu folgendem Fazit führt:
"Der jüngste Ausfall gegen den Virologen Drosten ist nur ein Artikel von vielen, mit denen sich die ‚Bild‘-Zeitung und ihr Chefredakteur als die wahre Stimme des Volkes gerieren. Von den ‚Covidioten‘, die sich am Wochenende zu Tausenden versammeln und gegen den Staat hetzen, ist das nicht weit entfernt."
Keine übereilte Theateröffnung in Berlin
Wer die Langeweile mit einem baldigen Gang ins Theater bekämpfen möchte, wird zumindest in Berlin noch ausgebremst: "Vehementer als man das vom chronisch gutgelaunten Kultursenator gewöhnt ist, agiert Klaus Lederer in der ersten Sitzung des Kulturausschusses seit dem 9. März. ‚Der Wettstreit, wer am schnellsten wieder aufmacht, macht mich nervös‘, sagt er."
Und der Kultursenator führt dafür auch Argumente an, wie Frederik Hanssen im Berliner TAGESSPIEGEL berichtet: "Der Schaden könnte enorm sein, warnt Lederer, wenn übereilt geöffnete Konzertsäle und Theatersäle zu Corona-Hotspots werden: Dann nämlich werden die Leute langfristig Angst haben, diese Kulturorte zu besuchen."
Plauder-Podcast vom Kanzler a.D.
In dieser Spielzeit wird es also wohl kein Theater mehr in der Hauptstadt geben. Ob die fehlende politische Bühne Gerhard Schröder vor das Mikrofon getrieben hat, ist nicht überliefert. Mit seinem ehemaligen Regierungssprecher Béla Anda unterhält sich der Bundeskanzler a.D. im Podcast "Die Agenda" und Axel Weidemann von der FAZ hat ihm zugehört:
"Es beginnt natürlich mit Corona; was er als Kanzler gemacht hätte und wie es ihm so geht. Gelebt, sagt der Altkanzler im gewohnt jovialen, aber weicher gewordenen Plauderton, habe er ‚weniger dramatisch‘, es war ‚aushaltbar‘."
Dann wird noch die Regierung mit warmen Worten gelobt und Weidemann fällt folgendes Urteil: "So hat der Glaube, dass wenn sich zwei verstehen, schon ein interessantes Gespräch dabei herauskommen wird, uns auch diesen gemütlichen Podcast beschert. Irgendwo zwischen ‚Opa erzählt vom Krieg‘ und einem Bewerbungsgespräch für einen Eintrag ins Poesiealbum von Sigmar Gabriel."
Oder wie es der Langeweileforscher Eastwood in der SZ sagt: "Wenn jemand eine kreative Veranlagung hat, könnte Langeweile ihn dazu bringen, diese zu nutzen. Aber Langeweile selbst macht nicht kreativ."