Aus den Feuilletons

Wie der Ikea-Katalog die deutsche Sprache bereichert hat

04:08 Minuten
Der Ikea-Katalog 2021.
Das ist der letzte Ikea-Katalog. Nach 70 Jahren ist nun Schluss. © imago images / Rüdiger Wölk
Von Ulrike Timm · 11.12.2020
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Mit 200 Millionen Exemplaren und Übersetzungen in 32 Sprachen war der Ikea-Katalog ein Besteller. Doch rezensiert wurde er nie. Die "Welt" wagt sich nun ran und vergleicht die lautmalerische Innovationskraft des Möbelkatalogs mit der Ernst Jandls.
"Ist das Alte wirklich alt? Und das Neue noch neu?" Ein erster Rundgang durchs neue Berliner Humboldt-Forum hat bei Jörg Häntzschel von der SÜDDEUTSCHEN ZEITUNG Verwirrung hinterlassen – bestenfalls. Denn dem Autor gefällt eigentlich nur der Keller, "wo man auf Stegen durch die freigelegten Reste des alten Berliner Schlosses spaziert wie durch eine griechische Ausgrabungsstätte". Aber es gilt eben auch:
"Wer auf die Schlosskulisse zugeht, erwartet dahinter ein Schloss und keinen cleanen Zweckbau, das ist dem Hirn schwer auszutreiben. Doch genau das war der Deal! Der Bundestag gab ein modernes Gebäude in Auftrag, mit einer über Spenden finanzierten historischen Fassade. Den Besucher stürzt das in größere Verwirrung als erwartet. Zum einen, weil die Sphären nicht getrennt sind. Auch innen gibt der Barock immer wieder Einlagen. Zum anderen, weil sich die beiden nicht wie Text und Zitat verhalten, sondern nebeneinanderstehen. Und weil das nachgebaute Alte genauso neu ist wie das Neue."

Humboldt-Forum als Labor für unbequeme Fragen

Macht nix, frohlockt – oder feixt? – Peter Richter, ebenfalls in der SZ, die dem nächste Woche teileinzuweihenden Zwitterding eine komplette Seite widmet: "Aus so viel Chaos sind in Berlin oft ganz gute Ideen erwachsen!"
Auch die TAZ findet: "Es wird besser, als viele denken." Mit durchaus sibyllinischer Begründung, denn gerade die Innenbespielung hatte für heftigste Debatten gesorgt, weil in einem Schloss wie diesem doch ein postkolonialer Diskurs nie beginnen könne.
Susanne Mesmer aber meint: "Dieses Ausstellungshaus kann nicht mehr hinter seine Geschichte zurück. Darum ist es möglich, dass es eines Tages sogar die Lage der Uiguren heute zur Diskussion stellen wird. Es ist auf gutem Weg zu einem Labor, in dem noch die unbequemste Frage gestellt werden darf."

Der poetische Klang von Lämplig und Önskedröm

Springen wir vom Schlossdiskurs beherzt in unsere eigene Einrichtungswelt, die bei vielen maßgeblich von Ikea geprägt ist. Das schwedische Möbelhaus bringt keinen neuen Katalog mehr heraus. Denis Scheck singt in der WELT seine bestürzte Ode an Önskedröm und Möckelby, durch die er sich nun nicht mehr auf dem heimischen Sofa hindurchblättern kann.
Wie tragisch, keine Literaturkritik nahm den Besteller je wahr. 200 Millionen Exemplare und Übersetzungen in 32 Sprachen wurden von Rezensenten schmählich vernachlässigt, also muss Scheck ausführlichst selbst rezensieren, ein einziges letztes Mal.
Der Ikea-Katalog war für ihn vor allem ein Sprachereignis, der das Deutsche über Generationen um Lautereignisse bereichert habe, "die den Vergleich mit großen Dichtungen eines Hugo Ball oder Ernst Jandl nicht zu scheuen brauchen". Prompt sieht die Pressebeschauerin vor ihrem inneren Auge und Ohr, wie sich Denis Scheck von seinem katalogfreien Sofa aus aufmacht ins schwedische Möbelhaus und dort selig Ikea-Laute memoriert, vom Topfgitter Lämplig übers Bettgestell Hurdal bis hin zu Önskedröm und Möckelby.

Thomas Ostermeiers Bruder sollte Recht behalten

"In einer dramatischen Situation fallen die Masken" – nein, wir sind nicht mehr bei Denis Schecks Versuchen, Schwedisch zu brummeln, sondern im TAZ-Interview mit Thomas Ostermeier, dem Intendanten der Berliner Schaubühne. Der probt mit seinem Ensemble relativ stoisch vor sich hin, auch wenn er vor Publikum nichts zeigen kann und damit auch für lange Zeit nicht rechnet.
"Mein Bruder", sagt Ostermeier, "der als Mediziner seit acht Monaten eine Covid-Station leitet, hat mir schon im März gesagt, ich müsste mit einem Jahr rechnen, dass wir geschlossen bleiben. Das scheint sich zu bewahrheiten."
Bleiben wir trotzdem so unverdrossen und einig, wie es vor einem nächsten Lockdown vielleicht doch möglich, bestimmt aber nötig ist. Schmettern wir trotzig und nicht unterzukriegen mit der SZ: "Und jetzt alle!"
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