Wie weit darf Satire gehen?
Hat Satire Grenzen? Diese Frage stellte sich wieder, nachdem das französische Magazin "Charlie Hebdo" Karikaturen des ertrunkenen Flüchtlingskinds Aylan herausgab. Nun antwortet Chefredakteur Gérard Biard im Berliner "Tagesspiegel".
Der smarte Jan Küveler hat offenbar die Faxen dicke. Nachdem der Autor der Tageszeitung DIE WELT in dieser Woche bereits barsch mit Laurie Penny und den männermarternden Zumutungen des Feminismus abgerechnet hat, knöpft er sich nun die Gender Studies vor. Und wendet dabei einen fiesen Trick an.
Küveler lässt ein Statement der Fachschaftsinitiative Gender Studies an der Berliner Humboldt-Universität für – also: gegen – sich selbst sprechen. Es geht um den Ausschluss der Person "R", die sich im Nachgang zu einem Streit im Seminar Lann Hornscheidts irgendwie daneben benommen haben muss. Hier ein paar Zeilen des Statements, liebe Hörer. Und entschuldigen Sie bitte, falls unser Vortrag holpert:
"'Als weiße Trans*-Person verlangte R. von der WoC spezifische Auskünfte über die Race- und Gender-Positionierungen innerhalb der Interventionsgruppe. Denn schließlich sei der weiße Raum, in dem interveniert wurde, ein Schutzraum für Trans*-Personen. Somit müsse, als Legitimation, ein_e Trans*Inter*GnC (Gender non Conforming) PoC oder Schwarz_e in die Intervention involviert sein.'"
Da WELT-Autor Jan Küveler unterstellt, dass man das Schriftstück für einen "vortrefflichen Fall konkreter Poesie" halten könnte, erklärt er die wichtigsten Kürzel in einem Glossar, das vor Hohn und Spott und eingestandener Ahnungslosigkeit trieft.
Schelte für "Wozzeck"-Oper in Zürich
"Bekanntlich haben alle Schlampen rote Haare", titelt unterdessen die FRANKFURTER ALLGEMEINE ZEITUNG. Konterkariert damit aber nicht den tragikomischen Korrektheitsfimmel der Gender Studies, sondern spießt eine Eigenheit der Inszenierung von Alban Bergs "Wozzeck"-Oper in Zürich auf: Um die Marie schlampenhaft feuerrothaarig auftreten lassen zu können, wurde dort eigens das Libretto umgeschrieben. Laut Eleonore Büning hat's aber nichts gebracht. Allein den Bariton Christian Gerhaher nimmt die FAZ-Autorin aus ihrer Generalschelte aus:
"Als einzigem Sänger gelingt es Gerhaher, dem Würgegriff des Bundplakativen zu entgehen. Er chargiert nicht. Er singt den Wozzeck.Halb Täter ist er, halb Opfer, ein ganz und gar zerstörtes, psychopathisches Menschenkind, dem auf Erden nicht mehr zu helfen ist."
Debatte um "Hebdo"-Karikatur
Ob die Terroristen, die beim Attentat auf das französische Satire-Magazins "Charlie Hebdo" zwölf Menschen töteten, als Wiedergänger Wozzecks zu betrachten sind, sei dahingestellt. Fest steht: "Charlie Hebdo" lästert weiter. Im aktuellen Heft zeigt eine Karikatur den ertrunkenen Aylan, das weltberühmte Flüchtlingskind, unter einer McDonalds-Tafel, die zwei Kindermenüs zum Preis von einem bewirbt. Darüber der Spruch: "So nah am Ziel." Im Berliner TAGESSPIEGEL reagiert Gérard Biard, der Chefredakteur des Magazins, auf die umfängliche Kritik:
"Ich würde mir gern erklären lassen, was an dieser Karikatur rassistisch ist. Ich kann verstehen, dass sie schockiert, wie jede gute Satire. Tausende von Menschen suchten Zuflucht in Europa, wir sehen hunderte Fotos mit Flüchtlingen, und es ist uns egal. Und dann sehen wir dieses eine Foto, ein perfektes Bild, ein Symbol der Gesamtsituation. Da ist die Flüchtlingstragödie und wir machen trotzdem weiter wie bisher, stellen unsere Fast-Food-Reklame auf."
Flüchtlinge im Schauspielhaus
Das stimmt - einerseits. Andererseits erreicht die Hilfsbereitschaft Gipfelhöhe. In der TAGESZEITUNG erklärt Intendantin Karin Baier, warum das Deutsche Schauspielhaus in Hamburg zur Zeit viele Flüchtlinge beherbergt – und warum nicht:
"Unsere primäre Aufgabeist das, was wir auf der Bühne leisten. Mit unserem Spielplan versuchen wir natürlich aktuelle Bezüge herzustellen, wir eröffnen unsere Spielzeit mit einer Fluchtgeschichte. Oder wir machen 'Das Schiff der Träume': Luxusdampfer trifft Flüchtlingsschiff. Dass wir aber unser Foyer für Flüchtlinge öffnen, ist keine Aktion des Theaters als Institution, sondern das private Engagement unserer Mitarbeiter. Das darf nicht verwechselt werden."
Das für heute, liebe Hörer. Und nun kopieren wir unsere eigene Masche und enden wie fast immer mit einer Überschrift – dieses Mal aus der SÜDDEUTSCHEN ZEITUNG.
Sie lautet: "Ich kopiere, also bin ich."