Aus den Feuilletons

Wo bleibt der Roman zum Klimawandel?

Eine Spaziergängerin steht vor der untergehenden Sonne am Kronsberg bei Hannover
Angesichts von Dauerhitze, Dürrekatastrophen, Waldbränden fragt Richard Kämmerling in der "Welt" nach dem großen Schlüsselroman zum Klimawandel. © picture alliance / Julian Stratenschulte
Von Adelheid Wedel |
Die "Welt" stellt die Frage: "Wo ist die große Erzählung zum Klimawandel?" - und verweist auf ein Mammutwerk über das Kohlezeitalter. In der "SZ" ist die Obsession Thema, hierzulande alle Menschen in Deutsche und Nicht-Deutsche zu sortieren.
"Warum tut sich Deutschland so schwer damit, Einwanderung und Fremdheit zu akzeptieren?" Dieser Frage geht Jörg Häntzschel in der SÜDDEUTSCHEN ZEITUNG nach. Ihm ist aufgefallen: "Bei guter Laune spielt Herkunft in Deutschland keine Rolle. Aber nur dann." Der Ursache für diese Ambivalenz kommt er mit zwei Fragen auf die Schliche: "Was gehört zur Nation? Und vor allem wer?" Häntzschel meint: "Weil die Begriffe schwammig sind und die Definitionen fehlen, tut sich das Land mit den 'Anderen' so schwer. Klar ist, dass das Einwanderungsland Deutschland weder ein zeitgemäßes Konzept von Einwanderung, noch eines vom Deutschsein hat."

Deutschsein nur auf Bewährung

Mit Blick auf die Geschichte konstatiert der Autor, es habe sich vieles verbessert, seit in den 60er Jahren die Züge mit den Gastarbeitern in Dortmund und Gelsenkirchen einfuhren. Nicht zuletzt haben sich die Begriffe verändert. Gastarbeiter und Fremdarbeiter wurden durch das weniger ausbeuterisch klingende Ausländer abgelöst. "Doch das schürte Ressentiments gegen das Fremde." Selbst mit dem Spruch: "Alle Menschen sind Ausländer. Fast überall" gelang es nicht, dem Dualismus von fremd und heimisch zu entkommen.
Ausländische Mitbürger und Menschen mit Migrationshintergrund gehören zur vorerst letzten Etappe der Begriffsgeschichte. Wieder kommt der Autor auf die Frage zurück: "Warum halten wir es für sinnvoll und wichtig, derart obsessiv und über Generationen hinweg echte und falsche, reine und Halbdeutsche zu sortieren? Es ist doch merkwürdig", klagt Häntzschel, "wie hartnäckig sich quer durch das ideologische Spektrum das Bedürfnis hält, jeden auf seine ethnische, religiöse und kulturelle Herkunft abzuklopfen. Es ist erst gestillt, wenn alle Abweichungen von der biodeutschen, christlichen Norm benannt sind." Sein bitteres Fazit dieser Bestandaufnahme lautet: "Wer deutsch ist, ist es für immer, wer deutsch geworden ist, ist es nur auf Bewährung."

Welche Funktion hat Theater heute?

"Manchmal kann nur das Scheitern helfen, tröstet die Tageszeitung TAZ. Astrid Kaminski bezieht das auf das Podium "Actor/Performer" beim diesjährigen Symposium der Theater-Biennale in Venedig. Sie erfindet weitere Umschreibungen, um diese Veranstaltung zu charakterisieren: "...eine Runde von Expert*innen, die sich an der Erneuerung von Strukturen abarbeiten oder ihnen zum Opfer fielen oder beides." Passend auch: "Eine Runde Kämpfer*innen und Bekämpfte. In einer Zeit, in der die kulturelle und politische Landschaft sich rasend schnell verändert." Kaminski berichtet von der Suche des international besetzten Gremiums nach der Funktion von Theater heute. "Braucht es neue Institutionen oder soll man bestehende flexibel machen?" war eine der diskutierten Fragen. Oder: "Theater als Labor. Wie agieren, wenn sowohl Realität als auch Fiktion unbrauchbare Konzepte geworden sind?"

Mammutwerk über das Kohlezeitalter

"Wo ist die große Erzählung zum Klimawandel?" fragt Richard Kämmerling in der Tageszeitung DIE WELT. "Überall Dauerhitze, Dürrekatastrophen, Waldbrände" – das lässt die Frage aufkommen: "Ist das schon die Apokalypse oder noch ein ganz normaler Sommer in Deutschland?" Kämmerling verweist auf den Schriftsteller William T. Vollmann, der ein Mammutwerk über das Kohlezeitalter verfasst hat. Vollmann, 1959 in Los Angeles geboren, nennt er "einen der klügsten und produktivsten Autoren Amerikas".

Wie halten Sie es mit dem Klimawandel?

Neben zahlreichen historischen Romanen hat er unter anderem einen 3 300 Seiten starken Essay über Gewalt veröffentlicht. "Ein ethnologisches Interesse an fremden Kulturen, Denk- und Lebensweisen, intensive Recherche und unersättliche Neugier kennzeichnen alle seine Werke, von denen bisher erst ein Bruchteil ins Deutsche übersetzt ist."
In "Carbon Ideologies" stellt Vollmann seinen Interviewpartnern immer wieder die Frage, wie sie es mit dem Klimawandel halten. "Vollmann ist ein Moralist", so das Fazit von Kämmerling. "Sein Buch ist ein singulärer Hybrid aus Manifest und Enzyklopädie, es ist durchzogen von bitterer Komik und zugleich voller Trauer um eine Welt, die schon dem Untergang geweiht ist, während sie doch noch in schönster Blüte steht."
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