Aus den Feuilletons - Wochenrückblick

Der europäische Steuerzahler und die Pressefreiheit

Das Bild zeigt für die Pressefreiheit protestierende Regierungsgegner in der ungarischen Hauptstadt Budapest. Einige halten Ausgaben der inzwischen eingestellten Tageszeitung "Nepszabadsag" in die Höhe.
Demonstration für Pressefreiheit in Budapest am 16. Oktober 2016, eine Woche nach Schließung der Tageszeitung "Nepszabadsag" © dpa / picture alliance / Mohai Balazs
Von Tobias Wenzel |
Finanziert Brüssel die Einschränkung der Pressefreiheit in Ungarn? Der Journalist Gergely Márton vertritt diese These in der "tageszeitung". Viel Geld aus der EU versickere in den Taschen regierungstreuer Unternehmer, die damit die Medien in Ungarn aufkauften.
Mit Liebe beginnt dieser Rückblick auf die Feuilletonwoche, und nach Analysen der hässlichen Realität wird er auch mit Liebe enden.
Andreas Platthaus gestand in der FRANKFURTER ALLGEMEINEN ZEITUNG seine noch ganz frische Liebe zu Türklinken. In einer Ausstellung im Leipziger Grassimuseum berührte und führte der Journalist viele schöne und praktische Klinken, allerdings auch eine missglückte. Die entwarf einst der Philosoph Ludwig Wittgenstein und missachtete dabei die goldene Klinkenregel:
"Den Griff ins Leere schätzt die Hand nicht. Sie will ballig geführt werden."
In den Worten von Andreas Platthaus:
"Der gewinkelte, sachlich dünne Stahlstab ist eine Enttäuschung für die Hand, und da Wittgenstein für die weniger repräsentative Innenseite der Türen noch dünnere Stäbe verwandte, kann sich die Designgeschichte glücklich preisen, dass der Philosoph zwei Jahre später einem Ruf an die Universität Cambridge folgte und das Gestalten sein ließ."
Donald Trump ist leider kein Türklinkendesigner, sondern der neue Präsident der USA.
"Wir haben zwei Weltkriege angefangen – warum nicht von den Besten lernen?"
Mit diesem satirischen Video bewirbt sich Österreich (natürlich nicht das offizielle) im Internet bei Trumps Chef-Ideologen Steve Bannon, wie im neuen SPIEGEL zu lesen ist.
"Die Sonne dreht sich eben doch um die Erde, weil jeder Mensch morgens beobachten kann, wie die Sonne aufgeht",
schrieb Michael Hagner in der NEUEN ZÜRCHER ZEITUNG. Der Wissenschaftshistoriker wollte sich allerdings mit diesem Satz nicht bei Trumps Team bewerben, sondern verdeutlichen, wie absurd es ist, wissenschaftlich belegte Tatsachen wie den Klimawandel zu leugnen.
"Es geht […] um Wissenschaft und Demokratie gegen Fundamentalismus und Barbarei",
warnte er vor Trump und dem neuen Irrationalismus.
Vielleicht nicht barbarisch, aber doch eskalierend erschien einigen Feuilletonisten das SPIEGEL-Cover der letzten Woche: Der US-Präsident köpft blutig die Freiheitsstatue.
"Donald Trump lässt zwar weiter Drohnen bomben, will die USA durch physische Grenzen und Zölle abschotten, erlässt ein schändliches Einreiseverbot. Aber das Kopfabschneiden ist eine Domäne des IS", schrieb Malte Göbel in der TAZ und fragte:
"Wie will der SPIEGEL aufmachen, wenn die Lage in den USA weiter eskaliert? Wenn (möglicherweise nach einem Anschlag) Muslime registriert, Moscheen geschlossen werden? […] Was will der SPIEGEL der Freiheitsstatue dann abschneiden? Ihren Kopf verloren hat sie ja schon. Und der Spiegel seinen offensichtlich auch."
So würden die Trump-Kritiker "zu Mitspielern der Trump-Show statt zu ihren Entzauberern", meinte auch Ursula Scheer von der FAZ, während Adam Soboczynski in der ZEIT dagegen hielt. Die Enthauptung der Freiheitsstatue sei doch nur eine Metapher. Und im Übrigen:
"Viel größer als die Gefahr, es mit der Kritik an Trump zu übertreiben, scheint doch, dass man sich an die schleichende Aushöhlung ziviler Mindeststandards gewöhnt, an das Gift notorischer Beleidigungen, an die Verprollung von Politik, an die Verachtung von Minderheiten und die Geringschätzung von Gewaltenteilung."
"Wir sind schuld daran, dass Europa heute so aussieht wie Rimbauds trunkenes Schiff",
schrieb der rumänische Schriftsteller Mircea Cătărescu selbstkritisch in der FAZ. Nun hat er gemeinsam mit Hunderttausenden auf den eiskalten Straßen von Bukarest demonstriert,
"gegen die menschliche Gemeinheit, gegen die organisierte Korruption, gegen die Verachtung und Arroganz"
in der rumänischen Politik. Der Justizminister, der die Lockerung der Anti-Korruptionsgesetzte vorangetrieben hat, ist nun zurückgetreten. Ein erster Erfolg für die Demonstranten.
"Wir können uns nur auf uns selbst verlassen, auf unsere, die Macht der Ohnmächtigen", schrieb Mircea Cătărescu.
Nicht die Macht, sondern die Ohnmacht überwog in Gergely Mártons Artikel für die TAZ. Über die kritischen ungarischen Journalisten schrieb er:
"Wir fühlen uns wie Eisbären am wegbrechenden arktischen Eis."

Márton ist ehemaliger stellvertretender Chefredakteur der ungarischen Tageszeitung "Népszabadság". Die ist vor vier Monaten eingestellt worden.
"Man kann schreiben, dass deutsche SteuerzahlerInnen die Einstellung von Népszabadság mitfinanziert haben",
erklärte er mit Blick auf den europäischen Strukturfonds.
"Das Geld fließt in große Infrastrukturprojekte. Dort versickern unheimliche Summen in den Taschen regierungstreuer Unternehmer. Für diese Selbstbereicherung bringen sie Gegenleistungen. Zum Beispiel kaufen sie die Medien des Landes auf – und bringen sie stramm auf Linie."
Damit das Hässliche nicht das letzte Wort hat, zum Schluss, wie angekündigt, noch schnell etwas Liebe:
"Ich liebe dieses kräftige Blau",
hat Vjéran Tomic über das von ihm (neben Werken von Picasso und Modigliani) gestohlene Gemälde von Matisse gesagt. Johannes Wetzel berichtete in der WELT über diesen Pariser Kunstraub und die drei Angeklagten, so dass man meinte, einer Kinokomödie beizuwohnen. Ein Uhrmacher, der behauptete, alle Bilder versteckt und dann aus Angst in den Müll geworfen zu haben, hatte wiederum vom vermeintlichen Auftraggeber den Modigliani "Frau mit Fächer" gekauft und sich, so die Andeutung seiner Anwältin, in die abgebildete Frau verliebt:
"'Eine kalte, ferne, aber verzaubernde Frau‘ habe ihren Klienten angesehen."
Ob der Richter auf solche Liebesgeschichten steht, wird er am 20. Februar verraten, wenn er das Urteil verkündet.
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