Zaghaftes Tanzen statt Eskalation
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Fünf "Spiegel"-Autoren fragen sich, ob es zum Ende der Pandemie möglich ist, zaghaft zu feiern. Sie freuen sich auf die flüchtigen Begegnungen im öffentlichen Raum. Ein Autor wundert sich, dass eine Freiluft-Party in Berlin nicht eskaliert.
"Friederike Mayröcker war die sanftmütigste und magischste aller deutschsprachigen Gegenwartsdichterinnen", schreibt Beatrice von Matt in der NEUEN ZÜRCHER ZEITUNG über die mit 96 Jahren gestorbene Wienerin.
Mayröcker habe in der "Ekstase" "asketisch" maßgehalten, behauptet die Kritikerin und erläutert das, indem sie die Autorin so zitiert: "Was die Intuition an Wahnwitz und Ungestüm wagt, wird vom Verstand gleichzeitig oder im Nachhinein bedachtvoll, präzise und streng in wahrheitsgetreue Form gebracht, fixiert und versiegelt. So wird Ekstase zu einer Disziplin."
"Friederike Mayröcker war eine Bezähmerin des wilden Materials, das sich auch in ihr selbst türmte", beschreibt es Paul Jandl in der WELT. In Mayröckers Ideen seien "Schauen, Empfinden und Denken eins" geworden. "Der Stachel des Todes ist in ihrem Werk gegenwärtig wie in kaum einem anderen", schreibt Jandl und erklärt das mit dem Tod von Mayröckers Partner und Kollegen Ernst Jandl. (Paul und Ernst Jandl sind übrigens nicht miteinander verwandt.)
Husten und Melancholie
In der FRANKFURTER ALLGEMEINEN zitiert Andreas Platthaus die Verse Mayröckers, mit denen sie drei Tage vor Ernst Jandls Tod auf ein älteres Gedicht von ihm antwortete: "in der Küche stehn wir beide / rühren in dem leeren Topf / schauen aus dem Fenster beide / haben 1 Gedicht im Kopf".
"Nächtelanges Husten schärfte ihren Sinn für die Hinfälligkeit des Körpers", formuliert es der Dichterkollege Norbert Hummelt im TAGESSPIEGEL, "eine schon das Kind erfassende Neigung zur Melancholie, von der die Dichterin einmal sagte, sie habe sie von ihrer Mutter geerbt, trieb sie dazu, den Sinn des Lebens nicht im Handeln, sondern in der Vergegenwärtigung erlebter Augenblicke zu suchen."
Hummelt hat, liest man heraus, Friederike Mayröcker persönlich in Wien getroffen. So beschreibt er ihre "verwunschene" Wohnung. "Früher empfing sie dort ihre Besucher", schreibt Hummelt. "später verabredete sie sich nur noch in Kaffeeehäusern, wo sie stets schon vor der Zeit, immer ganz in Schwarz gewandet, mit etlichen Beuteln und Handtaschen und dem unentbehrlichen Blutdruckmessgerät bewaffnet, bei einem Gläschen Marillensaft saß und wartete."
"Ein Tanz der Angst"
Ein Gläschen Marillensaft oder auch ein Tässchen Tee im Café trinken, so langsam wird das wieder möglich. Und auch die Kultur kriecht aus dem Pandemieloch hervor, muss allerdings recht strenge Auflagen einhalten.
"Lässt sich auch zaghaft feiern?", fragen deshalb fünf Autoren im neuen SPIEGEL. Sie freuen sich schon, "dass wir alle bald wieder die zufälligen Wortfetzen von Menschen hören können, die sich neben einem drängeln, spüren, wie eine Frau im Abendkleid an einem vorbeirauscht, bemerken, wie es klingt, wenn eine Lederjacke quietscht, weil ein Mann die Hand hebt."
Aber die Realität sieht in der Kulturszene noch anders aus. Noch gilt vielerorts Sicherheitsabstand. Und so nahm eine Rave-Veranstaltung auf dem Tempelhofer Feld in Berlin skurrile Züge an. Der dortige "Post-Corona-Tanz" verstörte die SPIEGEL-Autoren jedenfalls: "Was haben die vergangenen Monate aus uns gemacht?", fragen sie. "Das soll tanzen sein? Zartes Füßeheben, ängstliches Beisammenstehen, unter den wachsam-freundlichen Augen der Polizei? Ein Tanz der Angst. Ein zartes, vorsichtiges Zurücktanzen ins Leben."
Eine Dose Impfstoff im Darknet kaufen
Je mehr geimpft wird, desto forscher wird vermutlich bald getanzt. Nur was tun, wenn man trotz aufgehobener Impfpriorisierung noch keinen Impftermin hat?
Hans Zippert gibt da in seiner satirischen Kolumne für DIE WELT einen Tipp: "Sich bei Ebay-Kleinanzeigen oder im Darknet eine Dose Biontech besorgen, fünf ungeimpfte Freunde alarmieren, einen Hund oder Waschbären ausleihen und den Tierarzt fragen, ob er nach der Staupe-Immunisierung gleich weiterimpfen möchte."