Zickenkrieg im Theater
In einem offenen Brief kritisieren drei Theater-Intendanten die Pläne des Berliner Kulturstaatssekretärs Tim Renner zur Volksbühne: Darin ist von "Abwicklung", "Schließung", "Zerstörung" die Rede, berichtet die "Süddeutsche". Die "Welt" nimmt das Ganze nicht besonders ernst.
Politik im Feuilleton bedeutet selten etwas Gutes. Meist droht da etwas: Gefahr, eine Debatte, Untergang oder eine Schließung. Und oft gibt es einen offenen Brief.
Die SÜDDEUTSCHE berichtet unter dem Titel
"Das Netz bin ich": "Mark Zuckerberg möchte die restlichen zwei Drittel der Welt online bringen. Für diese Armen soll der Zugangsogar gratis sein. Doch davon wird am Ende nur Zuckerberg profitieren. Denn 'Internet' bedeutet für ihn nur: 'Facebook'."
Während man noch irgendwie verstehen kann, dass das für Zuckerberg so sein mag, ist es schon verstörender, wenn Johannes Boie berichtet, dass es auch anderen so geht: "Tatsächlich zeigen Studien, dass Bewohner ganzer Regionen in Asien und Afrika 'Facebook' und 'Internet' für ein Synonym halten."
Dazu gibt es zwar keinen offenen Brief, aber 750.000 E-Mails von Indern, die sich gegen Zuckerbergs Engagement aussprechen, und einen Gastbeitrag von Axel Wintermeyer in der FAZ. Der ist von der CDU und Chef der hessischen Staatskanzlei. Er erklärt uns die "Macht der Monopole" und fragt: "Wie reguliert man Google, Facebook und Co.?"
So richtig weiß Herr Wintermeyer das auch nicht. Aber, das ist wohl die FAZ-Botschaft, die hessische Staatskanzlei, will sagen: Die CDU ist dran, und wir müssen uns in dieser Sache keine Sorgen machen. Es gibt ja noch genug anderes. Zwei offene Briefe zum Beispiel.
Der eine stammt von dem ermordeten "Charlie-Hebdo"-Herausgeber Stéphane Charbonnier. Zwei Tage vor dem Attentat war das Manuskript fertig. Jetzt ist es als Buch erscheinen. Es heißt "Offener Brief an die Hochstapler der Islamophobie, die den Rassisten den Weg ebnen". Charbonnier schreibt darin: "Wenn man argumentiert, dass man über alles lachen kann, außer über bestimmte Aspekte des Islam, weil die Muslime da viel empfindlicher sind als der Rest der Bevölkerung, was ist das anderes als Diskriminierung?"
"Möglicherweise nicht der allerqualifizierteste Kulturstaatsekretär"
Den anderen offenen Brief haben drei deutsche Theater-Intendanten an den Berliner Kulturstaatssekretär Tim Renner geschrieben. Es geht um dessen Pläne, den Kurator Chris Dercon zum Intendanten der Volksbühne zu machen. Der, zitiert Jörg Häntzschel in der SÜDDEUTSCHEN, hat "vor seinem Wechsel zur Londoner Tate Modern sein Konzept in einem Interview so erläutert: 'Ich bevorzuge es eigentlich eher, eine Volksbühne zu sein als ein Mausoleum, indem nur zelebriert oder angebetet wird.'"
Das erklärt immerhin, wie Renner Dercon und die Volksbühne zusammengebracht hat. Häntzschels Blattkollegin Christine Drössel erläutert: "'Abwicklung', 'Schließung', 'Zerstörung' – die Untergangsrhetorik des Intendantenbriefs ist heftig und im Fall Volksbühne sicherlich übertrieben. Aber sie verdeutlicht doch anschaulich, in welcher Defensive sich die Bühnen in Deutschland inzwischen sehen."
In der WELT fasst Matthias Heine die Sache so zusammen:
"Renner gegen Castorf und für Dercon. Ostermeier gegen Renner. Peymann gegen alle. Und Lilienthal für sich selbst." Er nennt's schlicht einen "Berliner Theaterzickenkrieg" und meint: "Mit dem Verdacht, Renner könnte möglicherweise nicht der allerqualifizierteste Kulturstaatsekretär sein, den Berlin je hatte, steht Peymann nicht allein da. Viele Menschen fühlten sich unbehaglich bei dem Gedanken, sie wären ausnahmsweise mal derselben Meinung wie Claus Peymann. Mit einem Interview in der ZEIT, in dem er in gewohnter Manier kenntnisfrei alle und jeden außer sich selbst zu kunstfeindlichen Idioten erklärte, hat Peymann dann freundlicherweise gleich jedes aufkeimende Solidaritätsgefühl wieder erfrieren lassen."
"Zerstörung ist hier gängige künstlerische Praxis"
Die BERLINER ZEITUNG zeigt Tim Renner beim Kaffeetrinken und druckt den Brief im Wortlaut. Der beginnt:
"Die Gesellschaft ist in Bewegung, die Städte sind in Bewegung, und die Künste sind es Gottseidank auch. Die Bewegung aber, die Sie als Verantwortlicher Politiker derzeit der Berliner Kultur verordnen möchten, bewirkt Zerstörung."
Ulrich Seidler meint dazu in der BERLINER ZEITUNG:
"Die derzeitige Volksbühne hat die kühnsten Vorschwebungen von Tim Renner schon längst in konkrete Fantasien verwandelt und spielend verwirklicht, verworfen oder überboten. Selbst die Zerstörung ist hier längst künstlerische Praxis. Nicht einmal hierbei ist also Hilfe nötig. Das Danach kommt früh genug."
Hoffnung hört sich irgendwie anders an.