Aus der Geschichte lernen

Reinhart Koselleck geht in seinem Buch "Vom Sinn und Unsinn der Geschichte" der Frage nach, welche Schlüsse sich aus der Geschichte Preußens ziehen lassen. Darum geht es um den Staat, der es mit der Einheit von Monarchie, Armut, Soldatentum sowie einem Rechtsstaat ohne Demokratie versuchte.
Es gibt erstens wenige Historiker, die so grundsätzlich wie Koselleck über das nachdachten, was jenes Interesse an Geschichte ausmacht und was "Geschichte" selbst überhaupt ist. Und es gibt zweitens noch weniger Historiker, die dies so wie er auf völlig klare und anschauliche Weise getan haben.

Das zeigt sich auch in diesem Band an Essays wie dem zur Frage, ob sich aus der Geschichte Preußens etwas lernen lässt. Die gut 20 Seiten ersetzen ganze Seminare zu diesem verschwundenen Staat, der es mit der Einheit von Monarchie, Armut, Soldatentum und Vernunft sowie einem Rechtsstaat ohne Demokratie versuchte. Koselleck untersucht mit kühler Sympathie, worin die Substanz der "preußischen Tugenden" bestand.

Und er rät zu Skepsis, was das politische, militärische oder moralische Lernen aus der Geschichte angeht. Oder: Der Aufsatz über "Das Zeitalter des Totalen" geht der Frage nach, ab wann und auf welche Weise universale Machtansprüche erhoben und totale, gegen ganze Bevölkerungen und nicht nur gegen Armeen gerichtete Kriege geführt worden sind.

Eben darin bestand das große Sensorium dieses Historikers: In jeder Geschichte, jedem historischen Vorgang erkannte er die allgemeine Frage, die sich dem stellt, der von ihm erzählen möchte. Und umgekehrt fand er zu jeder allgemeinen Frage - gibt es historische Übergangszeiten? Was ist eine Epoche? Wie verhalten sich Vergessen und das Erinnern von etwas Schlechtem zueinander? Die instruktivsten historischen Fälle, um sie zu diskutieren.

Lassen sich Fiktion und Wirklichkeit an historischen Dokumenten unterscheiden? Ja, schon, sagt Koselleck, aber was macht man mit Träumen von Insassen des "Dritten Reichs", die ihre Lage besser treffen als jede andere Quelle? Eine andere Frage betrifft die Möglichkeit von Wiederholungen in der Geschichte.

Kann es sie wirklich geben? Und was macht derjenige, der das verneint, mit der Konstanz der Begriffe und "plots", mittels deren wir Geschichten erzählen? Koselleck findet die reizvolle, fast an einen Schlagertext erinnernde Formel, dass sich Geschichte immer anders wiederholt.

So lernt man bei der Lektüre stets etwas Konkretes und etwas Allgemeines. Man lernt etwas über Stalingrad und über Geschichtsphilosophie, über Goethe und über die Möglichkeiten, sich von Geschichte zu distanzieren. Und man lernt das eine am anderen. Mehr kann niemand verlangen. Es gibt keinen besseren Geschichtsunterricht als diesen.

Besprochen von Jürgen Kaube

Reinhart Koselleck: Vom Sinn und Unsinn der Geschichte
Aufsätze und Vorträge aus vier Jahrzehnten, hrsg. und mit einem Nachwort von Carsten Dutt, Suhrkamp Verlag, Berlin 2010, 388 Seiten, 32 Euro