Aus der Geschichte lernen
"Von Schiller lernen", so ist diese Reihe überschrieben. Doch ich weiß nicht, ob am Ende dieser Aufforderung ein mehrfaches Ausrufungszeichen stehen soll, das uns ermahnt, eine bessere Zukunft durch einen lernenden Blick auf Schillers Lebensweg zu finden. Oder, ob gar ein stilles Fragezeichen die Überschrift beendet: Kann man denn überhaupt aus einer Zeit vor über 200 Jahren eine Orientierung mitnehmen für unsere so ganz andere und ungewisse Zukunft?
Im Jahr 2005 erinnern wir den 200. Todestag des Dichters und Historikers Friedrich Schiller. Des frühen Bewunderers der französischen Revolution von 1789 und späteren Ehrenbürgers der Französischen Republik; Danton selbst hatte noch kurz vor seiner Hinrichtung die Urkunde unterzeichnet. Schiller, allerdings, erteilte wenige Jahre nachdem ihm diese Ehre zuteil wurde zwar nicht dem Dreiklang "Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit" eine Absage, wohl aber dem, was die Kräfte der Revolution dann aus diesem Ideal gemacht hatten: Terror, Blut und Nationalismus. 1799 schrieb dann ein von der Geschichte belehrter Schiller im Lied von der Glocke:
"Wo rohe Kräfte sinnlos walten
Da kann sich kein Gebild gestalten,
wenn sich die Völker selbst befrein
Da kann die Wohlfahrt nicht gedeihn.
Und sogar seine eigene große Ode, geschrieben zwischen 1785 und 1787, jene von Beethoven in dessen 9. Symphonie vertonte, heutige Europa-Hymne "Freude schöner Götterfunke ....." missbilligte Schiller in einem Brief an seinen Dresdner Freund Körner. Ein "schlechtes Gedicht", nannte er seine Ode, denn sie sei einem "fehlerhaften Geschmack der Zeit" gefolgt. Aber wir singen sie heute noch; wir in Europa und sogar in den Vereinten Nationen. Und das mit Überzeugung.
Schiller hatte Hoffnungen gehegt, Enttäuschungen erfahren - und er hatte aus dem Verlauf der Geschichte dann auch gelernt. Dennoch, er hätte vermutlich auch so manchen idealistischen Vorstoß unseres Jahrhunderts gutgeheißen, dessen mögliches Scheitern dem konservativen, skeptischen Klassiker Goethe wahrscheinlich schneller erkennbar gewesen wäre. Aber Schiller hielt eben fest an seinem Glauben an das Gute und Schöne im Menschen. Und da wir auch große, friedliche Revolutionen in unserer Zeit erlebt haben, hätte Friedrich Schiller die eben zitierte Zeile aus der "Glocke" "... wenn sich die Völker selbst befrein.../Da kann die Wohlfahrt nicht gedeihn" heute vielleicht ebenfalls widerrufen.
Doch vieles, das zunächst erhobenen Hauptes, selbstgewiss und mit guten Absichten daher kommt, trägt eben auch den Keim der Fäulnis in sich. So war es doch mit den nationalen Bewegungen, die ursprünglich dem Volk nur Selbstbestimmung und Freiheit bringen wollten - aber sie brachten auch die Toten der großen Kriege, ebenso wie die Verherrlichung der Selbstmordattentäter heute. Oder, wenn Propheten uns Gleichheit und Freiheit von der Knechtschaft des Kapitals versprachen - diese Versprechen führten auch in die Gulags und in den absurden Überwachungsstaat der DDR.
Was also ist aus der Geschichte zu lernen? Ich denke, als aller Wichtigstes dies: dass der Mensch bleibt was er immer war: Ein gefährliches Wesen, das wir nur in den Grenzen einer rechtlichen Ordnung zivilisieren können. Durch eine Zivilisation, die immer auch die Kraft und den Mut haben muss sich gegen populistische Strömungen zu stellen und dem Recht zur Herrschaft zu verhelfen. Wir müssen lernen, dass alles Gute zwar mit Freiheit beginnt, dass aber diese Freiheit, dieses Recht zur Selbstverwirklichung, niemals zu einem Anspruch auf Ausbeutung oder Unterwerfung anderer Menschen ausarten darf. Deswegen lebt eine freie Gesellschaft vom Kompromiss. Aus der Geschichte lernen heißt zu wissen, dass das Zusammenleben der Menschen eine praktische, eine menschengerechte Aufgabe ist und kein theoretisches Experiment.
Das heißt nun nicht, man könne und solle in der Politik keine Ideale haben. Doch "Lernen aus der Geschichte" bedeutet eben die Erfahrungen der Vergangenheit so ernst zu nehmen, wie wir auch unsere persönlichen Lebenserfahrungen ernst nehmen müssen, - wenn wir klug sein wollen. Fehler muss man natürlich machen dürfen, denn "aus Fehlern" - nicht aus Erfolgen - "wird man klug", sagt der Volksmund.
Welche Erfahrung sollten wir dann heute unbedingt erinnern? Ich denke in erster Linie, dass freie Menschen, die ihre Verantwortung für sich selbst erfahren und so ihr Leben gemeistert haben, auch diejenigen sein werden, die neuen Herausforderungen dann mit weniger Angst, mehr Zuversicht und größeren Erfolgschancen begegnen können. Selbstvertrauen entsteht auch durch die Überwindung von Risiken.
Wir alle gehen schwierigen Zeiten entgegen, wer würde das nicht sehen; die ganze reiche, westliche Welt. Doch diejenigen unter uns, die sich nicht vor der Zukunft fürchten, sie werden die neuen Risiken auch am besten bestehen. "The only thing we have to fear is fear itself" - "das Einzige, was wir zu fürchten haben ist die Furcht selbst" - so rief Präsident Franklin D. Roosevelt im Jahre 1932 seinem Volk zu und führte die USA aus einer nahezu ausweglosen Lage in eine neue Freiheit - während Deutschland im Nationalsozialismus versank.
Und da bin ich dann wieder bei Friedrich Schiller. Mut hat sein ganzes Leben bestimmt. Von der jugendlichen Rebellion gegen einen diktatorischen Fürsten bis in seine letzten Lebensjahre, als er Tag für Tag seiner langen Krankheit ein großes, uns noch heute bewegendes Werk abrang.
"Aus der Geschichte lernen" heißt für mich deswegen auch persönlich von denjenigen zu lernen, die unter gefährlichen Umständen Mut für die Zukunft zeigten; die sich nicht Stimmungen beugten, sondern mutig Vernunft und Einsicht folgten. Wie der große Dichter Friedrich Schiller. Vielleicht sollte "gegen den Strom schwimmen" eine neue olympische Disziplin werden.
Klaus von Dohnanyi, SPD-Politiker und Publizist, wurde 1928 in Hamburg geboren. Nach dem Krieg studierte er Jura in München sowie an Universitäten in den USA und arbeitete als Manager in der freien Wirtschaft. Dohnanyi, dessen Vater im Widerstand gegen Hitler aktiv war und im KZ Sachsenhausen ermordet wurde, trat 1957 in die SPD ein. Er wurde zunächst Staatssekretär im Bundeswirtschaftsministerium, später Bundesbildungsminister und Staatsminister im Auswärtigen Amt. Von 1981 bis 1988 war Dohnanyi Bürgermeister von Hamburg. Danach übernahm er Aufgaben bei der Treuhand und in der Wirtschaft für den Aufbau Ostdeutschlands. Zu seinen Veröffentlichungen zählen "Japanische Strategien oder Das deutsche Führungsdefizit", "Die Schulen der Nation - Zur Bildungsdebatte: Fakten, Forderungen, Folgen" (Hrsg.), "Notenbankkredit an den Staat?" (Hrsg.), "Hamburg - mein Standort", "Brief an die Deutschen Demokratischen Revolutionäre", "Das deutsche Wagnis" und "Im Joch des Profits? Eine deutsche Antwort auf die Globalisierung".
"Wo rohe Kräfte sinnlos walten
Da kann sich kein Gebild gestalten,
wenn sich die Völker selbst befrein
Da kann die Wohlfahrt nicht gedeihn.
Und sogar seine eigene große Ode, geschrieben zwischen 1785 und 1787, jene von Beethoven in dessen 9. Symphonie vertonte, heutige Europa-Hymne "Freude schöner Götterfunke ....." missbilligte Schiller in einem Brief an seinen Dresdner Freund Körner. Ein "schlechtes Gedicht", nannte er seine Ode, denn sie sei einem "fehlerhaften Geschmack der Zeit" gefolgt. Aber wir singen sie heute noch; wir in Europa und sogar in den Vereinten Nationen. Und das mit Überzeugung.
Schiller hatte Hoffnungen gehegt, Enttäuschungen erfahren - und er hatte aus dem Verlauf der Geschichte dann auch gelernt. Dennoch, er hätte vermutlich auch so manchen idealistischen Vorstoß unseres Jahrhunderts gutgeheißen, dessen mögliches Scheitern dem konservativen, skeptischen Klassiker Goethe wahrscheinlich schneller erkennbar gewesen wäre. Aber Schiller hielt eben fest an seinem Glauben an das Gute und Schöne im Menschen. Und da wir auch große, friedliche Revolutionen in unserer Zeit erlebt haben, hätte Friedrich Schiller die eben zitierte Zeile aus der "Glocke" "... wenn sich die Völker selbst befrein.../Da kann die Wohlfahrt nicht gedeihn" heute vielleicht ebenfalls widerrufen.
Doch vieles, das zunächst erhobenen Hauptes, selbstgewiss und mit guten Absichten daher kommt, trägt eben auch den Keim der Fäulnis in sich. So war es doch mit den nationalen Bewegungen, die ursprünglich dem Volk nur Selbstbestimmung und Freiheit bringen wollten - aber sie brachten auch die Toten der großen Kriege, ebenso wie die Verherrlichung der Selbstmordattentäter heute. Oder, wenn Propheten uns Gleichheit und Freiheit von der Knechtschaft des Kapitals versprachen - diese Versprechen führten auch in die Gulags und in den absurden Überwachungsstaat der DDR.
Was also ist aus der Geschichte zu lernen? Ich denke, als aller Wichtigstes dies: dass der Mensch bleibt was er immer war: Ein gefährliches Wesen, das wir nur in den Grenzen einer rechtlichen Ordnung zivilisieren können. Durch eine Zivilisation, die immer auch die Kraft und den Mut haben muss sich gegen populistische Strömungen zu stellen und dem Recht zur Herrschaft zu verhelfen. Wir müssen lernen, dass alles Gute zwar mit Freiheit beginnt, dass aber diese Freiheit, dieses Recht zur Selbstverwirklichung, niemals zu einem Anspruch auf Ausbeutung oder Unterwerfung anderer Menschen ausarten darf. Deswegen lebt eine freie Gesellschaft vom Kompromiss. Aus der Geschichte lernen heißt zu wissen, dass das Zusammenleben der Menschen eine praktische, eine menschengerechte Aufgabe ist und kein theoretisches Experiment.
Das heißt nun nicht, man könne und solle in der Politik keine Ideale haben. Doch "Lernen aus der Geschichte" bedeutet eben die Erfahrungen der Vergangenheit so ernst zu nehmen, wie wir auch unsere persönlichen Lebenserfahrungen ernst nehmen müssen, - wenn wir klug sein wollen. Fehler muss man natürlich machen dürfen, denn "aus Fehlern" - nicht aus Erfolgen - "wird man klug", sagt der Volksmund.
Welche Erfahrung sollten wir dann heute unbedingt erinnern? Ich denke in erster Linie, dass freie Menschen, die ihre Verantwortung für sich selbst erfahren und so ihr Leben gemeistert haben, auch diejenigen sein werden, die neuen Herausforderungen dann mit weniger Angst, mehr Zuversicht und größeren Erfolgschancen begegnen können. Selbstvertrauen entsteht auch durch die Überwindung von Risiken.
Wir alle gehen schwierigen Zeiten entgegen, wer würde das nicht sehen; die ganze reiche, westliche Welt. Doch diejenigen unter uns, die sich nicht vor der Zukunft fürchten, sie werden die neuen Risiken auch am besten bestehen. "The only thing we have to fear is fear itself" - "das Einzige, was wir zu fürchten haben ist die Furcht selbst" - so rief Präsident Franklin D. Roosevelt im Jahre 1932 seinem Volk zu und führte die USA aus einer nahezu ausweglosen Lage in eine neue Freiheit - während Deutschland im Nationalsozialismus versank.
Und da bin ich dann wieder bei Friedrich Schiller. Mut hat sein ganzes Leben bestimmt. Von der jugendlichen Rebellion gegen einen diktatorischen Fürsten bis in seine letzten Lebensjahre, als er Tag für Tag seiner langen Krankheit ein großes, uns noch heute bewegendes Werk abrang.
"Aus der Geschichte lernen" heißt für mich deswegen auch persönlich von denjenigen zu lernen, die unter gefährlichen Umständen Mut für die Zukunft zeigten; die sich nicht Stimmungen beugten, sondern mutig Vernunft und Einsicht folgten. Wie der große Dichter Friedrich Schiller. Vielleicht sollte "gegen den Strom schwimmen" eine neue olympische Disziplin werden.
Klaus von Dohnanyi, SPD-Politiker und Publizist, wurde 1928 in Hamburg geboren. Nach dem Krieg studierte er Jura in München sowie an Universitäten in den USA und arbeitete als Manager in der freien Wirtschaft. Dohnanyi, dessen Vater im Widerstand gegen Hitler aktiv war und im KZ Sachsenhausen ermordet wurde, trat 1957 in die SPD ein. Er wurde zunächst Staatssekretär im Bundeswirtschaftsministerium, später Bundesbildungsminister und Staatsminister im Auswärtigen Amt. Von 1981 bis 1988 war Dohnanyi Bürgermeister von Hamburg. Danach übernahm er Aufgaben bei der Treuhand und in der Wirtschaft für den Aufbau Ostdeutschlands. Zu seinen Veröffentlichungen zählen "Japanische Strategien oder Das deutsche Führungsdefizit", "Die Schulen der Nation - Zur Bildungsdebatte: Fakten, Forderungen, Folgen" (Hrsg.), "Notenbankkredit an den Staat?" (Hrsg.), "Hamburg - mein Standort", "Brief an die Deutschen Demokratischen Revolutionäre", "Das deutsche Wagnis" und "Im Joch des Profits? Eine deutsche Antwort auf die Globalisierung".