Aus der Hölle zum Paradies
Durch den Verzicht auf Reim und Versform versetzt Hartmut Köhler der "Göttlichen Komödie" einen erfrischenden Modernisierungsschub. Sein "Inferno" ist wunderbar lesbar. Dennoch nimmt er Dante nichts von seiner Plastizität.
Es ist ein farbenprächtiges Gemälde, überbordend und mitreißend: die Hölle in Dantes "Göttlicher Komödie". Da wird geheult, gezagt, gezittert, gekreischt und geschluchzt, sich in schlammigen Sudelseen gewälzt, mit wutverzerrten Fratzen geprügelt und das Fleisch von den Rippen gerissen. Die verdammten Seelen braten in größter Hitze, kochen im Pech oder sind den Peitschenschlägen eines schwarzen Regens ausgesetzt.
Man kann kaum genug bekommen von den Nöten des Liebespaares Paolo und Francesca oder den Plagen Farinatas, die Dante mit einer heimlichen Lust zu schildern scheint. In Hartmut Köhlers neuer Übersetzung, der jetzt den ersten Teil der "Komödie" in Prosa vorlegt, gewinnt das Werk auch auf Deutsch seine fesselnde Kraft zurück.
Aber worum geht es eigentlich in dem berühmten Gedicht? Streng genommen erzählt Dante die Geschichte einer Krise, die durch Erkenntnis überwunden wird – den Aufstieg aus dem Dunkel zum Licht, aus der Hölle zum Paradies.
Der Held und Ich-Erzähler Dante hat sich in der Mitte seines Lebens in einem tiefen, dunklen Wald verirrt und wird von wilden Tieren bedroht. Nur durch die Hilfe Vergils kann er dem Dickicht entkommen. Vergil geleitet ihn durch die Höllenkreise bis auf den Läuterungsberg. Von dort aus gelangt er zum Paradies, wo ihn seine Geliebte Beatrice in Empfang nimmt.
Die "Göttliche Komödie", Auftakt und erster Höhepunkt der italienischen Literatur, war immer ein populäres Werk. Um 1308 entstanden, kursierte das "Inferno" schon kurze Zeit später in den städtischen Zentren. Man trug es auswendig vor und schrieb es immer wieder ab. Zum ersten Mal wurde die Summe des literarischen, mythologischen, astronomischen, philosophischen und theologischen Wissens nicht auf Lateinisch, sondern in der Volkssprache, dem toskanischen Italienisch, dargeboten.
Der Text besitzt eine bis heute spürbare Unmittelbarkeit: Dante spricht den Leser direkt an, fordert ihn zum Nachdenken auf, der Held selbst ist ein Lernender. Die "Göttliche Komödie" war gerade kein Werk für eine schmale Elite, sondern wandte sich an ein breites Publikum. In den Jahren nach der Veröffentlichung verbreitete sich die "Commedia" in ganz Italien, an vielen Universitäten fanden Vorlesungsreihen statt, es entstanden erste Kommentare.
Durch den Verzicht auf Reim und Versform versetzt Köhler der "Komödie" einen erfrischenden Modernisierungsschub. Sein "Inferno" ist wunderbar lesbar. Dennoch nimmt er Dante nichts von seiner Plastizität. Bei Köhler gibt es "Sudelteiche", "schaumige alte Lachen", "Sumpfgräben" und "fiese Fratzen"; er ist einfallsreich und präzise, gleichzeitig versorgt er uns in den Fußnoten mit Zitaten aus früheren Übersetzungen und erklärt, wie Dante an manchen Stellen eine fast comicartige Direktheit gewinnt, sodass man eigentlich mit Wörtern wie "Knall" und "Peng" operieren müsste.
Eine Dante-Lektüre ist immer mit der Lektüre eines Kommentars verbunden: Ohne Erläuterungen lassen sich die zahlreichen philosophischen, theologischen und philologischen Anspielungen nicht entschlüsseln, und selbst ein Muttersprachler kann die unvergleichliche Schönheit der Terzinen erst im Zusammenspiel mit den Fußnoten genießen.
Der neue Kommentar von Hartmut Köhler ist ein Glücksfall, denn er bietet dem Leser nicht nur eine Fülle von Details zu Dantes gesamtem Kosmos, sondern liefert zugleich ein grandioses kulturgeschichtliches Lesebuch, das bis in die Gegenwart reicht.
So erkennt man mit seiner Hilfe die vielgestaltigen Bezüge auf apokryphe Schriften, Ovid oder die Bibel und erfährt Aufschlussreiches über die Verwendung des Vokativs oder motivische Wiederaufnahmen bei Thomas Mann, Ernst Jünger, Bert Brecht, Alexander Solschenizyn, Haruki Murakami und Rossini.
Köhler macht uns auf danteskes Erbe im Alltag aufmerksam: Dass sich ein internationales Fondsmanagement ausgerechnet "Zerberus" nennt, wäre ohne Dantes Schilderung des mythologischen Höllenhundes nicht denkbar. Wer der Strahlkraft Dantes auf die Schliche kommen will, sollte zu Köhlers großartiger Neuausgabe greifen.
Besprochen von Maike Albath
Dante Alighieri: La Commedia/Die Göttliche Komödie I, Inferno/Die Hölle
Aus dem Italienischen von Hartmut Köhler
Reclam Verlag, Stuttgart 2010
562 Seiten, 27,95 Euro
Man kann kaum genug bekommen von den Nöten des Liebespaares Paolo und Francesca oder den Plagen Farinatas, die Dante mit einer heimlichen Lust zu schildern scheint. In Hartmut Köhlers neuer Übersetzung, der jetzt den ersten Teil der "Komödie" in Prosa vorlegt, gewinnt das Werk auch auf Deutsch seine fesselnde Kraft zurück.
Aber worum geht es eigentlich in dem berühmten Gedicht? Streng genommen erzählt Dante die Geschichte einer Krise, die durch Erkenntnis überwunden wird – den Aufstieg aus dem Dunkel zum Licht, aus der Hölle zum Paradies.
Der Held und Ich-Erzähler Dante hat sich in der Mitte seines Lebens in einem tiefen, dunklen Wald verirrt und wird von wilden Tieren bedroht. Nur durch die Hilfe Vergils kann er dem Dickicht entkommen. Vergil geleitet ihn durch die Höllenkreise bis auf den Läuterungsberg. Von dort aus gelangt er zum Paradies, wo ihn seine Geliebte Beatrice in Empfang nimmt.
Die "Göttliche Komödie", Auftakt und erster Höhepunkt der italienischen Literatur, war immer ein populäres Werk. Um 1308 entstanden, kursierte das "Inferno" schon kurze Zeit später in den städtischen Zentren. Man trug es auswendig vor und schrieb es immer wieder ab. Zum ersten Mal wurde die Summe des literarischen, mythologischen, astronomischen, philosophischen und theologischen Wissens nicht auf Lateinisch, sondern in der Volkssprache, dem toskanischen Italienisch, dargeboten.
Der Text besitzt eine bis heute spürbare Unmittelbarkeit: Dante spricht den Leser direkt an, fordert ihn zum Nachdenken auf, der Held selbst ist ein Lernender. Die "Göttliche Komödie" war gerade kein Werk für eine schmale Elite, sondern wandte sich an ein breites Publikum. In den Jahren nach der Veröffentlichung verbreitete sich die "Commedia" in ganz Italien, an vielen Universitäten fanden Vorlesungsreihen statt, es entstanden erste Kommentare.
Durch den Verzicht auf Reim und Versform versetzt Köhler der "Komödie" einen erfrischenden Modernisierungsschub. Sein "Inferno" ist wunderbar lesbar. Dennoch nimmt er Dante nichts von seiner Plastizität. Bei Köhler gibt es "Sudelteiche", "schaumige alte Lachen", "Sumpfgräben" und "fiese Fratzen"; er ist einfallsreich und präzise, gleichzeitig versorgt er uns in den Fußnoten mit Zitaten aus früheren Übersetzungen und erklärt, wie Dante an manchen Stellen eine fast comicartige Direktheit gewinnt, sodass man eigentlich mit Wörtern wie "Knall" und "Peng" operieren müsste.
Eine Dante-Lektüre ist immer mit der Lektüre eines Kommentars verbunden: Ohne Erläuterungen lassen sich die zahlreichen philosophischen, theologischen und philologischen Anspielungen nicht entschlüsseln, und selbst ein Muttersprachler kann die unvergleichliche Schönheit der Terzinen erst im Zusammenspiel mit den Fußnoten genießen.
Der neue Kommentar von Hartmut Köhler ist ein Glücksfall, denn er bietet dem Leser nicht nur eine Fülle von Details zu Dantes gesamtem Kosmos, sondern liefert zugleich ein grandioses kulturgeschichtliches Lesebuch, das bis in die Gegenwart reicht.
So erkennt man mit seiner Hilfe die vielgestaltigen Bezüge auf apokryphe Schriften, Ovid oder die Bibel und erfährt Aufschlussreiches über die Verwendung des Vokativs oder motivische Wiederaufnahmen bei Thomas Mann, Ernst Jünger, Bert Brecht, Alexander Solschenizyn, Haruki Murakami und Rossini.
Köhler macht uns auf danteskes Erbe im Alltag aufmerksam: Dass sich ein internationales Fondsmanagement ausgerechnet "Zerberus" nennt, wäre ohne Dantes Schilderung des mythologischen Höllenhundes nicht denkbar. Wer der Strahlkraft Dantes auf die Schliche kommen will, sollte zu Köhlers großartiger Neuausgabe greifen.
Besprochen von Maike Albath
Dante Alighieri: La Commedia/Die Göttliche Komödie I, Inferno/Die Hölle
Aus dem Italienischen von Hartmut Köhler
Reclam Verlag, Stuttgart 2010
562 Seiten, 27,95 Euro