Aus Fehlern lernen
Jared Diamond geht in seinem jüngsten Buch "Kollaps" der Frage nach, welche Faktoren über das Überleben oder den Untergang von Gesellschaften entscheiden. Der Evolutionsbiologe zeichnet Muster nach, die zum Zerfall von Imperien geführt haben, und sieht sie als Mahnmal für heutige Gesellschaften.
"Kollaps", das jüngste Buch des Evolutionsbiologen Jared Diamond, gewährt Einblicke in verschiedene prähistorische, historische und moderne Zivilisationen. Dabei fokussiert und analysiert der Bestseller-Autor ausgiebig das Gelingen und Misslingen zahlreicher Experimente hinsichtlich der Organisation von Gesellschaften.
Ein erstes Beispiel: Auf der Osterinsel führt die komplizierte Logistik zur Produktion und Aufrichtung der Steinfiguren im 17. Jahrhundert letztlich zur Selbstzerstörung einer ganzen Kultur. Um die Giganten aus Stein zu transportieren, benötigt man neben mehr Nahrungsmitteln vor allem Unmengen von Holz – für Seile, Schlitten, Leitern usw. Der Raubbau am Wald erzeugt nicht nur Bodenerosion.
"Insgesamt ergibt sich für die Osterinsel ein Bild, das im gesamten Pazifikraum einen Extremfall der Waldzerstörung darstellt und in dieser Hinsicht auch in der ganzen Welt kaum seinesgleichen hat. Der Wald verschwand vollständig, und seine Baumarten starben ausnahmslos aus. Für die Inselbewohner ergab sich daraus die unmittelbare Folge, dass Rohstoffe und wild wachsende Nahrungsmittel fehlten, und auch die Erträge der Nutzpflanzen gingen zurück."
Den Bewohnern der Osterinsel fehlt die Fähigkeit, die Folgen ihres Tuns abzuschätzen und entsprechend zu reagieren. Die Menschen verhungern. Eine Kultur geht unter. Kein Einzelfall: Ähnlich ergeht es dem Volk der Maya in Mittelamerika und den Anasazi, einem Indianerstamm im Südwesten der USA, dessen wenige Nachkommen von anderen Gesellschaften der amerikanischen Ureinwohner aufgenommen werden.
"Kollaps" – der Buchtitel klingt eher pessimistisch. Diamond hingegen gibt sich optimistisch, zumindest "halb optimistisch", vor allem aber pragmatisch. Die Menschheit steht nicht nur vor der Gefahr des globalen Zusammenbruchs. Erstmals besteht auch die Möglichkeit, aus den seinerzeit räumlich begrenzten Katastrophen zu lernen, die Kurzsichtigkeit menschlichen Denkens zu überwinden und auf selbst verursachte Ökoschäden ebenso angemessen zu reagieren wie auf Klimaveränderungen.
"Die Vergangenheit liefert uns eine Fülle von Daten, aus denen wir etwas lernen können, um weiterhin Erfolg zu haben. ... Dieses Buch ist ... keine ununterbrochene Folge deprimierender Berichte über das Versagen, sondern es enthält auch Erfolgsgeschichten, die zur Nachahmung anregen und Optimismus verbreiten können."
Fünf Faktoren beeinflussen Diamonds umfangreichen Analysen zufolge das Überleben oder den Untergang von Gesellschaften: Umweltschäden, Klimaveränderungen, feindliche Nachbarn, abnehmende Unterstützung durch freundliche Nachbarn bzw. Handelspartner und die Reaktionsweise einer Gesellschaft auf die unterschiedlichen Probleme – seien es ökologische, ökonomische oder andere Herausforderungen.
Der Aufbau des umfangreichen Buches, so der Autor selbst, gleicht einer Boa constrictor, die zwei große Schafe verschlungen hat. Anders gewendet: Unter Diamonds Berichten über gegenwärtige und vergangene Gesellschaften finden sich zwei unverhältnismäßig umfangreiche Kapitel, denen jeweils mehrere kürzere folgen. Im ersten großen Kapitel nimmt Diamond die aktuellen Umweltprobleme im US-Bundesstaat Montana in den Blick und verdeutlich exemplarisch deren Vielfalt und Zusammenhänge.
Im zweiten umfangreichen Bericht blickt Diamond auf Entwicklungen in Grönland. Im Mittelalter besiedeln und teilen sich zwei Gesellschaften dieselbe Insel. Die Norweger, sprich: Wikinger, können nach Jahren der Blüte nicht überleben und müssen ihre Wohnstätten verlassen. Die Inuit hingegen sind in der Lage, auf die Herausforderungen des Klimawechsels angemessen zu reagieren. Sie leben nach wie vor in ihren angestammten Jagdgebieten.
Letztes Beispiel: Die jüngsten Meldungen über Umweltprobleme in China, über Giftmüll im Flusswasser, beängstigen. China, der erwachende Riese, ist in Diamonds Augen ein torkelnder Riese. Neben wirtschaftlichem Wachstum von ungeheurem Auswuchs produziert das Land ein Unmaß an Umweltzerstörung. Wie kein anderes Land dieser Erde trägt China zur Luft- und Wasserverschmutzung wie auch zur Wüstenbildung bei. All die ökologischen Probleme, die in der Vergangenheit zum Untergang einer Kultur führten, sind im Reich der Mitte bereits gegeben und nehmen täglich zu. Wird China diese Probleme bewältigen, das ökonomische Wachstum ökologisch gestalten können? Oder wird das Land den ganzen Planeten nach und nach mit in den Abgrund reißen?
""Die Ökologie muss im Gleichgewicht mit der Ökonomie stehen." Dieser Satz unterstellt, ökologische Bedenken seien ein Luxus, Maßnahmen zur Lösung von Umweltproblemen seien unter dem Strich mit Kosten verbunden, und man könne Geld sparen, wenn man die Umweltprobleme ungelöst lässt. Der Einzeiler stellt die Wahrheit genau auf den Kopf. Umweltschäden kosten uns sowohl auf kurze als auch auf lange Sicht ungeheure Summen ..."
Jared Diamond, Vorstandsmitglied im World Wildlife Fund, einer der größten Umweltschutzorganisationen, tritt mit "Kollaps" weder als weltfremder Sektierer noch als geschäftsmäßiger Apokalyptiker auf. Er beschreibt die Entwicklungen, Probleme und Herausforderungen "aus der Sicht eines mittleren Standpunkts" – vor der Folie seiner Erfahrungen mit ökologischen Problemen ebenso wie angesichts der wirtschaftlichen Realität. Darüber hinaus kommen weitere Interessenkonflikte in den Blick, legt Diamond doch auch Ziele und Werte offen, an denen sich Gesellschaften orientieren und festhalten, manchmal zu lange – bis zum finalen Kollaps.
Jared Diamond: Kollaps. Warum Gesellschaften überleben oder untergehen
Aus dem Amerikanischen von Sebastian Vogel
S. Fischer Verlag. Frankfurt am Main 2005
704 Seiten (gebunden), 22,90 Euro
Ein erstes Beispiel: Auf der Osterinsel führt die komplizierte Logistik zur Produktion und Aufrichtung der Steinfiguren im 17. Jahrhundert letztlich zur Selbstzerstörung einer ganzen Kultur. Um die Giganten aus Stein zu transportieren, benötigt man neben mehr Nahrungsmitteln vor allem Unmengen von Holz – für Seile, Schlitten, Leitern usw. Der Raubbau am Wald erzeugt nicht nur Bodenerosion.
"Insgesamt ergibt sich für die Osterinsel ein Bild, das im gesamten Pazifikraum einen Extremfall der Waldzerstörung darstellt und in dieser Hinsicht auch in der ganzen Welt kaum seinesgleichen hat. Der Wald verschwand vollständig, und seine Baumarten starben ausnahmslos aus. Für die Inselbewohner ergab sich daraus die unmittelbare Folge, dass Rohstoffe und wild wachsende Nahrungsmittel fehlten, und auch die Erträge der Nutzpflanzen gingen zurück."
Den Bewohnern der Osterinsel fehlt die Fähigkeit, die Folgen ihres Tuns abzuschätzen und entsprechend zu reagieren. Die Menschen verhungern. Eine Kultur geht unter. Kein Einzelfall: Ähnlich ergeht es dem Volk der Maya in Mittelamerika und den Anasazi, einem Indianerstamm im Südwesten der USA, dessen wenige Nachkommen von anderen Gesellschaften der amerikanischen Ureinwohner aufgenommen werden.
"Kollaps" – der Buchtitel klingt eher pessimistisch. Diamond hingegen gibt sich optimistisch, zumindest "halb optimistisch", vor allem aber pragmatisch. Die Menschheit steht nicht nur vor der Gefahr des globalen Zusammenbruchs. Erstmals besteht auch die Möglichkeit, aus den seinerzeit räumlich begrenzten Katastrophen zu lernen, die Kurzsichtigkeit menschlichen Denkens zu überwinden und auf selbst verursachte Ökoschäden ebenso angemessen zu reagieren wie auf Klimaveränderungen.
"Die Vergangenheit liefert uns eine Fülle von Daten, aus denen wir etwas lernen können, um weiterhin Erfolg zu haben. ... Dieses Buch ist ... keine ununterbrochene Folge deprimierender Berichte über das Versagen, sondern es enthält auch Erfolgsgeschichten, die zur Nachahmung anregen und Optimismus verbreiten können."
Fünf Faktoren beeinflussen Diamonds umfangreichen Analysen zufolge das Überleben oder den Untergang von Gesellschaften: Umweltschäden, Klimaveränderungen, feindliche Nachbarn, abnehmende Unterstützung durch freundliche Nachbarn bzw. Handelspartner und die Reaktionsweise einer Gesellschaft auf die unterschiedlichen Probleme – seien es ökologische, ökonomische oder andere Herausforderungen.
Der Aufbau des umfangreichen Buches, so der Autor selbst, gleicht einer Boa constrictor, die zwei große Schafe verschlungen hat. Anders gewendet: Unter Diamonds Berichten über gegenwärtige und vergangene Gesellschaften finden sich zwei unverhältnismäßig umfangreiche Kapitel, denen jeweils mehrere kürzere folgen. Im ersten großen Kapitel nimmt Diamond die aktuellen Umweltprobleme im US-Bundesstaat Montana in den Blick und verdeutlich exemplarisch deren Vielfalt und Zusammenhänge.
Im zweiten umfangreichen Bericht blickt Diamond auf Entwicklungen in Grönland. Im Mittelalter besiedeln und teilen sich zwei Gesellschaften dieselbe Insel. Die Norweger, sprich: Wikinger, können nach Jahren der Blüte nicht überleben und müssen ihre Wohnstätten verlassen. Die Inuit hingegen sind in der Lage, auf die Herausforderungen des Klimawechsels angemessen zu reagieren. Sie leben nach wie vor in ihren angestammten Jagdgebieten.
Letztes Beispiel: Die jüngsten Meldungen über Umweltprobleme in China, über Giftmüll im Flusswasser, beängstigen. China, der erwachende Riese, ist in Diamonds Augen ein torkelnder Riese. Neben wirtschaftlichem Wachstum von ungeheurem Auswuchs produziert das Land ein Unmaß an Umweltzerstörung. Wie kein anderes Land dieser Erde trägt China zur Luft- und Wasserverschmutzung wie auch zur Wüstenbildung bei. All die ökologischen Probleme, die in der Vergangenheit zum Untergang einer Kultur führten, sind im Reich der Mitte bereits gegeben und nehmen täglich zu. Wird China diese Probleme bewältigen, das ökonomische Wachstum ökologisch gestalten können? Oder wird das Land den ganzen Planeten nach und nach mit in den Abgrund reißen?
""Die Ökologie muss im Gleichgewicht mit der Ökonomie stehen." Dieser Satz unterstellt, ökologische Bedenken seien ein Luxus, Maßnahmen zur Lösung von Umweltproblemen seien unter dem Strich mit Kosten verbunden, und man könne Geld sparen, wenn man die Umweltprobleme ungelöst lässt. Der Einzeiler stellt die Wahrheit genau auf den Kopf. Umweltschäden kosten uns sowohl auf kurze als auch auf lange Sicht ungeheure Summen ..."
Jared Diamond, Vorstandsmitglied im World Wildlife Fund, einer der größten Umweltschutzorganisationen, tritt mit "Kollaps" weder als weltfremder Sektierer noch als geschäftsmäßiger Apokalyptiker auf. Er beschreibt die Entwicklungen, Probleme und Herausforderungen "aus der Sicht eines mittleren Standpunkts" – vor der Folie seiner Erfahrungen mit ökologischen Problemen ebenso wie angesichts der wirtschaftlichen Realität. Darüber hinaus kommen weitere Interessenkonflikte in den Blick, legt Diamond doch auch Ziele und Werte offen, an denen sich Gesellschaften orientieren und festhalten, manchmal zu lange – bis zum finalen Kollaps.
Jared Diamond: Kollaps. Warum Gesellschaften überleben oder untergehen
Aus dem Amerikanischen von Sebastian Vogel
S. Fischer Verlag. Frankfurt am Main 2005
704 Seiten (gebunden), 22,90 Euro