Aus guten Daten "eine richtig schöne Geschichte" machen

Larry Birnbaum im Gespräch mit Klaus Pokatzky |
Geschichten zu erzählen, die es sonst nicht gebe, sei das Ziel von "Narrative Science", sagt Larry Birnbaum, einer der Gründer des Unternehmens. Aus sonst schwer zu übersetzenden Daten machten Computer dort bereits 10.000 Artikel pro Woche, so Birnbaum.
Klaus Pokatzky: "Die besten Bücher sind die, von denen jeder Leser meint, er hätte sie selbst machen können." Das hat Blaise Pascal gesagt, der große französische Philosoph aus dem 17. Jahrhundert, der 1662 gestorben ist. 350 Jahre nach dem Tod von Blaise Pascal sieht es so aus, als ob bald jeder Leser seine Bücher selber machen könnte. Zumindest kann jeder Leser erst mal seine eigenen Zeitungsartikel machen beziehungsweise machen lassen. Nämlich von einem Computer. "Stats Monkey", zu Deutsch "Statistikaffe" heißt das Computersystem und "Narrative Science" heißt das Unternehmen, also Erzählwissenschaft, das Stewart Frankel, Kristian Hammond und Larry Birnbaum gegründet haben, um Zeitungen diese Artikel anzubieten, die ein Roboter geschrieben hat.

Und Larry Birnbaum, der an der Northwestern University in Evanston im US-Bundesstaat Illinois Medienwissenschaft lehrt, ist nun bei uns im Studio. Welcome!

Larry Birnbaum: Thank you very much. I'm glad to be here!

Pokatzky: Sie sollen so schon 400.000 Berichte im Jahr liefern. Stimmt das?

Birnbaum: Also mir gefiel Ihre Einleitung, weil sie auch darauf eingegangen sind, wie personalisiert das letzten Endes ist, und das ist sehr wichtig bei diesem sogenannten Roboter-Journalismus, dass es eine Technik hat, die es einem verspricht, eben persönliche Artikel zu generieren. Man kann sich zum Beispiel seine Finanzdaten aufrufen, die aus Daten entstanden sind, oder schauen, was die Gesundheitsdaten machen. Und diese Technik ist deshalb interessant, weil sie ein so großes Ausmaß an Daten verarbeiten kann. Und was mich bei Computern und bei Technik eben interessiert, ist das Ausmaß, was plötzlich möglich ist. Wir können wirklich 10.000 Artikel pro Woche schreiben. Wir haben insgesamt im letzten Sommer zwei Millionen Geschichten geschrieben, eben beispielsweise über Sportereignisse, Baseball, News, und so weiter.

Pokatzky: Die sind dann veröffentlicht worden in kleineren Zeitungen in USA oder sind ja vielleicht auch von Radiostationen verbreitet worden. Aber was Sie jetzt gesagt haben über diesen persönlichen Artikel für mich – heißt das, ich würde jetzt Ende des Monats quasi von meinem Computer einen Artikel bekommen, da steht drin meine Finanzaufstellung von meinem Bankkonto sieht so und so aus, und das ist vielleicht noch ein bisschen lyrischer gefasst, als es sonst aussieht?

Birnbaum: Nun, das ist natürlich mein Ziel, das ist natürlich die Hoffnung, die wir mit unserem Programm verfolgen, und ich glaube wirklich, das ist möglich. Man muss sich einfach vergegenwärtigen, dass Artificial Intelligence, also Künstliche Intelligenz 2011 einen absoluten Durchbruch erlebt hat: Bei der TV-Show "Jeopardy" hat ein IBM-Computer gewonnen, Google hat es geschafft, Autos auf die Straßen zu bringen, in denen keine Fahrer mehr saßen, und wir haben im vorigen Jahr 300.000 Geschichten geschrieben. In diesem Jahr waren es schon zwei Millionen. Ich will uns nun nicht unbedingt gleich damit vergleichen, mit dem, was die anderen da geschafft haben, aber es hat sehr lange gedauert, diese Entwicklung, aber nun geht es plötzlich rasant schnell.

Und man hat sich lange gefragt, warum Computer nicht sprechen, aber sie hatten eben lange Zeit auch einfach nichts zu sagen. Und jetzt haben sie etwas zu sagen. Und was nutzt es, Daten weltweit zu sammeln, wenn sie keiner versteht. Wenn man mit diesen Daten nicht weiß, was man damit anfangen soll. Das kann jetzt – einige können ein bisschen Angst davor haben, was die Technik einem plötzlich ermöglicht, aber wir können diese Daten plötzlich in Handlungen übersetzen, und was ist schöner, als zum Beispiel Geschichten daraus zu machen?

Pokatzky: Diese zwei Millionen Geschichten, die Sie in diesem Jahr schon verkauft haben, wie sehen die aus? Was steht da genau drin?

Birnbaum: Oh, ich würde Ihnen gern ein paar Geschichten zeigen. Natürlich, die größte Aufmerksamkeit haben wir damit erzielt, mit unseren Sportartikeln, Artikeln über Sport. Aber natürlich wird es auch ganz stark für Firmen verwendet, für ihre Wirtschafts- und vor allen Dingen auch für ihre Finanzdaten. Weil wenn man Finanzdaten auswerten kann, erschafft man natürlich ganz direkt einen Mehrwert. Und das ist natürlich unser Ziel. Wenn wir dann Geschichten daraus schreiben, sind die immer dann gut, wenn diese Daten zu diesen Ergebnissen sehr komplett sind. Wenn die Daten nicht komplett sind, ist die Geschichte auch nicht so gut. Aber wenn die Daten richtig gut sind, dann kann man auch eine richtig schöne Geschichte daraus machen.

Pokatzky: Dann lassen Sie uns das doch bitte am Fußball mal deutlich machen. Wir nehmen jetzt einen Fußball, Großbritannien, Manchester United gegen Chelsea London vier zu drei. Das ist das Ergebnis. Was hat der Computer, was hat dieses Schreibprogramm, der Monkey dann, dass er eine Geschichte daraus machen kann.

Birnbaum: Ich bin nun wirklich kein Experte für Fußball, aber ich kann Ihnen insofern sagen, es geht natürlich nicht nur darum, zu erzählen, wer die Tore geschossen hat, sondern wir wissen durch die Datenmengen auch, wie der Ballbesitz aussah, wer die meisten Pässe gespielt hat, und je ausführlicher diese Daten sind, umso ausführlicher kann man eben dann auch einen guten Spielbericht schreiben.

Pokatzky: Aber beim Sport muss dann doch jemand all diese Informationen noch beisteuern zu dem jeweiligen konkreten Spiel. Das heißt, das Computersystem kann das doch nicht allein erzeugen, den Text?

Birnbaum: Es gibt natürlich auch noch Menschen, die diese Daten zur Verfügung stellen. Beispielsweise sind es auch Trainer, die diese Daten sammeln, es gibt richtige Fans, die diese Daten sammeln – aber auch da gibt es ja auch die Möglichkeiten, dass diese Daten auch in der Zukunft zum Beispiel durch Kameras, auch wieder durch Maschinen generiert werden können. Was ich noch mal betonen möchte, ist: Wir interessieren uns nicht unbedingt für die Geschichten, die Journalisten schreiben können, sondern für Geschichten, die sonst einfach nicht geschrieben werden. Also Geschichten, die es ohne uns gar nicht gäbe.

Pokatzky: Im Deutschlandradio Kultur Larry Birnbaum, einer der Miterfinder des ersten Schreibroboters. Larry, Ihr Partner Kristian Hammond hat gesagt, dass in 15 Jahren mehr als 90 Prozent aller Nachrichtenartikel von Computern verfasst sein werden. Er hat aber auch gesagt, schon in fünf Jahren könne ein von einem Computer verfasster Text mit einem Pulitzer-Preis ausgezeichnet werden. Wie realistisch ist das wirklich?

Birnbaum: Also ich mag Kris, er ist einfach wunderbar. Und er hat im Allgemeinen auch wirklich recht. Ich würde sogar sagen, dass 90 Prozent aller Artikel, die man dann liest, plötzlich von Computern geschrieben worden sind. Aber das sind nicht mehr diese traditionellen Nachrichten, wie wir sie von heute kennen, sondern es sind sehr viel persönlichere Geschichten über Leute, die man kennt, vielleicht auch über Freunde, und haben vielleicht mit diesen traditionellen Nachrichten nicht mehr so viel zu tun. Aber ich denke, die Mehrzeit dieser Nachrichten wird dann maschinengeneriert sein. Was den Pulitzer-Preis anbelangt: Ich denke, wir sind in der Lage, wirklich überraschende Geschichten zu schreiben, Dinge zu entdecken, und dass es möglich ist, noch etwas Tiefes dadurch zu schreiben, etwas Unerwartetes, und warum sollte es dann nicht möglich sein, dafür auch einen Preis zu bekommen?

Pokatzky: Bekommen wir dann irgendwann auch ein Schreibprogramm, das Literatur schreiben wird? Also nach dem Satz von Blaise Pascal, den ich eingangs zitierte und ein bisschen umformuliert habe, dass jeder Leser dann seine eigenen Romane irgendwann schreiben lässt – wird dann der Schriftsteller der Zukunft nicht mehr Literaturwissenschaft studieren, sondern Mathematik und Informatik und bekommt eines Tages ein von einem Schreibroboter verfasster Roman den Literaturnobelpreis?

Birnbaum: Also das gibt mir die Möglichkeit, vielleicht zu erwähnen, dass ich gerade in Berlin bin wegen der Konferenz "LitFlow", und das sind genau die Probleme, über die wir diskutieren werden, und das werden hochinteressante Diskussionen mit Schriftstellern werden, auch mit Journalisten. Aber um auf unsere Company zurückzukommen: Wir haben sehr viele Angestellte, die Journalisten sind, die Schriftsteller sind, die selber schreiben. Und denen wir sozusagen Werkzeuge zur Verfügung stellen, technische Werkzeuge, dass sie nicht nur eine Geschichte schreiben, sondern ganz viele Geschichten und ganz vielfältige Geschichten schreiben. Aber sie wissen eben, wie man schreibt. Sie können verständnisvoll schreiben. Das haben sie als Journalisten gelernt, und das machen wir uns eben zunutze. Weil die Strukturen müssen ja verständlich bleiben. Und die Geschichten müssen ja auch sozusagen an den Mann und an die Frau gebracht werden.

Pokatzky: Was würde Ihr Schreibroboter jetzt als die letzte Frage in diesem Interview formulieren?

Birnbaum: Jetzt haben Sie mich aber ins Scheinwerferlicht gerückt! Ich glaube, die einfachste Frage wäre, zu fragen, wie viele Geschichten wird die Maschine im nächsten Jahr schreiben oder der Roboter. Die Antwort wäre: zwischen zehn und zwanzig Millionen.

Pokatzky: Thank you, Larry Birnbaum, Miterfinder des ersten Schreibroboters. Und danke an Jörg Taszman, der übersetzt hat. Und heute auf der LitFlow.de, also Literatur im Fluss, der Veranstaltung der Kulturstiftung des Bundes, die heute und morgen in Berlin stattfindet von 20 bis 21.30 Uhr, ein Programm für die nächste Literatur mit Larry Birnbaum, und zwar heute Abend in Berlin, im Theaterdiscounter in der Klosterstraße 44. Und alles Weitere im Internet unter litflow.de. Thank you!

Birnbaum: Thank you!

Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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