Aus jüdischer Sicht

Von Jörg Taszman |
Vierzehn Tage lang zeigte das 17. Jüdische Filmfestival in Berlin und Potsdam Filme vom jüdischen Leben aus der ganzen Welt. Und wieder einmal gelang es der Leiterin Nicola Galliner eine bunte Mischung aus Spiel-, Dokumentar- und Fernsehfilmen zusammenzustellen, die es meist noch nicht auf deutsche Leinwände geschafft haben.
Ausgerechnet Richard Wagner verehrt der britische Schauspieler Stephen Fry ganz besonders und schwankt dabei oft zwischen seinem Herzen und seinem Verstand. Denn Fry stammt aus einer jüdischen Familie, verlor viele Familienmitglieder in Auschwitz. Die antisemitischen Tiraden Wagners sind Stephen Fry wohl bekannt, aber dennoch überwiegt bei ihm meist eine kindliche Freude, wenn er beispielsweise das erste Mal in Bayreuth ist.

O-Ton 1 aus dem Film (englisch Original): "So for anyone who loves Wagner as I do this place is Stratford-Upon-Avon. Mekka, Graceland all rolled into one. Bayreuth the home of the Bayreuth Festival Theater. And I am here for the first time in my life."

Festivalleiterin Nicola Galliner liebt ihre Filme und lud zur Gala von "Wagner & Me" nach Potsdam in das Hans Otto Theater ein. Sie selbst ist Britin lebt seit über 40 Jahren in Berlin und schwärmt von ihrem Landsmann Stephen Fry und dem Dokumentarfilm "Wagner & me".

Nicola Galliner: "Ich finde, er ist grandios. Er ist ein Multitalent. Er ist als Schauspieler genial und ich finde ihn umwerfend. Er macht auch Regie und ist Komiker. Er macht einfach alles. Ich fand dieser Film sagt eigentlich alles über Wagner aus, aus jüdischer Sicht. Weil das ist natürlich ein Problem, wenn man Wagner als Musik liebt, wie Stephen Fry, es tut. Und er ist jüdisch. Und Wagner war ein Antisemit der ersten Klasse und seine Familie erst recht. Was macht man dann damit?"

Zur Stärke des Festivals gehört es auch, Produktionen zu zeigen, die wie im Fall des Dokudramas "Eichmanns Ende" nicht unbedingt neu sind, aber im Rahmen einer Kinoaufführung mit anschließender Diskussion, eine ganz andere Aufmerksamkeit erlangen.

Die ARD Produktion "Eichmanns Ende" wurde im Juli 2010 spät abends nach dem Tatort ausgestrahlt und erreichte eine beachtliche Einschaltquote von über 2,3 Millionen Zuschauern. Herbert Knaup spielt Eichmann und Ulrich Tukur den niederländischen, nationalsozialistischen Journalisten Willem Sassen, der 1957 in Buenos Aires Eichmann interviewte. Am Ende des Films hört man eine entlarvende Originaltonbandaufzeichnung mit dem echten Eichmann. Dort bedauert der unverbesserliche Nazi, dass nicht alle Juden getötet wurden.

Filmausschnitt - Eichmann: "Wenn 10,3 Millionen dieser Gegner getötet worden wären, dann hätten wir unsere Aufgabe erfüllt. Wir haben getan, was wir konnten. Allein wir konnten als wenige Leute gegen den Zeitgeist nicht anstinken."

Im Berliner Kino Arsenal polarisierte das Werk die Zuschauer, die melodramatische Spielfilmsequenzen bemängelten oder sich daran störten, dass Eichmann zu menschlich - also angeblich sympathisch - dargestellt wurde. Wieder einmal wurde deutlich, wie wichtig solche Produktionen immer noch sind, wie schwer man sich im Land der Täter mit Werken tut, die versuchen nüchtern und ohne Klischees Geschichte zu vermitteln, sich dabei jedoch tradierter dramaturgischer Mittel bedienen. Im Ausland hat es dieser deutsche Fernsehfilm leider schwer - trotz internationaler Preise.

Nicola Galliner aber mag es, wenn Filme auch polarisieren. Sie erklärt, welche Werke aus dem breiten Spektrum es dann in die Auswahl schaffen.

Nicola Galliner: "Das ist die Frage: Was ist ein jüdischer Film? Es muss etwas drin haben, was ich und meine Mitarbeiter, was man wiedererkennt. Es gibt zum Beispiel Filme mit jüdischer Thematik, die absolut unjüdisch sind. Oder es gibt Filme wie den mit Stephen Fry. Er redet 90 Minuten über Richard Wagner. Das ist eigentlich die Defintion von einem jüdischen Film."

Das Jüdische Filmfestival hat sich etabliert und sich in seinen 17 Jahren wirklich weiterentwickelt und zieht sehr viele Zuschauer an. Einer der schönsten Filme des Festivals kam dann aus Israel. Nir Bergmanns Film "Intimate Grammar" nach dem Buch von David Grossmann lief zwar schon auf der Berlinale im Jugendwettbewerb, wurde aber leider kaum beachtet. Dabei ist die Geschichte um einen Jungen, der im Alter von elf Jahren aufhört zu wachsen, ebenso eine berührende Familiengeschichte wie eine Chronik über den Alltag in Israel in den 60er-Jahren. Solange Nicola Galliner solche herausragenden Filme programmiert, muss man sich um die Zukunft des Jüdischen Filmfestivals hoffentlich keine Sorgen mehr machen. Im nächsten Jahr wird das Festival dann 18.