Das Literaturhaus Lohvinaŭ in Minsk
Das Literaturhaus Lohvinaŭ ist ein Juwel: Hier treffen sich Literaten und Intellektuelle, denn Ihar Lohvinaŭ gibt belarussische Literatur heraus. Auch kritische - deshalb ist das Literaturhaus bedroht.
Ein Minsker Hinterhof. Grün und ruhig. Man merkt nicht, dass die vorderen Fassaden der Häuser direkt am großen Siegesplatz stehen. Mitten im Hof ein weiß gestrichenes Häuschen. An der Wand ein einzelner großer Buchstabe: ein У mit einem kleinen Bogen als umgedrehtes Dach: Das "Ў", auch kurzes oder unsilbiges "U" genannt. Ein Buchstabe, der in der belarussischen Sprache vorkommt, jedoch nicht in der Russischen - ein Symbol der Eigenständigkeit und der Abgrenzung vom großen Nachbarn. Und genau deswegen trägt die Galerie diesen Namen. Daneben, ganz unscheinbar, der Eingang zum Literaturhaus Lohvinaŭ. Hier gibt es Bücher in belarussischer Sprache und im Vorraum ein Klavier.
"Lohvinaŭ ist eine einzigartige Erscheinung in Belarus – das ist ein kleiner Verlag, der eine kolossale Sache leistet. Das ist die Lokomotive der belarussischen Literatur. Lohvinaŭ ist der Verlag, der sich mit moderner Literatur beschäftigt, nicht mit der Klassik, sondern mit den neuen Autoren, den neuen Namen."
...das sagt Artur Klinaŭ, einer der bekanntesten belarussischen Gegenwartsautoren.
Anfang der 90er Jahre brodelt Belarus
Die Vorgeschichte des Verlags Lohvinaŭ beginnt Anfang der 90er Jahre. Die Sowjetunion ist Geschichte und das neue Belarus brodelt vor Ideen. Junge Literaten wollen das Image der belarussischen Literatur aufmöbeln. Es entsteht die knallige Bum-Bam-Lit, frech, laut und heutig. Ihar Lohvinaŭ arbeitet zu der Zeit für einen wissenschaftlichen Verlag.
"Im Jahr 2000 habe ich die Bum-Bam-Lit-Clique kennengelernt. Das waren Valentin Akudowitsch, Zmicer Vishniou, Alherd Bakharevich. Sie hatten den Wunsch, das Gesicht der belarussischen Literatur zu verändern, es modern und aktuell zu machen. Und wir kamen auf die Idee, Bücher nicht über Krieg und Dorfleben herauszugeben, sondern gegenwärtige, moderne, städtische Literatur."
Die Nische war frei, denn der neue Staat hatte sich schon bald wieder der sowjetischen Vergangenheit zugewandt. Präsident Lukaschenka nahm die Macht immer fester in die Hand. Moderne freiheitsuchende und gesellschaftskritische Autoren waren bei den staatlichen Verlagen nicht willkommen.
"Gewisse Spannungen gab es immer. Gute Literatur entsteht aus Rebellion. Und der Kreis unserer Autoren ist dem Regime gegenüber nicht loyal gestimmt. Deswegen gab es dauernd irgendwelche Warnungen von den Machthabenden."
Lohvinaŭ druckte Bilder prügelnder Polizisten
Dann kamen die Proteste von 2010. Wegen der Wahlfälschungen gingen viele auf die Straße. Die friedliche Demonstration wurde niedergeknüppelt. Im Volksmund heißt der Tag "Ploshcha": "der Platz". Lohvinaŭ druckte später einen Fotoband: Bilder von prügelnden Polizisten.
"Es waren die Gewinner der Rubrik Reportage. Also, Fotos vom 'Ploshcha', vom Platz. Es waren sehr viele Fotos, die das echte Leben in Belarus gezeigt haben. Und das Informationsministerium fand es untragbar, dass Belarus auf diese Weise dargestellt wird."
Der Vorwurf lautete "Extremismus", und damit war der Buchverlag nach 10 Jahren erledigt. Doch Ihar Lohvinaŭ gab nicht auf.
"2010 endete es damit, dass uns die Herausgeberlizenz entzogen wurde. Und seit 2010 werden unsere Bücher in Litauen verlegt."
Den größten Teil seiner Bücher verkauft der Verlag in dem kleinen Hinterhofladen. Hier ist das ganze Sortiment versammelt: Belarussische Prosa, aber auch Lyrik und Sachbücher, Kinderbücher, Fotobände, Zeitschriften. Daneben auch ausländische Gegenwartsliteratur in belarussischer Übersetzung. So etwas hat vor Lohvinaŭ praktisch nicht existiert. Wer ausländische Literatur lesen wollte, musste sie auf Russisch lesen.
Der Buchladen ist Treffpunkt der intellektuellen Szene
Der kleine Buchladen und die befreundete Galerie sind heute Treffpunkt der intellektuellen Szene, die sich mit der Realität des Landes nicht identifiziert. Doch die Oase wird weiterhin bedroht:
"Alles ist bei uns reglementiert, und nicht nur als Verleger - auch um Bücher zu verkaufen braucht man eine Lizenz. Einmal hat uns das Informationsministerium ein ganzes Jahr lang keine Lizenz gegeben. Wir konnten unsere Buchhandlung aber nicht einfach zumachen und ein Jahr lang auf die Erlaubnis warten."
Also haben sie weiterhin Bücher verkauft. Die Antwort kam umgehend:
"Das Ergebnis war damals eine Strafe von einer Milliarde belarussischer Rubel, was 60 000 Euro entsprach. Wir waren kurz vor der Schließung, aber dann haben wir die Geschichte publik gemacht. Und ganz viele Menschen in Belarus, aber auch auf der ganzen Welt haben darauf reagiert."
Belarussen aus der ganzen Welt haben gespendet, und so den Laden gerettet. Ihar Lohvinaŭ lässt sich nicht unterkriegen. Derzeit bereitet er die erste belarussische Ausgabe des Gesamtwerks von Nobelpreisträgerin Swetlana Alexijewitsch vor.
"Es gab so ein Vakuum, weil Alexijewitsch nicht besonders bequem ist für die Machthabenden. Nach den 90er Jahren haben die staatlichen Verlage aufgehört, sie zu drucken. Und die Privaten haben sich aus Angst um ihre Lizenzen nicht getraut."
Bei diesem Satz schmunzelt Lohvinaŭ. Denn um seine Herausgeberlizenz muss er sich keine Sorgen mehr machen. Die hat er ja bereits vor sechs Jahren verloren. Und bringt seitdem seine Bücher im benachbarten Litauen heraus.