Ausbaden, was andere vermasseln

Der Radiomoderator Xavier Ireland ist der Mann im Mittelpunkt dieses Romans. Er ist ein grundsympathischer Typ, in seiner Sendung tröstet er die Mühseligen und Schlaflosen im nächtlichen London. Ansonsten ist ihm vieles egal und gerade dies führt zu einer Kaskade von Ereignissen.
Autoren wie Stephen Fry, Nick Hornby oder Alan Bennett stehen für eine intelligente und komische Unterhaltungsliteratur, die es in dieser Mischung wohl nur in Großbritannien gibt. Der 1980 in Bristol geborene Mark Watson spielt auf diesem Feld mit. Drei Romane hat er bisher veröffentlicht, "Eleven" aus dem Jahr 2010 wurde nun unter dem Titel "Elf Leben" als erster ins Deutsche übersetzt.

Der Roman bietet die genretypische Kombination aus witzigen Szenen, verschrobenen Figuren und einer passenden Dosis Melancholie. Dazu kommt allerdings eine ernsthafte moralische Botschaft, die Mark Watsons britische Leser erstaunt hat, schließlich ist dieser Autor im Hauptberuf Comedian.

Die Botschaft steckt schon im Titel des Romans "Elf Leben": was immer du tust, es greift ein in das Dasein von anderen Menschen, auch von solchen, die du nie kennenlernen wirst. Diese Idee gibt dem Buch seine Struktur, eine Figur steht im Zentrum, ihre Entscheidungen haben Konsequenzen für das Leben von zehn anderen.

Der Radiomoderator Xavier Ireland ist der Mann im Mittelpunkt dieses Romans. Er ist ein grundsympathischer Typ, in seiner Sendung tröstet er die Mühseligen und Schlaflosen im nächtlichen London, mit sanftem Humor hilft er ihnen über die Dellen in ihrem Alltag hinweg. Diese auf Minuten begrenzte Zuwendung ist allerdings auch schon das Höchste, das er anderen zu geben bereit ist. Ansonsten versucht Xavier Ireland, sich möglichst wenig in das Leben anderer Leute einzumischen. Paradoxerweise führt gerade das zu einer ganzen Kaskade von Ereignissen.

Der Schüler Frankie wird auf der Straße zusammengeschlagen, als Xavier Ireland zufällig vorbeikommt. Er macht einen halbherzigen Versuch, den Jungen zu beschützen, lässt sich aber von den jugendlichen Schlägern ganz schnell vertreiben. Frankie wird verletzt, und das bringt eine sich immer weiter verzweigende Kausalkette in Gang. Frankies Mutter lässt ihre Wut über den Vorfall in ihrem Job aus, daraufhin verliert ein anderer seine Arbeit, ein dritter seine Geliebte, ein Parlamentsabgeordneter seinen bis dahin untadeligen Ruf, und so immer weiter bis zur Figur Nr. 11.

Elf Lebensläufe in einem nicht besonders umfangreichen Roman, das ist ein anspruchsvolles Programm. Mark Watson meistert das durch extreme Raffung, er tippt seine Parallelgeschichten in prägnanten Skizzen nur kurz an, er bringt sogar noch knappe prophetische Ausblicke in die entfernte Zukunft der Figuren unter. Dieser erzählerische Übermut ist das formal auffälligste Element in diesem ansonsten sehr geradeaus und sprachlich schlicht erzählten Roman. Sein größter Mangel ist die Erklärungswut des Autors, die sich in ausgiebigen Kommentaren zu den inneren Vorgängen seiner Figuren äußert.

Von allen Seitenhandlungen in Gegenwart und Zukunft kehrt der Roman immer schnell zu seiner zentralen Geschichte zurück, zur Erziehung des Xavier Ireland zur Empathie, zu seiner Rettung aus lebensmüder Zurückgezogenheit. Die vollbringt eine ganz spezielle Figur: Pippa, eine Putzfrau und frühere Diskuswerferin. Sie ist eine in jeder auch körperlichen Hinsicht starke Frau, die den Radiomoderator aus seiner Melancholie heraussprengt. Das unausweichbar scheinende Happy End tritt zwar nicht ein, aber die Verfilmung dieses Romans mit Hugh Grant in der Hauptrolle guckt dennoch schon um die Ecke.

Besprochen von Frank Meyer

Mark Watson: Elf Leben
Aus dem Englischen von Stefanie Jacobs
Eichborn Verlag, Frankfurt am Main 2011
265 Seiten, 19,95 Euro