Ausbruch aus dem Alltag

In seinem Romandebüt erzählt Stefan Mühldorfer die Geschichte eines Versicherungsmaklers, der sich mit der Idylle des kanadischen Kleinstadtlebens zufrieden gibt - bis eine Begegnung ihn aus den festgefügten Strukturen reißt.
Eine "American Novel", angesiedelt in Kanada und geschrieben von einem Münchner. Als sei das nicht Wagnis genug. Doch der Roman ist auch noch ein Erstling. Und der Autor, Stefan Mühldorfer, hat sich bisher meist im PR-Bereich betätigt. Doch er hat alles andere als einen überbordend werbenden Roman geschrieben. Eher verführt uns dieser Autor mit trockener Lakonie, mit der sein Held uns Einblick nehmen lässt in sein Leben.

Robert Ames ist 37 Jahre alt und Versicherungsmakler in einer kanadischen Kleinstadt. Er mag seine Arbeit, weil ihr "in guten Momenten zwangsläufig etwas Existentielles anhaftet". Und doch zugleich berechenbar ist. So, wie er es schätzt. Ein Grund, weshalb er den Job vor neun Jahren angenommen hat, war die Straße, in der das Büro lag, weil sie, wie es heißt, so aussah, wie er sich sein weiteres Leben vorstellte: "ruhig und übersichtlich".

Ein unspektakulärer Mann. Verheiratet, ein Kind. Bisher war er zufrieden. Und hat die lastende Ruhe seines Daseins, die lauernde Unruhe seiner Frau nicht bemerkt. Einen Tag lang begleiten wir Robert Ames durch die Stadt, ins Büro, in seinen Kopf, über Highways, zu seiner Frau und in seine Vergangenheit. Es gibt Momente in diesem Buch, in denen sich in die amerikanische beziehungsweise kanadische Kleinstadt-Bedrückung deutsche Spießigkeit schleicht, aber meist fühlen wir uns in der Atmosphäre aus Auto- und Baseballkultur authentisch aufgehoben.

Robert Ames ist nicht unzufrieden mit seinem Leben. Fast ist man geneigt zu sagen, er kann gar nicht unzufrieden sein, weil die äußere und innere Leere so geschmeidig ineinander gleiten. Doch dann kommt Bewegung ins Lebensspiel - wir kennen das nicht nur aus der Literatur: Manchmal genügen eine Minute, ein Impuls, ein Ereignis, um festgefügte Strukturen zu lockern, den Halt im Alltag zu verlieren, den man bisher in seinen kleinen Lebensregeln fand.

So auch hier: Ausgerechnet Robert Ames bekommt auf einmal Lust zu spielen, drängt sich auf dem Weg zu einem Kunden in ein Baseball-Match von einigen Jugendlichen und verletzt dabei einen der Jungen im Eifer des Gefechts. Wenige Stunden später sieht er seine Frau mit einem anderen Mann im Café.

Er ist verwirrt. Und kauft Geschenke für alle. Den Jungen, seine Frau, seinen Sohn. Und als sie neben ihm im Auto liegen, ist er froh. "Sie drücken aus, was ich selber nicht in Worte fassen könnte - ein Bedürfnis nach Nähe und Versöhnung." Es ist diese schleppende Nachdenklichkeit und betuliche Hilflosigkeit, die besticht. Es fasziniert, wie dieser Mann, der allerlei Allerweltsweisheiten von sich gibt, die in ihrer Banalität natürlich einen wahren Kern umspannen, dem Leben ratlos ausgeliefert ist.

Mühldorfer bleibt betörend stringent in diesem schalen Tonfall des geistig und emotional eingemauerten Versicherungsmaklers, der seine Kalender-Sprüche wie bedeutende Erkenntnisse vor uns ausbreitet. Es wird sich wohl erst im nächsten Buch zeigen, auf das man gespannt sein darf, ob der Autor auch eine andere, eine eigene Sprache hat, in der er erzählen kann.

Besprochen von Gabriele Arnim

Stefan Mühldorfer: Tagsüber dieses strahlende Blau
Deutscher Taschenbuchverlag, München 2009
240 Seiten, 14,90 Euro