Ausbruch aus der Stille
Ein düpierter Kritiker fand einen tristen Begriff für jene Art Literatur, die der 1951 geborene Autor Hanns-Josef Ortheil seit einigen Jahren veröffentlicht: "intelligente Unterhaltung". Damit ist die säuerliche Implikation verbunden, dass Ortheils Literatur für Unterhaltung zu intelligent und für Kunst zu unterhaltend sei.
Man scheut sich diese abgegriffene Denkfigur überhaupt aufzunehmen, drängte doch Deutschlands Chefkritiker Marcel Reich-Ranicki die bundesrepublikanische Literatur über viele Jahrzehnte in die vielleicht doch nicht so fruchtbare Dichotomie von Intellektualität und Unterhaltung.
Anlass des Erstaunens über Ortheils "neue" Phase ist die ungebrochene Positivität, die Ortheils Bücher - und nicht nur seine Romane - trotz aller Konflikte auszeichnen. Wie ein Roman wie "Die große Liebe" von 2003, quasi noch im 20. Jahrhundert, möglich sein kann, lässt nur darauf schließen, über welche geistigen Fähigkeiten der Autor verfügt, eben über rein literarisch-handwerkliche hinaus. Er erzählt eine glückende und glückliche Liebesgeschichte mit Happy End - aber nie kitschig, oder schwülstig, sondern immer auf dem Grat zwischen Erleuchtung und Abgrund.
Sein neues Buch, "Die Erfindung des Lebens", ist ein autobiographischer Roman, und Ortheil-Kenner kommt das Material aus dem Prosabuch "Das Element des Elefanten" von 1994 bekannt vor. Aber die anrührende Lebensgeschichte, die von einem Rahmen in der Jetztzeit des erfolgreichen Autors in der Römischen Wohnung her erzählt wird, lebt im Romanduktus auf. Der Ich-Erzähler ist das jüngste Kind von fünf Söhnen, von denen zwei im Krieg umkommen und zwei bei der Geburt sterben. Die Mutter, die mitansehen muss, wie einer ihrer Söhne an einem Granatsplitter stirbt, verstummt über ihrem Leid.
Johannes bleibt ebenfalls bis zum Schulalter stumm und flüchtet sich vor der Zurückweisung der anderen Kinder ins Klavierspiel. Er zeigt sich als hochbegabt und beschließt, Pianist zu werden. In einem beispiellosen Kraftakt treibt er gegen seine Isolation die Klavierstudien, schließlich in Rom, weiter. Eine schwere Sehnenscheidenentzündung beendet seine Karriere, und er wird Schriftsteller.
Ortheil erzählt im Wechsel von der Gegenwart des Schriftstellers Johannes in Rom, der wieder in Kontakt mit seiner Musikervergangenheit kommt, indem er der kleinen Nachbarin Marietta Klavierunterricht gibt, und der kontinuierlichen Geschichte vom Kind und Jugendlichen.
Durch die geduldigen Sprech-Unterrichtsstunden bei seinem Vater gewinnt er bald zum Hör-Sprachraum auch den des eigenen Sprechens. Zudem gibt er sich Stabilität durch das manische Aufschreiben von Beobachtungen. Seine Eltern heilen mit ihm von dem Nachschrecken des großen Krieges.
Hanns-Josef Ortheil gelingt ein ebenso ehrlich wie schnörkellos geschriebener autobiographischer Roman, der Künstlerroman wie Psychogramm der Nachkriegszeit darstellt. Seine Version der Postmoderne ist in ihrer Leutseligkeit einzigartig, aber viel mutiger als so manch eine Kompliziertheit "fortschrittlicher" Literatur.
Besprochen von Marius Meller
Hanns-Josef Ortheil: Die Erfindung des Lebens
Roman. Luchterhand Literaturverlag, München 2009
589 Seiten, 22,95 Euro
Anlass des Erstaunens über Ortheils "neue" Phase ist die ungebrochene Positivität, die Ortheils Bücher - und nicht nur seine Romane - trotz aller Konflikte auszeichnen. Wie ein Roman wie "Die große Liebe" von 2003, quasi noch im 20. Jahrhundert, möglich sein kann, lässt nur darauf schließen, über welche geistigen Fähigkeiten der Autor verfügt, eben über rein literarisch-handwerkliche hinaus. Er erzählt eine glückende und glückliche Liebesgeschichte mit Happy End - aber nie kitschig, oder schwülstig, sondern immer auf dem Grat zwischen Erleuchtung und Abgrund.
Sein neues Buch, "Die Erfindung des Lebens", ist ein autobiographischer Roman, und Ortheil-Kenner kommt das Material aus dem Prosabuch "Das Element des Elefanten" von 1994 bekannt vor. Aber die anrührende Lebensgeschichte, die von einem Rahmen in der Jetztzeit des erfolgreichen Autors in der Römischen Wohnung her erzählt wird, lebt im Romanduktus auf. Der Ich-Erzähler ist das jüngste Kind von fünf Söhnen, von denen zwei im Krieg umkommen und zwei bei der Geburt sterben. Die Mutter, die mitansehen muss, wie einer ihrer Söhne an einem Granatsplitter stirbt, verstummt über ihrem Leid.
Johannes bleibt ebenfalls bis zum Schulalter stumm und flüchtet sich vor der Zurückweisung der anderen Kinder ins Klavierspiel. Er zeigt sich als hochbegabt und beschließt, Pianist zu werden. In einem beispiellosen Kraftakt treibt er gegen seine Isolation die Klavierstudien, schließlich in Rom, weiter. Eine schwere Sehnenscheidenentzündung beendet seine Karriere, und er wird Schriftsteller.
Ortheil erzählt im Wechsel von der Gegenwart des Schriftstellers Johannes in Rom, der wieder in Kontakt mit seiner Musikervergangenheit kommt, indem er der kleinen Nachbarin Marietta Klavierunterricht gibt, und der kontinuierlichen Geschichte vom Kind und Jugendlichen.
Durch die geduldigen Sprech-Unterrichtsstunden bei seinem Vater gewinnt er bald zum Hör-Sprachraum auch den des eigenen Sprechens. Zudem gibt er sich Stabilität durch das manische Aufschreiben von Beobachtungen. Seine Eltern heilen mit ihm von dem Nachschrecken des großen Krieges.
Hanns-Josef Ortheil gelingt ein ebenso ehrlich wie schnörkellos geschriebener autobiographischer Roman, der Künstlerroman wie Psychogramm der Nachkriegszeit darstellt. Seine Version der Postmoderne ist in ihrer Leutseligkeit einzigartig, aber viel mutiger als so manch eine Kompliziertheit "fortschrittlicher" Literatur.
Besprochen von Marius Meller
Hanns-Josef Ortheil: Die Erfindung des Lebens
Roman. Luchterhand Literaturverlag, München 2009
589 Seiten, 22,95 Euro