"Eine der letzten Bastionen der Freiheit"
Der March for Science hat am Wochenende Signale ausgesandt, die auch in Ungarn ankamen. Dort ist die Central European University in ihrer Existenz bedroht. Der Diplomat Péter Balász sieht den Angriff durch die Orbán-Regierung als Teil einer Kampagne.
Der March for Science, der am Wochenende an zahlreichen Orten weltweit stattfand, hat die Aufmerksamkeit für Angriffe auf die wissenschaftliche Freiheit erhöht. Die Proteste richteten sich vor allem gegen Donald Trump - doch Forschung und Lehre sind auch anderswo bedroht. In Ungarn hängt das neue Hochschulgesetz wie ein Damoklesschwert über der Central European University (CEU), die 1991 von dem aus Ungarn stammenden US-Milliardär George Soros gegründet wurde.
Der ehemalige Botschafter Ungarns in Deutschland und jetzige Direktor des Zentrums für europäische Nachbarschaftsstudien an der CEU, Péter Balázs, hält das extrem umstrittene Hochschulgesetz für den Teil einer größeren, geplanten Kampagne.
Der ungarische Regierungschef Viktor Orbán operiere mit konstruierten Feindbildern, sagte Balázs im Deutschlandradio Kultur. In der Kampagne auf Basis dieser Feindbilder gehe es zugleich gegen Migranten, die EU und George Soros. Dass Orbán den EU-Ausstieg vorbereitet, glaubt der Diplomat hingegen nicht. Orbán hat die EU zwar immer wieder provoziert, aber dann in letzter Minute stets eingelenkt. "Das weiß man auch in Brüssel."
Dieses Mal habe Orbán möglicherweise aber nicht mit so großem Widerstand gerechnet. Die CEU sei eine der "letzten Bastionen der Freiheit" in Ungarn, sagte der ehemalige ungarische Außenminister, der auch schon EU-Kommissar war. Bleibe das Hochschulgesetz in Kraft, würde dies das Ende der Universität bedeuten. "Aber wir hoffen, dass es nicht so bleibt", so Balázs. Ein Umzug der CEU nach Prag oder Berlin kommt laut Balázs aus juristischen und praktischen Gründen nicht in Frage. (ahe)
Das Interview im Wortlaut:
Dieter Kassel: In über 600 Orten der Welt sind am Wochenende Menschen auf die Straße gegangen, um für die Freiheit der Wissenschaft zu demonstrieren. In Budapest ging es dabei vor allen Dingen um die Central European University, eine Universität, die durch ein neues Hochschulgesetz der Orbán-Regierung in ihrer Existenz bedroht ist.
Ich habe über diese Universität mit Péter Balázs gesprochen. Er war Botschafter Ungarns in Deutschland und auch ungarischer Außenminister und ist jetzt Direktor des von ihm gegründeten Zentrums für Europäische Nachbarschaftsstudien an dieser Universität, und ich habe ihn gefragt, ob dieses umstrittene Gesetze möglicherweise extra nur geschaffen wurde, um diese Universität schließen zu können.
Kampagne mit konstruiertem Feindbild
Péter Balázs: Nun, CEU ist vielleicht eine der letzten Bastionen der Freiheit, der Meinungsfreiheit, eines freien Geistes, der Freiheit der Wissenschaft, aber diese Aktion, dieser Angriff ist Teil einer vorgeplanten neuen Kampagne. Herr Orbán operiert immer mit Feindbildern, und diese Feindbilder sind konstruierte Bilder. In dieser Konstruktion handelt es sich merkwürdigerweise über die Migranten einerseits, über Herrn Soros, der sich in die inneren Angelegenheiten von Ungarn einmischt laut der Regierung, und Brüssel, das heißt die EU.
Also man kombiniert merkwürdigerweise diese drei Akteure, also Migranten, Herr Soros und EU. Es läuft eine Kampagne, eine Zunahme von Plakaten überall im Lande: Wir sollten Brüssel aufhalten. Das liest man überall, und die Regierung hat einen Fragebogen geschickt zu jedem Haushalt mit sechs Fragen, wo und wie Brüssel – in Anführungszeichen – sich in Ungarn einmischen möchte.
Kassel: Was für ein Zeichen ist das für Sie gerade, was das Zeichen Richtung Brüssel, Richtung Europäische Union angeht, auch mit diesem neuen Hochschulgesetz? Bereitet da Orbán langsam den Ausstieg Ungarns aus der EU vor?
Balázs: Das glaube ich nicht. Er hat immer ganz am Rande der Normativität der EU gespielt, hat die EU provoziert, aber in der letzten Minute hat er immer zurückgetreten und hat sich also an die EU-Regeln angepasst. Das weiß man wohl auch in Brüssel.
Einmal hat der ehemalige Präsident des Europäischen Parlaments, Herr Schulz, gesagt: 'Herr Orbán, Sie sagen was in Brüssel, und dann gehen Sie nach Hause, und in Budapest sagen Sie was anderes.' Das war ganz klar, aber in diesem Spiel hat Orbán vielleicht ein sehr ambitiöses Ziel gesetzt, das ist dieser Angriff auf die CEU. Er hat vielleicht nicht mit diesem Widerstand gerechnet, nicht nur in Ungarn, aber überall in der Welt. Hunderte von Wissenschaftlern, zahlreiche Nobelpreisträger haben schon protestiert.
Das Hochschulgesetz bedeutet das Ende der CEU
Kassel: Aber ich frage mich ein bisschen, Professor Balázs, ob das gut oder schlecht ist, denn Sie haben es ja beschrieben, Viktor Orbán sagt ja immer, es mischen sich viel zu viele in Ungarn ein, die EU mischt sich ein, Menschen wie Herr Soros mischen sich ein.
Wenn jetzt Brüssel sich einsetzt für die Zukunft der CEU, wenn, wie Sie es beschrieben haben, internationale Wissenschaftler protestieren gegen das neue Gesetz, könnte das nicht Herrn Orbán eher bestätigen, dass der sagt, ich habe doch recht, das Ausland mischt sich ein, jetzt bleiben wir erst recht bei unserem ungarischen Gesetz?
Balázs: Die sechs Fragen über die EU sind nebulöse, konstruierte Fragen. Es gibt keinen Angriff von der EU in diesen Gelegenheiten, wie Energienebenkosten oder Steuersenkungen oder Arbeitsbeschaffung in Ungarn. Es gibt keine Differenzen zwischen den ungarischen Aktionen und EU-Normen in diesen Fragen. Orbán spielt immer mit diesen konstruierten Feindbildern.
Kassel: Kommen wir doch noch mal zurück wirklich auf die CEU, auf die Universität. Das Gesetz, so wie es jetzt ist. Kann man denn noch verhindern, dass das wirklich in einigen Jahren das Ende dieser Universität, zumindest am Standort in Budapest, bedeutet?
Balázs: Unter den jetzigen Bedingungen, ja, das würde das Ende der Uni bedeuten, aber wir hoffen, dass es nicht so bleibt, und Orbán sollte seine Pläne gegen diesen internationalen Widerstand aufgeben.
Ein Umzug der Hochschule nach Prag wäre zu schwierig
Kassel: Aber halten Sie es denn für eine Möglichkeit, dass die CEU einfach umzieht? Es gibt ja jetzt schon verschiedene Angebote, unter anderem aus Prag, und, ich glaube, seit Neuestem auch aus Berlin, also dass Sie Ungarn einfach den Rücken kehren.
Balázs: Ich glaube, das wäre sehr schwierig. Es gibt eine Reihe von schwerwiegenden juristischen Fragen, es gibt Kontrakte für Hunderte von Dozenten, es gibt Verpflichtungen gegenüber den Studenten, es gibt Immobilien und so weiter. Das kann man nicht so einfach weiterschieben lassen. Das ist vielleicht noch komplizierter als eine Großinvestition von zum Beispiel Mercedes in Ungarn.
Kassel: Sagte Péter Balázs, Professor an der Central European University in Budapest, über die Bedeutung des neuen ungarischen Hochschulgesetzes für eben diese Universität und auch darüber hinaus.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.