Ausflug mit der kleinen UNO

Von Axel Schröder |
Was ist Auftrag der Führungsakademie der Bundeswehr. Wie füllt sie die Aufgaben aus? Wie hat sich das Profil von Lehre und Forschung im Laufe der 50-jährigen Geschichte verändert? Welchen Stellenwert hat die Ausbildung des Internationalen Lehrgangs?
Für unsere Reportage begleiten wir die Teilnehmer des Internationalen Lehrgangs "Generalstabs-/Admiralstabsdienst",auf den einzelnen Stationen ihrer Ausbildung: vor Ort in der FüAk in Blankenese oder auf hoher See bei der Besichtigung der Marine.

Soldat: "Augen geradeaus! Zur Meldung an den Lehrgruppenleiter: Augen rechts! – Herr Oberst: ich melde ihnen den LGAI in befohlener Stärke angetreten!"

"Morgen Männer! – Morgen, Herr Oberst! – Augen geradeaus! – Rührt euch!"

Blauer Himmel über dem Kasernenhof, um Punkt neun Uhr, in Hamburg-Blankenese. Vor Oberst Arnold Teicht, gescheitelte hellgraue Haare, dunkelblaue Uniform, stehen 70 Soldaten. In drei Reihen, Hände an der Hosennaht. Die Männer lächeln, blinzeln in den frühen Sonnenschein.

Teicht: "Meine Herren! Ich möchte ihnen gerne vorstellen: den Kapitän zur See Hügelmann. Er ist der Fachbereichsleiter Führungslehre Marine. Und in seinen Zuständigkeitsbereich fällt unsere Reise. Wir fahren zur Marine. Ich freue mich sehr, dass sie uns begleiten, schönen Dank, dass sie hier sind!"

Hügelmann: "Jawoll. Danke, Herr Teicht. Guten Morgen, meine Herren! Es ist ein Kaiserwetter, haben wir früher mal gesagt. Und ich denke, diese Tradition verfolgt uns auch in Zukunft. Nämlich immer dann, wenn es darum geht, die Flotte im praktischen Alltag zu erleben!"

Wolfgang Hügelmann ist groß und schlank, trägt Brille. Dunkelblaue Uniform. Auf dem Kopf seine strahlend weiße Kapitänsmütze, steht er kerzengerade neben Arnold Teicht, begrüßt die Truppe des Internationalen Lehrgangs an der Führungsakademie der Bundeswehr, den LGAI. - Kaum eine Uniform gleicht der anderen: brasilianische Heeressoldaten stehen neben taiwanesischen Kampfjet-Piloten, helles Khaki tragen die Männer aus Afrika, oliv-gescheckt sind die Tarnanzüge aus Chile und der Ukraine. Zusammen mit 20 Bundeswehrsoldaten warten Offiziere aus 30 Ländern auf die Busreise zum Marinestützpunkt Eckernförde an der Ostsee.

Hügelmann: "Also: auf ereignis- und erlebnisreiche Tage! Herr Teicht: You have it!"

Teicht: "Gut. Meine Herren: auf die Busse! Los geht’s!"

Zwei weiße Reisebusse stehen bereit, die Türen schwenken auf. Kapitän Hügelmann klemmt sich die Mütze unter den Arm, klettert er in den Bus. Arnold Teicht reiht sich in die Schlange vor dem Bustür ein, betont das deutsche Interesse am Internationalen Lehrgang.

Teicht: "Natürlich haben wir Interessen in bestimmten Regionen dieser Welt! Dass man einfach bestimmte Regionen sicherheitspolitisch unterstützt und das bedeutet natürlich auch, dass man hier Unterstützungsleistungen anbietet und hier Ausbildung betreibt. Das reicht ja weit über das Militärische hinaus. Das hat man insgesamt ein Interesse und da leisten wir glaube ich einen ganz wichtigen Beitrag."

Seit Januar leitet Teicht den Internationalen Lehrgang an Deutschlands oberster Militärschule, im Juni feiert sie ihr 50-jähriges Bestehen, den LGAI gibt es fast genauso lange, seit 1962. Unterstellt ist die Akademie dem Verteidigungsministerium, sie schult das Führungspersonal für Marine, Heer und Luftwaffe. Bis heute rund 4500 deutsche und über 2000 ausländische Offiziere, aus über hundert Ländern. – Zehn Monate dauert die Fortbildung für angehende Generäle und Admiräle aus dem Ausland. Auf dem Lehrplan: das politische System der Bundesrepublik, der Aufbau der deutschen Streitkräfte. Aber vor allem werden Übungen bearbeitet und Konflikte entworfen, die militärisch befriedet werden müssen:

Teicht: "Da wird das Zusammenspiel der Teilstreitkräfte geübt, da wird auch das Einsatzspektrum des Heeres geübt, insbesondere im internationalen Rahmen, insbesondere auch in einem internationalen Umfeld, wo andere mit dabei sind, zivile Player. In einem Spektrum, wie wir das eben heute auf der Welt auch vorfinden."

Oberst Teicht, 53 Jahre alt, sitzt aufrecht ganz vorn im Bus, das Uniform-Jackett zugeknöpft. Teicht fährt sich mit der Hand durchs Haar, ist begeistert von seinem Job:

Teicht: "Das ist ein ausgesprochen dankbarer Job! Weil es Eindrücke vermittelt, auch durch die Internationalität der Teilnehmer, die einzigartig sind. Wo kann man sich schon mit diesen Nationen unterhalten und Tag für Tag beschäftigen und die Internationalität auch hautnah spüren? – Das geht nur hier! Von daher ist das einzigartig und großartig!"

Teichts Augen leuchten, er beugt sich vornüber zum Fahrer, bespricht die Reiseroute. Die Türen schließen, langsam rollen die Busse vom Kasernenhof, vorbei am quer rot-weiß-gestreiften Wachhäuschen. – Eingeladen werden die LGAI-Teilnehmer vom Verteidigungsministerium, Austauschprogramme sorgen dafür, dass auch deutsche Offiziere an ausländischen Akademien studieren können. Dafür ist der Lehrgang für die Gäste kostenlos, die 30 bis 40.000 Euro, die der Kurs pro Kopf kostet, kommen aus dem Verteidigungshaushalt. Dazu kommen noch die Taschengelder für Soldaten aus finanzschwachen Staaten. - Ein paar Reihen hinter Oberst Teicht sitzt Carlos Alberto Dahmer: Offizier aus Brasilien, 46 Jahre alt, braun getönte Brille. Den rechten Arm auf dem schmalen Fenstersims. In Deutschland lebt der schmale Heeressoldat schon seit anderthalb Jahren.

Dahmer: "Wir sind in Deutschland im November 2005 angekommen. Um eine Sprachausbildung hier in Deutschland zu machen. In Hürth, südlich von Köln. Und wir haben dort acht Monate lang Deutsch gelernt."

Denn Deutsch ist Lehrgangssprache, der Kursus beim Bundessprachenamt in Hürth gehört zum Pflichtprogramm für alle Teilnehmer. – Carlos Alberto Dahmer rückt seine Brille zurecht, erzählt, was ihn an Deutschland am meisten überrascht hat, bestätigt das Klischee:

Dahmer: "Sauberkeit! – Alles ist sauber! Die Städte sind sauber, alles ist ordentlich, alles ist geregelt, alles funktioniert. Und die Deutschen streiten sich, wenn etwas nicht 100 Prozent funktioniert. Und das ist für mich ein bisschen überraschend, weil in Brasilien die Sachen sehr locker sind. - Aber für mich war das hier eine gute Erfahrung."

Beeindruckt hat ihn die deutsche Pünktlichkeit, sagt Dahmer, und sein Besuch in der Winterkampfschule bei Garmisch-Partenkirchen. Soldaten auf Skiern, Dahmer schüttelt den Kopf und lächelt, das gibt es in Brasilien nicht. – Und auch nicht die bundeswehrtypische Zusammenarbeit mit den NATO-Staaten:

Dahmer: "Der größte Unterschied ist für mich das multinationale Umfeld: Hier in Deutschland ist alles darauf ausgerichtet und geplant als multinationaler Einsatz. Und wir in Brasilien sind ganz weit weg von der NATO und anderen Partnern. Wir überlegen immer allein! Machen unsere Einsätze, unsere Planungen immer allein."

Dahmer blickt aus dem Fenster, die flache norddeutsche Landschaft zieht vorbei: grüne Wiesen, trocken-braune, gepflügte Felder. Der Soldat denkt nach, sucht sich die deutschen Vokabeln zusammen, macht klar, was deutsches und brasilianisches Militär unterscheidet.

Dahmer: "Hier ist es zum Beispiel erlaubt, einen Ohrring zu tragen und Schnurrbart. In Brasilien wäre das nicht möglich, wegen der Traditionen. – Ich kann sagen: wir sind eher militärisch als hier. Hier sind die Sachen lockerer."

Carlos Alberto Dahmer hält inne, hebt entschuldigend die Hand, greift sein klingelndes Handy. Seine Frau ist dran, Dahmer telefoniert, den Kopf ans Fenster gelehnt. – Hinter ihm sitzt Ahmed Sharif Chaudry, Heeressoldat aus Pakistan. Auf der sandfarbenen Uniform bunte militärische Abzeichen, zwei gekreuzte Krummschwerter. Die deutsche Sauberkeit, Ordnung und Pünktlichkeit überraschen ihn nicht. Dafür sind die Deutschen doch bekannt, sagt Chaudry. Viel überraschender ist für ihn, dass es die eine "westliche Welt" nicht gibt. Nach anderthalb Jahren in Deutschland revidiert er seine alte Meinung: im Westen sind alle gleich.

Chaudry: "Hier habe ich das gelernt: ein Deutscher ist Deutscher, ein Franzose ist Franzose, ein Brite ist Brite und wie ein Deutscher denkt ist ganz anders als für einen Franzosen. Und jeder hat eine eigene Nationalität, eine eigene Geschichte und eine eigene Meinung. – Ich glaube, dass fehlt auch hier: dass alle mit schwarzen Haaren und braunen Augen gleich sind. – Nein."

Neben Chaudry, im Mittelgang, steht Klaus Rudolf. Der rothaarige Bundeswehrsoldat hört zu, stützt sich rechts und links auf die Sitzlehnen und nickt:

Rudolf: "Wenn wir in Deutschland von Pakistan sprechen, wissen wir zwar auf der einen Seite, dass es eine Atommacht ist. Aber auf der anderen Seite sind uns über die Medien Bilder im Kopf von Menschen, die in Lehmhütten wohnen, die lange, weiße Gewänder tragen, große Bärte haben. Wenn man dann aber mit unserem Kameraden aus Pakistan spricht und man gemeinsam mit ihm Bilder anschaut: es gibt zwei Pakistan! Das eine, wie wir es kennen aus den Medien und das andere Pakistan, was hochmodern ist, was junge, ehrgeizige Menschen hat. Die im Internet surfen, die sich fortbilden, die Sprachen sprechen – hochinteressant!"

Stabsoffizier Rudolf schwankt zur Seite, eine scharfe Rechtskurve schmeißt ihn fast um. Vorn im Bus tritt der Fahrer tritt auf die Bremse, rollt langsam durch die Schrankenanlage. Ankunft im Militärhafen von Eckernförde. Klaus Rudolf und Ahmed Sharif Chaudry schauen geduckt durch die großen Fensterscheiben: die Ostsee glitzert, drei schwarze U-Boote liegen an der Pier. Weiter weg, kaum zu sehen, haben zwei Minenjagdboote festgemacht. Neben dem Busfahrer greift sich Fregattenkapitän André Sabzog das Mikrofon, verkündet das Ausflugsprogramm:

Sabzog: "Kameraden! Ich möchte die Zeit ganz kurz überbrücken. Wir werden zur See fahren. Und allgemeine Tradition ist, dass, wenn man dann einläuft in einem Hafen, gemeinsam mit der Besatzung noch ein Bier trinkt. Das so genannte "Einlaufbier". – Spricht da irgendetwas gegen? Gut. Dann wollen wir das auch heute so machen. Und warten jetzt darauf, dass Herr Kapitän Besch gleich abholt."

Vorn und hinten schwenken die Bustüren auf, die Soldaten drängen hinaus, sammeln sich vor den Bussen. Vor dem Törn mit dem Minenjagdboot von Eckernförde nach Kiel stehen noch zwei Vorträge auf dem Programm: "Die deutsche Marine im Transformationsprozess" und "Internationale Einsätze der Marine". Dann geht es an Bord.

Das Schiff, die "Bad Rappenau", liegt ruhig an der Kaimauer, 55 Meter lang. Alle Aufbauten, die Brücke, Radarmasten, das Deck, die Reling, alles ist mit Tarnfarben gestrichen: helles Seegrau. Armdicke dunkle Festmachertaue halten das Schiff an der Pier. Im Gänsemarsch marschieren die Soldaten über die Gangway aufs Schiff, hinten auf dem Achterdeck wartet Kapitänleutnant Norman Wald in blau verwaschener Borduniform: 30 Jahre alt, rundes junges Gesicht. Wald steigt auf einen stählernen Staukasten, begrüßt die im Halbrund versammelten Gäste.

Wald: "Ich wünsche uns viel Spaß in See! Und ihnen viele Eindrücke, die sie hier sammeln können! Als erstes wird jetzt der Motmeister noch die Rettungsmittelbelehrung durchführen mit der Rettungsweste. Da haben wir für jeden von ihnen eine hier sowie auch eine Extra-Rettungsinsel, sodass wir da ganz auf der sicheren Seite sind."

Kommandant Wald steigt vom Podest, verabschiedet sich auf die Brücke.

Der erste Wachoffizier begrüßt den LGAI, referiert das Programm der Ausfahrt.

Wachoffizier: "... und am Ende werden wir eine Bootsführung. Damit sie zumindest alle Stationen mal gesehen haben und wir was dazu gesagt haben. Soviel von meiner Seite. Ansonsten legen wir jetzt ab. Passt hervorragend. Ich darf sie bitten, hier auf Steuerbordseite rüber zu kommen. Da haben sie den besten Blick."

Die Männer verteilen sich an der brusthohen Reling, beugen sich vornüber, beobachten das weiß aufbrausende Meer zwischen Bordwand und Kaimauer. Ganz langsam entfernt sich das Schiff vom Festland, nimmt Fahrt auf, sanft hebt und senkt sich der Bug durch die Wellen. – Ganz hinten auf dem Deck steht Peng Gao, Offizier in der chinesischen Armee. Nachdenklich, gerader Rücken, Blick übers Wasser Richtung Festland. Die Hafenanlagen werden kleiner, die Wellen höher. Was hat ihn überrascht in Deutschland, an der Bundeswehr?

Peng Gao: "'"Überrascht? – Eigentlich habe ich keine große Überraschung. Aber: wir haben so viele schöne Landschaften gesehen! Das ist für mich unglaublich! – Und in meinem Fachbereich, Marine, - ich finde: deutsche Marine, sie sind sehr gut ausgebildet. Da habe ich viel gelernt! – Und besonders wichtig für mich ist diese Gelegenheit, mit verschiedenen Offizieren aus verschiedenen Ländern zusammen zu arbeiten. Unsere Meinung auszutauschen. Das finde ich ganz wichtig und gut.""

Peng Gao legt den Kopf ein bisschen schief, eine Hand umklammert die Reling. Natürlich kann man die chinesische nicht mit der deutschen Armee vergleichen, sagt er. Das fängt schon beim Erscheinungsbild der Truppen an, so Peng Gao. Er kommt einen kleinen Schritt näher, schaut kurz rechts und links:

Peng Gao: "Ich habe … habe … Die deutschen Soldaten zum Beispiel: mit, äh, Piercing oder Tätowierung. Für uns? Nein! Dürfen nicht!"

Peng Gao schüttelt den Kopf. – Über seine Heimatarmee diskutiert er oft mit den Lehrgangskameraden. Über die Strenge der Truppe, die straffe Hierarchie, über den Mangel an Demokratie, für den kaum jemand Verständnis hat.

Peng Gao: "Deutsche Soldaten können diesen Punkt nur schwer verstehen. Sie sagen: wir sind ein demokratische Armee, aber die chinesische Armee ist keine demokratische Armee. – Nach meiner Sicht ist das nicht so: wir haben verschiedene politische Situationen: Die Kultur ist auch ganz anders. Die Tradition ist auch ganz anders."

Und schließlich hat die Kommunistische Partei die Armee gegründet. Ihr ist Peng Gao verpflichtet. Er und seine Kameraden garantieren China Stabilität und wirtschaftliche Entwicklung, so Wu, der seine Hand ausgestreckt und Un-Hi Ryu begrüßt. Der kleine Südkoreaner ist Korvettenkapitän, trägt tiefblaue Uniform, mit blankpolierten schwarzen Schuhen. Peng Gao geht mit exakt gemessenen Schritten auf einen Rundgang übers Schiff, Südkoreaner Un-Hi Ryu erklärt, warum Deutschland in seiner Heimat einen so guten Ruf hat:

Un-Hi Ryu: "Deutschland ist für uns eine sehr gute - Exempel, ein Vorbild. Wirtschaftliche Entwicklung und diese Wiedervereinigung. Wir müssen, wie Deutschland, irgendwann wiedervereinigen."

… denn sein Land ist geteilt, nicht in Ost und West, sondern in Nord- und Südkorea. Geteilt wie Deutschland durch eine mächtige, stacheldrahtbewehrte Sicherheitszone. – Un-Hi Ryu macht einen Ausfallschritt, das Schiff stampft durch die graugrüne Ostsee. Die Hände in den Jacketttaschen erklärt er das Feindbild der südkoreanischen Armee:

Un-Hi Ryu: "Wir denken, diese nordkoreanische Regierung, das heißt, diese Communist Party und natürlich die nordkoreanische Soldat sind unsere bestimmte Feind. Aber andere nordkoreanische Leute sind unser gleiches Volk. Deshalb müssen wir irgendwann wiedervereinigen!"

Un-Hi Ryu hält inne, irgendwas stimmt nicht. Marinesoldaten laufen übers Oberdeck, nehmen die Stahltreppen mit drei großen Sprüngen nach unten: Mann über Bord. Durchsage von der Brücke über Lautsprecher:

"Mann über Bord, Mann über Bord an Steuerbordseite Rettungsschwimmer klarmachen. Klarmachen zum Finden des Mannes."

Oben auf der Brücke wird sofort reagiert: die Geschwindigkeit bleibt gleich, Ruder hart backbord. Das Schiff schwankt, die Aufbauten ragen schräg in den Himmel, alle klammern sich an der Reling fest. Zweihundert Meter entfernt winkt aus der grauen See der verloren gegangene Marinesoldat. Warm eingepackt in seinem Neopren-Anzug treibt er mit den Wellen auf und ab. Eine Show-Einlage für den LGAI:

Marinesoldat: "Was jetzt passiert ist etwas, was jeder Zeit mal passieren kann: dass tatsächlich mal eine Person über Bord geht. Für den fahrenden Wachoffizier ist jetzt wichtig: schnell zu reagieren, wo kommt der Wind her? Wie muss ich also das Boot stationieren, um schnellstmöglich wieder zum Mann zu fahren und den dann wieder sicher fischen zu können. Sicher wieder an Bord nehmen zu können."

Rechts, an Steuerbord, versammelt sich der Rettungstrupp. Zwei Männer springen in Tauchermontur von der Bordkante, zeitgleich lösen die anderen die Taue am Bergungsnetz: eine Strickleiter mit Überbreite, vier mal vier Meter, oben und unten Holzlatten, geknüpfte Stricke aus dickem Sisal. – Der Schiffsdiesel brummt im Leerlauf, unten in den Wellen paddeln die drei Soldaten, als ersten hieven die Rettungsschwimmer den über Bord gefallenen Kameraden ins Netz.

"Hievt an! - Hievt an! - Hievt an! - Hievt an!"

Stück für Stück ziehen vier Mann an den Tauen, schon schwebt der Schiffbrüchige im Netz über den Wellen.

Oben angekommen, klettert er an Deck, die Kollegen rücken mit dem Wasserschlauch an, spritzen das Salzwasser vom Anzug. Gefroren hat er nicht in der Ostsee, das Meer ist warm.

"Warm! Warm. Warm und gut. – Und dreckig!"

Der Soldat dreht sich, in einer Hand die Taucherflossen, das Wasser fließt übers Deck zurück ins Meer. Der komplette Internationale Lehrgang ist schon unter Deck, zum Mittagessen: Nudeln mit Gemüsesoße, dazu Salat, wahlweise Grießpudding. Draußen wird schon die nächste Aktion vorbereitet: Minenentschärfen mit dem "Pinguin".

Der "Pinguin" sieht aus wie ein Mini-U-Boot: unbemannt, zweieinhalb Meter lang, leuchtendorange. Die ferngesteuerte Maschine hängt am Kranhaken am Schiffsheck. Darunter: zwei kleine, weiße Tonnen, im Ernstfall voll gefüllt mit Sprengstoff. Ringsum steht der Entschärfertrupp, stöpselt ein knallrotes Kabel in den "Pinguin". – Heeresoffizier Rafael Castillo aus Chile ist mit dem Essen schon fertig. Er beobachtet jeden Handgriff der Mannschaft, die Unterarme auf die graue Reling gestützt.

Castillo: "Ja, die Technologie ist die Sache, die mir ganz gut gefallen ist: weniger Gefahr für den Mann. Benutzt man sehr viel Technologie!"

Er schiebt die Unterlippe vor, nickt anerkennend. – Der "Pinguin" wird ganz nah an Wasserminen heran gesteuert, setzt seine Sprengladung ab, kehrt zum Schiff zurück. Dann wird gezündet, aus sicherer Distanz, die Minen werden weggesprengt. Rafael Castillo, ein wenig rundlich mit dunkler Brille und oliv gescheckter Uniform, fühlt sich wohl in Deutschland. Seine Familie lebt mit ihm in Hamburg, die Kinder gehen aufs deutsche Gymnasium und der Lehrgang, sagt er, erweitert seinen Horizont:

Castillo: "Da bekommst du Informationen, um zu diskutieren. Da gibt es eine Beziehung, um zu sprechen, zu diskutieren, aber ich finde, dass ist gut! Und alle Lehrgangsteilnehmer haben sehr viel Respekt für andere Lehrgangsteilnehmer und ich habe in diesem Lehrgang niemals ein Problem gesehen!"

Nach und nach strömen seine Kollegen wieder an Deck, warten gespannt aufs Zu-Wasser-Lassen des "Pinguins". Neben Rafael Castillo stopft sich Heeresmajor Mamadou Turé seine dunkelrot-braune Pfeife. Er dient im Senegal, rollt den Tabak zwischen den Fingern.

Turé: "Ich denke, dass unsere Ausbildung hier in Deutschland bildet einen Gewinn. Für Internationalität. Zum Beispiel zwischen Leuten, die von verschiedenen Ländern kommen, Kulturen, Religionen, Rassen. Damit kann ich rechnen, weil wir können vielleicht einmal für Entwicklung, für Frieden, für Demokratie in der Welt zusammen uns engagieren. Und das ist, denke ich, ein Plus!"

Mamadou Turé setzt sich neben seinen chilenischen Kameraden auf einen grauen Stahlkasten. Sein Feuerzeug hält er dicht über den Pfeifenkopf, der Tabak zündet, dichte Rauchwölkchen verwehen im Wind.

Mittlerweile schwimmt der "Pinguin" schon im Wasser, zwei Dutzend Soldaten recken die Hälse über die Reling, schauen zu.

Der Meeresroboter entfernt sich vom Schiff, nur noch verbunden durch das knallrote Kabel. Das rauscht von der mächtigen Spule, der "Pinguin" ist kaum noch zu sehen. Lehrgangsleiter Arnold Teicht kennt die Übung schon, setzt sich neben Turé und Castillo. Arnold Teicht streicht sich die windzerzausten grauen Haare aus der Stirn, erklärt den inoffiziellen Namen des Lehrgangs:

Teicht: "Die kleine UNO! Die kleine UNO bezeichnen wir den. Weil wir hier ja auch schon weit über hundert Nationen hatten. Und jetzt habe ich 33 Nationen und 47 Teilnehmer und nächstes Mal wird es wieder die gleiche Größenordnung sein, vielleicht ein paar mehr… also: wir sind ein gutes Abbild dieser Welt. – Und vor allem: wir leben zusammen! In der Kaserne, treffen sich jeden Tag. Das ist hautnah: multikulturelle Kompetenz erwerben in der täglichen Praxis. Und Internationalität erfahren. – Und das ist das Einzigartige!"

Arnold Teicht nickt mit breitem Lächeln, lädt Mamadou Turé und Rafael Castillo zu einem Besuch auf der Brücke. – Zwanzig Minuten später fängt die Besatzung der "Bad Rappenau" den "Pinguin" wieder ein, hievt ihn per Kran an Bord. - Eine Seemeile entfernt taucht der Kieler Hafen auf: Containerschiffe laufen aus, Fischkutter mit abgespreizten Fangnetzen tuckern vorbei. Das Minenjagdboot drosselt die Fahrt, steuert den abgesperrten Militärbereich im Hafen an. Taue fliegen an Land, werden festgezurrt, Zeit für das "Einlaufbier".

Lautsprecher: "Jetzt die gesamte Mannschaft zum Einlaufbier aufs B-Deck. – Boot bleibt in Sofort-Bereitschaft."

Der komplette LGAI versammelt sich auf dem Achterdeck, Kapitänleutnant Norman Wald springt mit Schwung auf einen der Staukästen, Oberst Teicht bittet um Ruhe:

Teicht / Wald: "Meine Herren! Bitte! – Dankeschön. Also, meine Herren! Wie das so üblich ist in der Marine, gibt es nach dem Einlaufen noch mal ein Einlaufbier, wenn die Seefahrt geglückt ist. Und ich denke, dass es eigentlich ganz gut gelaufen ist. Und ihr Lehrgang hat das Bier ausgegeben, dafür herzlichen Dank!"

Zu Walds Füßen stehen zwei Pappkartons mit Flaschenbier und Coladosen. Der Kapitänleutnant greift als erster zu, die anderen folgen.

Oberst Teicht lehnt an der Reling, das Pils in Hand. Nicht alles, was die Teilnehmer des LGAI an der Führungsakademie lernen, können sie in ihren Heimatländern später auch umsetzen. Gepiercte oder langhaarige chinesische Soldaten wird es nicht geben, das deutsche Soldaten-Leitbild vom "Bürger in Uniform" ist in vielen Ländern nicht durchzusetzen. Trotzdem ist Arnold Teicht überzeugt vom Nutzen der Schulung:

Teicht: "Das sind Erlebniswerte, die die mit bekommen und auch mitnehmen. - Was dann in ihren Heimatländern umgesetzt werden kann, dass muss man dann im Einzelfall sehen. – Aber alleine das Erleben, wie in einer Demokratie die Streitkräfte eingebettet sind und wie es funktioniert und wie Freiheit in Gesellschaft sich in der Praxis darstellt: das ist ein Erlebniswert, der bleibt auch ein Stück weit haften!"

Arnold Teicht schaut hoch zum Oberdeck. Oben steht sein Kollege, Fregattenkapitän André Sabzog, winkt ihm zu, er soll hoch kommen, zum Erinnerungsfoto. Teicht stellt sein halbvolles Bier zurück in den Pappkartons, nimmt die Stahltreppe an der Seite mit schnellen Schritten, reiht sich ein zwischen zwei Soldaten aus Burkina Faso.

"Pakistan nach vorne? – Henry: bitte nach links. Richtung Nabil. Und Lulenko einen höher… Genau. – Smile!"