Deutsches Historien-Recycling
Es war einmal – und ist immer noch. Hoch über dem Rhein grüßt ein Drachen-Disneyland, in der Lüneburger Heide findet man angeblich das "Neuschwanstein des Nordens" und der Lustbau Salzdahlum lebt im Video fort.
321 Meter über den Meeresspiegel, das müsste doch zu schaffen sein. Denn dort oben auf dem Drachenfels empfängt uns, so empfindet es jedenfalls der Autor, ein deutsches Disneyland – die Drachenburg. Sie überragt nicht nur den Meeresspiegel, wir sagten es, um 321 Meter, sondern auch das Vorstellungsvermögen mancher Mitbürger, weil er nicht ahnt, nicht ahnen kann, was man alles aus einer Burgruine so alles machen kann. Mindestens ein "Gesamtkunstwerk", meint jedenfalls Peter Kessen. Hören Sie hier den Beitrag als Audio.
"Seit Anbeginn 1883 hat die Bahn 2,8 Millionen Kilometer zurückgelegt, das entspricht ungefähr achtmal dem Weg Mond Erde. Also sieht man, bei nur einer Streckenlänge von 1,5 Kilometern ist das schon eine ganze Menge. Seit Anbeginn haben wir mehr als 35 Millionen Personen auf den Berg befördert."
Eine große historische Tradition, die Thomas Scharf, Betriebsleiter der Drachenfelsbahn, da beschreibt. Neben ihm in der Talstation, stehen die elektrischen Triebwagen der Bahn, fast filigran wirken die Karosserien, blitzblank strahlend im lindgrünen Metallgehäuse der späten 50er-Jahre.
Der Elektrodrache frisst sich durch eine sattgrüne Baumallee im Siebengebirge. Die 1520 Meter lange Strecke überwindet dabei 220 Höhenmeter, auf 320 Metern liegt der Gipfel.
So klettern wir durch ein Dichterland, der Wechsel zwischen dem Lieblichen des Rheintals und den wilden Gipfeln, Tälern und Ruinen, das alles scheint die poetische Seele zu bewegen. Die Romantiker fanden hier das Erhabene und mit den Kriegen gegen Napoleon erblühten die nationalen Mythen um den sogenannten deutschen Rhein. Da spielte schnell auch das Nibelungenlied aus dem 13. Jahrhundert als deutscher Nationalmythos seine Rolle: Hier am Drachenfels soll Siegfried den Drachen getötet haben.
Da taucht es auf, das Märchenschloss, anno 1884 erbaut, wie eine riesige Steintorte, gebacken im historistischen Stil der Neoromanik, vorwiegend in den Farben Hellbraun, Altrosa und Trachtgrau. Der Blick stürzt in eine wilde Fassadenlandschaft, mit zwei großen Türmen und einem Wald von Erkern, Loggien und Balkonen. Die Außenfassade ziert eine steinerne Ahnengalerie, unter anderem mit Siegfried, der Loreley, Cäsar, Karl dem Großen, Wilhelm dem Ersten und Albrecht Dürer.
"Und dann betreten Sie einen solchen Haushalt nie ebenerdig, sondern man muss immer eine mehr oder weniger repräsentative Treppe hochgehen, auf die sogenannte Repräsentationsebene, die sogenannte Bel Etage..."
Schlossführerin Gabi Brennig beginnt die Führung im recht geräumigen Treppenhaus:
"Also, hier haben sie den gar nicht mal so unattraktiven Erbauer... Ja, also, er selber hat hier interessanterweise nie gewohnt, auch nicht mal hier übernachtet. Sondern bis zu seinem Lebensende in einer 3-Zimmer-Wohnung in Paris gelebt."
Baron Stephan von Sarter, ein früher Börsenkönig, er soll wegen des Todes seiner Geliebten nie eingezogen sein. Sein Neffe, Jakob Biesenbach, übernahm die Burg, startete den Tourismus mit Besichtigungstouren, Entrée gegen 50 Pfennig. Biesenbach, der bald mit Hitler auf die Feldherrnhalle marschieren sollte, verkaufte das Schloss an einen Rittmeister. Der wollte gewaltige Wagnerfestspiele auf dem Berg veranstalten, Anflug mit Zeppelin inklusive. Ein frühes deutsches Disneyland, das nie die Wirklichkeit sah −das Geld fehlte.
Die Schlossführung erkundet das Erdgeschoss. Eine Zimmerschlucht liegt vor uns, eine gründerzeitliche Höhle aus dunklem massivem Holz führt in die Herzkammer der Burg:
"Hier sind wir also in dem sogenannten Nibelungenzimmer. Diese Nibelungensage war natürlich etwas, was natürlich im 19. Jahrhundert ungemein populär war. Königssohn Siegfried hat ein Zauberschwert, und dann hat der hier einen Drachen getötet."
Hier erzählen die Wände einen deutschen Mythos: Siegfried der deutsche Held, Sklave seines Schicksals, gemeuchelt vom hinterlistigen Hagen, aber gerächt von seiner blutrünstigen Gattin Kriemhild. Eine überlebensgroße Historienmalerei, in süßlich-aquarellhaften Farben, mit operettenhaften, großen Gesten. Wir wandern durchs Kneipzimmer mit seinen barbusigen Schönheiten und landen in einem Musikzimmer. Allerdings einem falschen.
"Also, es sieht zumindest von hier aus aus wie eine tolle Orgelanlage. Das ist also wirklich nur eine Attrappe aus Pappmaschee und Blech! Ein Teil der Pfeifen sind einfache Regenfallrohre!"
Das war eine Idee von Paul Spinat, einem rheinischen Unternehmer, der in den 70er-Jahren die Burg kaufte, in Galauniform Orgelkonzerte vortäuschte, mit einem goldenen Rolls Royce durch den Schlosspark fuhr und Andy Warhol einlud. Dann kaufte das Land Nordrhein-Westfalen das Schloss und investierte rund 35 Millionen Euro in die Restaurierung. Und seitdem strömen sie wieder, die Massen. Auch zur sogenannten Nibelungenhalle unterhalb der Burg.
Die Bienen summen und der Blauregen leuchtet vor dieser Kuppelhalle im späten Jugendstil, die wie ein archaischer Bunker wirkt. Garniert mit hakenkreuzähnlichen Sonnenrädern, daneben eine Drachenhöhle und ein Reptilienzoo. Die Nibelungenhalle öffnete 1913 als Gedächtnistempel zum 100. Geburtstag Richard Wagners, des Komponisten des „Ring des Nibelungen". Der Kampf Siegfrieds führt zum Untergang Walhalls.
Im Innenraum der Halle tauchen aus dem Halbdunkel die beleuchteten zwölf Gemälde mit großformatigen Szenen aus dem "Ring" auf: Schwerölige Leinwände, die benommen machen durch die harten Kontraste zwischen Feuerfarben und Nachtfarben. Das Rheingold leuchtet, mondbeschienen ist das Stromtal, kohlrabenschwarze Töne beherrschen das Bild der Goldminen von Nibelheim, hier hat der böse Zwerg Alberich das Nibelungenvolk zur Zwangsarbeit gezwungen. Ein mythisches Unterganspanorama. Besitzerin dieses katastrophischen Betriebs ist eine fröhliche 71-jährige Rheinländerin:
"Mein Name ist Marlies Blumenthal und ich habe praktisch mein ganzes Leben auf dem Drachenfels, auf diesem Stückchen Erde verbracht. Ich muss ehrlich sagen, ich trenne das, was Wagner angeblich gedacht hat, und was auch in vielen Biografien niedergeschrieben ist, das trenne ich vollkommen, von dem, was er mit Text und Musik gemacht hat, Das ist eigentlich das, was mich begeistert. Diese manchmal etwas schwierige Verbindung zur älteren Zeit interessiert mich nicht so sehr, und ich kehr' das auch unter den Teppich. Ganz ehrlich."
Die Nibelungenhalle fasziniert heute wie damals radikal rechte Kreise, die Vereinigung der Verfolgten des Nazi-Regimes (VVN) warnte vor der mitunter auch giftigen Magie des Ortes. Da kann es durchaus beruhigen, dass der angeschlossene Reptilienzoo im Jahr 1958 entstanden sein soll, weil der Wagner-Tempel nicht mehr die Massen erregte. Jetzt pumpt der deutsche Staat mehrere hunderttausend Euro in die Renovierung der Halle. Und Frau Blumenthal wird darum weiterhin für Ihre Lieblinge im angeschlossenen Reptilienzoo schwärmen können:
"Wir stehen hier vor dem Terrarium für die Leguane. Und das ist der Wotan, das ist ein Nashornleguan, der wirklich aussieht, wie ein kleiner Drachen. Fünf Meter."
Die letzten Meter bis zum Gipfel, sie sind anstrengend, bis zu 20 Prozent beträgt die Steigung. Aber oben, auf dem schmucken Panorama-Plateau, kann der Blick schweifen, bis zum Kölner Dom, dem Rolandbogen und in die Eifel. Den neuen Gipfel hat Andreas Pätz, beschäftigt bei der Stadt Königswinter, mitgestaltet. In den 70er-Jahren schnürte ein Betonband mit Restaurant Bunker den Drachenfels. Nun hat ein Sanierungsbudget von neun Millionen Euro den Gipfel befreit. Und zwar auf ökologische und demokratische Weise:
"Und genau das kann man jetzt am neuen Drachenfelsplateau wunderbar ablesen. Und mit der Sitzstufenanlage, der sehr großzügigen, hat der öffentliche Raum deutlich an Qualität gewonnen, weil vorher existierte der quasi überhaupt nicht . Diesen Nachtfalter haben wir geschützt, indem wir im Rahmen der Abbruchmaßnahme Hochwassersäcke rund um das Plateau ausgelegt haben, damit das Wasser nicht den Hang hinunterfließen kann. Und damit den zweifarbigen Doppellinien-Zwergspanner in seiner Winterruhe stört."
So folgt die Gestaltung einer neuen touristischen Generallinie, dem ökologisch korrekten Wanderkulturbetrieb ohne Konsumzwang. Die deutschen Mythen um den Drachenfels scheinen vergangen, der Berg als Heimstatt theatralischer deutscher Gespenster wirkt zur Zeit unbehaust. Aber das Unheimliche, in Wirklichkeit schläft es doch nur am Fuß der Ruine, schon für einen Euro beginnt es sich zu regen:
"Ahhh...Ich bin der Drache vom Drachenfels und heiße euch hier oben auf meinem Berg herzlich willkommen."
Vom deutschen Disneyland zum Neuschwanstein des Nordens ist es gedanklich nur ein kurzer Weg, der geografische ist mit rund 400 Kilometer etwas länger. Kein Wunder, denn Bispingen liegt in Niedersachsen und dort wiederum liegt ein Areal, welches auch in einer eigenen Welt liegt, nämlich in der des Besitzers. Uwe Schulz-Ebschbach, Hausherr der "Iserhatsche", selbsternannter Freiherr und gelernter Malermeister aus Berlin. Petra Marchewka hatte Gelegenheit, die eigene Welt des Schloßherrn betreten zu dürfen. Hören Sie hier den Beitrag als Audio.
"Guten Tag" wünscht eine blonde Dame und begrüßt uns sehr herzlich in der Jagdvilla ihres Chefs. Und hier – raumgreifende Schaun-Sie-hier-schaun-Sie-da-Geste – ist das Wohnzimmer von Uwe-Schulz-Ebschbach und seiner Frau. Aha. Kamin, rundherum Heidelandschaften in Öl, schwere Sitzmöbel um schwere Tische, leichter Flachbildschirm hinter Schranktür, davor Fernsehsessel. Gut.
"Wir schauen dann einen Raum weiter in das Damenzimmer."
Quietsch, quietsch, quietsch über altes Parkett nach nebenan. Langer Tisch mit vielen Stühlen. Französische Tapete in Stempeldrucktechnik, Motiv, klar: Heide. Teppich pflegeleicht aufgemalt, hinter Glas in Vitrine die Fingerhut- und Glockensammlung der Chefin. Ein kleiner blonder Junge versteht nicht, was das soll.
Kind: "Was ist das?" – Oma: "Fingerhüte. Die tut man hier drauf und wenn man näht, dann kann man sich nicht in den Finger stechen. Ich hab auch noch einen zu Hause. Soll ich dir den mal zeigen, wenn du bei mir bist?"
Die Oma aus dem Sauerland nimmt den Enkel an die Hand und Frau Mayn, die Fremdenführerin, dreht an der Kurbel einer historischen Musikmaschine:
"Und hier ist das gute Polyphon, so wurde früher Musik gemacht."
Sie sage immer, das sei der Vorläufer des I-Pods, sagt sie, und geht weiter:
"Ja, wo das Damenzimmer ist, ist das Herrenzimmer nicht weit."
Mitten im Herrenzimmer eine Statue aus Bronze, die "Kugelspielerin" des Bildhauers Walter Schott, steht auch in Düsseldorf auf der "Kö". Hinten im Raum eine Bar, an den Wänden etliche Nachbildungen des Renaissance-Malers Arcimboldo, Obst-und-Gemüse-Gesichter also, sehr viele.
Besucherin mit Enkelkind: "Das ist Wahnsinn. Also das erschlägt mich hier. Hab ich noch nicht erlebt."
Bereits reizgeflutet blicken Oma und Enkel fassungslos vom Herrenzimmer in den Diana-Sanssouci-Raum, geblendet von sechsarmigen Kerzenleuchtern, Gemälden mit Renaissance-Motiven, mannshohen Spiegeln, Fresken und verschwenderischer Blattgold-Applikation.
Mayn: "Über sieben Jahre hat man gebraucht, um dieses Zimmer fertigen zu können, allein ein Jahr wurde das Blattgold verlegt sowie der Stuck an die Decke gebracht, der sich dann auch auf dem Boden widerspiegelt."
Völlig klar: Hier ist einer am Werk, der erstens etwas von seinem Handwerk versteht und zweitens gern dick aufträgt. Frau Mayn klatscht in die Hände und holt die Besuchergruppe aus grüblerischer Versenkung zurück an die porzellangesättigte Prachttafel:
"Wenn ich hier klatsche (klatscht), dann drehen sich die Tischplatten, so dass man das Essen nicht hin- und herreichen braucht. Wie beim Chinesen, ne!"
Dann deutet Frau Mayn auf eine verzierte Holzkiste mit Fensterscheibe:
"Das ist der Sitzsarg von Herrn Schulz-Ebschbach. Der Hausherr hat sich vor einigen Jahren ausmessen lassen und dann diesen Sarg anfertigen lassen. Warum ausgerechnet ein Sitzsarg? Er möchte später mal beigesetzt werden und nicht beigelegt werden."
Im Innern der allerletzten Behausung ein Totenhemd, grüne Ebereschenmotive auf himmelblauem Grund, weißer Spitzenkragen und hinten Schleifchen zum Zubinden. Richtung Ausgang geht es über einen aufgemalten Teppich – hier hat Schulz-Ebschbach in 6000 Bohrungen D-Mark-Münzen versenkt, alle nach Jahreszahl und Prägeanstalt sortiert. Dann endlich raus an die frische Luft.
Draußen vor der Tür steht der leibhaftige Schulz-Ebschbach und plaudert ungezwungen mit Besuchern. Der rundliche Mann trägt einen weißen, kurz geschnittenen Bart, das weiße Haar ist sorgsam gescheitelt. Ein feines Grinsen lässt sein Gesicht sympathisch lausbübisch wirken und auf die Gabe zur Selbstironie hoffen.
Besucherin: "Wie viele Jahre sind Sie da jetzt dran?" − Schulz-Ebschbach: "Na ja, nicht lang, 2008 hatten wir die Idee, 2009 haben wir aufgemacht, und was haben wir jetzt? Jetzt platzen wir aus allen Nähten..." − Besucherin: "Und diesen Teppich, wer hat das gemacht?" − "Ich, ich, alles ich, Sie müssen sich vorstellen, alles mach ich hier. So."
Er, er, alles er. Mehr muss man über den Malermeister a.D. eigentlich nicht wissen.
Schulz-Ebschbach: "Sehn se, mancher Papa, der arbeitet das ganze Jahr, das ganze Leben an seinem kleinen Häuschen und kriegt es nicht fertig. Sowas machen wir zwischendurch, mit dem kleinen Finger."
Mit Selbstbewusstsein bis über beide Ohren gesegnet und mit einem Händchen für wirkungsvolle Selbstinszenierung hat Schulz-Ebschbach 1992 für einen symbolischen Preußen-Taler Schloss Sanssouci angestrichen, was ihm damals den Titel "Berliner des Jahres" einbrachte. Eigentlich heißt der Malermeister schlicht Uwe Schulz, aber Schulz zu heißen erschien ihm zu normal. Also hat er einfach den Mädchennamen seiner Mutter rangehängt:
"Sie haben mir noch keine Visitenkarte gegeben. Dann kriegen Sie eine von mir und wenn Sie eine bessere haben, dann fresse ich meine auf."
Freiherr betitelt er sich frech, weil er dem Bispinger Bürgermeister die 950 Euro überwiesen hat, die jeder hier rein rechnerisch an Schulden hat. Seitdem begreift er sich als "freier Herr" der Gemeinde und nennt sich auch so:
"Sie wissen ja, wie ein Titel geführt wird. Vorname, Titel und Hauptname. Und ich nenne mich Uwe Schulz-Ebschbach Freiherr von Iserhatsche."
Wie er das hier finanziert? Alles redlich erarbeitet, mit seinen eigenen Händen und der Malermeisterfirma in Berlin, sagt er:
"Ich bin in der Lage, aus einem Euro 10.000 zu machen. Rufen se aber nicht Schäuble an jetzt."
Schulz-Ebschbach vom Band im Hintergrund: "So meine Damen und Herren..." - "Sehen Sie, geht doch." - Band: "Schön, dass Sie Iserhatsche heute auf Ihrem Besuchsprogramm haben, das Neuschwanstein des Nordens...."
Aus Lautsprechern ertönt nun der Freiherr aus der Konserve, und während sich der echte Schulz-Ebschbach über sich und sein Anwesen zu verzetteln beginnt, hebt Frau Mayn aufmunternd die Hand als Startsignal zum zweiten Teil der Führung:
"Sie sehen hier die weißen Balken, da stehen Sprüche drauf. 214 sind im ganzen Garten vertreten und 500 sollen es mal werden. Hat der Chef noch ein bisschen Arbeit vor sich, ne."
Im Park ein Eisenbaum mit Glocken, sieben goldenen Äste und sieben goldenen Wurzeln. 365 vergoldete Steine sind im Park verteilt, einen für jeden Jahrestag. Eine Dame mit kurzen brauen Haaren schüttelt staunend den Kopf.
Besucherin: "Wir wohnen ja hier in der Umgebung und jetzt haben wir Besuch gekriegt, die waren schon mal hier, und da wir noch nicht da waren, dachten wir, jetzt fahren wir mal her."
Mit Marschmusik im Nacken führt Frau Mayn ihre Gäste dem Höhepunkt des Rundgangs zu, dem Montagnetto, einem künstlich aus Abraum geschaffenen Berg, bunt wie eine aufgeblasene Überraschungs-Ei-Figur.
Während die Augen der Besucher noch Halt im rechts runterrinnenden Wasserfall und dem oberseits flammenspeienden Vulkan suchen, sagt Frau Mayn, wir alle sollten das Gebilde nun betreten. Drinnen labyrinthisch angeordnet eine Reihe kurioser Räumlichkeiten. Die Backofengrotte, das Trauzimmer, ein Speisesaal und die "Arachnerie" mit einem Glasdach in Form eines Spinnennetzes.
Mayn: "Am Glasdach sehen wir Gießkannen, Kuhglocken, Bügeleisen, Teppichklopfer, wir sind jetzt langsam im Berg der Sammelleidenschaften angekommen."
Nach einem Raum, der bis unter die Decke mit gefüllten Bierflaschen vollgeräumt ist, sitzt in einem Eckchen ein kleiner Mann mit Mitteilungsbedürfnis. Herr Lorenz ist eine Kapazität in Sachen Streichholzschachteln:
"51 Jahre sammle ich Streichholzschachteln, hab bis heut nicht aufgehört. Und ich wüsste eigentlich auch nicht warum. Weil es so viele wunderschöne Themen sind, die eigentlich jeden betreffen. Es gibt nichts, was es nicht gibt auf Streichholzschachteln."
Reihen, Flächen, Stapel, Türme von Streichholzschachteln, über-, unter- und nebeneinander, hübsch ordentlich nach Themen sortiert, 45.000 Stück, 400.000 weitere hat Herr Lorenz noch im Lager:
"Ich hab mein Hobby zum Beruf gemacht, jetzt bin ich Rentner, meine Frau ist froh, dass ich nicht zu Hause bin, kann ich nicht meckern."
Dem Berg entkommen tobt draußen das Glockenspiel am Eisenbaum. Es ist 13 Uhr, denn wäre es eine Stunde später, erklänge "Im schönsten Wiesengrunde". Uwe Schulz-Ebschbach stapft über Kies zurück zu seiner Jagdvilla. Er ist sauer. Der 73-Jährige will das schwäbische Schloss Lichtenstein nachbauen, aus einer Million Glasflaschen, in Originalgröße, aber die zuständigen Behörden zeigen sich zögerlich:
"Das sind mit einer Million Flaschen, das sind 500 Tonnen, Mädchen. 500 Tonnen will ick bewegen, und ich wollte 2016 fertig sein mit allem. Das ist nicht zu schaffen mehr. Das ist nicht zu schaffen."
Der Ausgang ist schon zum Greifen nah, als der Hausherr noch schnell etwas Wichtiges loswerden will. Jeder, so die finale Botschaft, absolut jeder kann das schaffen, was er sich hier aufgebaut hat.
Vorschlag für Spruch 215: "Wahnsinn ist machbar, Herr Nachbar." Auf Wiedersehen.
Märchenhaft und Disneyland – die Tour haben wir hinter uns gelassen, vor uns liegt nun Versailles, gut, das geplante Schloß sollte Versailles "den Rang ablaufen", also weit hinter sich lassen. Ein Märchenkönig, der ein Herzog war, hatte die Idee dazu. Und Alexander Budde griff sie auf und schaute nach, was von dem Traum von einem Versailles in Salzdahlum so geblieben ist. Also da in Niedersachsen. Hören Sie hier den Beitrag als Audio.
Ein Augenschmaus war das Schloss Salzdahlum. Doch vom Glanz früherer Tage künden heute nur noch wenige Torpfeiler und Skulpturen. Spärliche Überreste, über Museen und Gärten zerstreut, sind nach dem Abriss 1811 erhalten geblieben.
"Auf diesem Bild sieht man den Mittelbau des Schlosses, das Corps de Logis. Und dann schließt sich auf der Gartenseite ein großer Französischer Garten an. In der Grotte wurde im Sommer getafelt. Das war auch so eine kleine Geisterbahn: Da konnte man die Damen erschrecken, weil es etwas dunkler und feuchter war."
Hans-Henning Grote leitet das Museum im Schloss Wolfenbüttel. Mit Kupferstichen, Modellen, Animationen lockt er den Besucher zu einem virtuellen Streifzug durch den fürstlichen Lustbau Salzdahlum. Die Idee dazu soll dem Welfen auf seinen vielen Reisen etwa in die Republik Venedig und in die Niederlande gekommen sein.
Folgenschwer, doziert Grote, war insbesondere die so genannte Kavaliersreise nach Frankreich, die den jungen Adelsspross 1656 an den Hof Ludwig XIV. führte:
"Ein Jahr bevor er dort hingefahren ist, ist in Paris das 'ballet de la nuit' aufgeführt worden, in dem Ludwig XIV. als Sonne aufgetreten war. Und als Anton Ulrich wieder nach Hause kam, hat er sofort auch so ein Ballett geschrieben und ist auch dort als Sonne aufgetreten. Dieses savoir-vivre hat er von Frankreich eindeutig übernommen und diese Kultur bis zu seinem Lebensende gepflegt."
Das Traumschloss samt Theater und Gemäldegalerie ward jedoch zu einer argen Belastung für das fürstliche Privatbudget. Die Fassaden der Holzgebäude ließ der Baumeister farbig anstreichen, sodass sie von weitem wie erhabene Steinbauten wirkten:
"Anton Ullrich hat am Ende seines Lebens eine Million Taler Schulden gehabt. Er hat das dann damit begründet, er musste gegen Hannover Flagge zeigen. Das kostete eben Geld."
Anton Ulrich litt sehr unter den Erfolgen seiner Hannoveraner Vettern, die sich ihre Kurwürde mit dubiosen Zuwendungen erkauft hatten. Anton Ulrich investiert ein Vermögen in französische Emaille und japanische Lackarbeiten. Vor allem aber in Gemälde, die seine Agenten in den Niederlanden beschaffen. Kulturdiplomatie par excellence: Der Fürst aus Wolfenbüttel beeindruckt Preußenkönig Friedrich wie auch den russischen Zaren Peter.
Schloss Salzdahlum sollte Anton Ulrich nur um ein Jahrhundert überleben. Nicht dem Holzwurm war der unrühmliche Untergang des Prunkbaus geschuldet, wie Spötter böse munkelten. Dem Abriss war ein politischer Entschluss des damaligen Königs Jérôme von Westfalen vorausgegangen. Der Bruder Napoleons versprach sich vom Abbruch samt Versteigerung des Inventars die nötigen Mittel für seinen Neubau in Braunschweig.
Grote: "Wenn das Schloss noch stünde, würden wir gar nicht so rummaulen. Man denkt nur an Neuschwanstein!"