Warum die harten Coronamaßnahmen die Falschen treffen
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Wer nach 21 Uhr in Flensburg seine Wohnung verlassen möchte, braucht dafür einen triftigen Grund. In der Stadt gilt wegen der hohen Coronazahlen eine Ausgangssperre. Der Landtagsabgeordnete Christian Dirschauer hält die Beschränkungen für problematisch.
Seit Mitternacht gelten im schleswig-holsteinischen Flensburg verschärfte Coronamaßnahmen, darunter eine nächtliche Ausgangssperre. Flensburg entwickelt sich zu einem neuen Corona-Hotspot. Die Sieben-Tage-Inzidenz in der nördlichsten Stadt Deutschlands liegt derzeit knapp unter 200, die nachgewiesenen Fälle von Virus-Mutationen nehmen zu. Daher dürfen Einwohnerinnen und Einwohner ohne begründete Ausnahme ihre Häuser nach 21 Uhr nicht mehr verlassen.
"Massive Grundrechtseinschränkungen wie eine Ausgangsbeschränkung unterliegen sehr strengen verfassungsrechtlichen Kriterien und müssen dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit entsprechen", erklärt Christian Dirschauer, Landtagsabgeordneter des Süd-Schleswigschen Wählerverbandes, und kritisiert: "Dieser muss gewahrt bleiben, und da bestehen Zweifel bei uns." Ein gerichtliches Eingreifen und mögliches Kippen der Regelung hält er für denkbar.
Dirschauer hält die Ausgangssperre für problematisch, da sie auch den gegenteiligen Effekt haben könnte. "Ich nehme wahr, dass es Bürgerinnen und Bürger gibt, die die sichereren Maßnahmen, welche auch wirken, ebenfalls infrage stellen." Wenn die Akzeptanz für die Maßnahmen in der Bevölkerung sinke, sei es ebenso schlimm, als wenn sich die Virusmutante ausbreite, so der Flensburger. "30 Prozent mehr Mutante ist genauso schlimm wie 30 Prozent weniger Menschen, die mitmachen."
"Vor allem Familien leiden"
Die neuen Kontaktbeschränkungen, nach denen man sich nur noch mit Personen des eigenen Haushaltes drinnen und draußen aufhalten darf, sowie die Ausgangssperre träfen die Falschen, so Dirschauer. Zwar stehe seine Partei hinter den Kontaktbeschränkungen, vor allem Familien würden aber unter der Ausgangssperre leiden, gibt er zu bedenken. "Es ist nur schwer zu verstehen, warum eine Person ihren Hund nach 21 Uhr ausführen, aber eine Mutter, die durch Arbeit, Haushalt, Homeschooling und möglicherweise Versorgung von Angehörigen belastet ist, nicht mehr abends joggen gehen darf."
Als Vertreter der dänischen Minderheit sieht Dirschauer auch mögliche Verschärfungen im Grenzverkehr zu Dänemark kritisch. Immerhin würden 12.000 Berufspendler täglich die Grenze passieren. "Wenn ich mir die dänischen Grenzkommunen anschaue, ist die Inzidenz dort deutlich geringer als hier", so der Politiker. Er könne die Forderung nach Grenzschließungen daher nicht verstehen. "Wir haben hier im Grenzland ein Vertrauensverhältnis aufgebaut und eine gemeinsame Identität in der Region entwickelt", sagt Dirschauer und befürchtet, dass das gute Verhältnis durch solche Forderungen gefährdet werden könnte.
(lsc)