Ausgezockt?
1998 war die Welt in Leipzig noch in Ordnung. Der damalige Stadtkämmerer erklärte, durch Leasinggeschäfte mit US-Unternehmen habe die Stadt "eine echte Goldgrube" erschlossen. Viele Bürger sehen das heute anders - und organisieren sich gegen des Ausverkauf.
Privatisierung im Land Sachsen
Von Alexandra Gerlach
Was haben die Privatisierungen kommunalen Eigentums gebracht? Vor Jahren war das landauf, landab als der Königsweg gepriesen und von nicht wenigen Gemeinden gleich in klingende Münze umgewandelt worden. Verkauf mich, verkauf mich – rief das Tafelsilber. Und weg war es. Wir baten unsere Korrespondentin Alexandra Gerlach um eine Übersicht über das Ausmaß der Privatisierung kommunalen Eigentums im Freistaat. Sie teilte uns mit, einen "gesamten Überblick über die Privatisierungen im Freistaat konnte und wollte hier keiner geben", offenbar politisch "zu kniffelig." Erstaunlich bei einer Geschichte, die doch den Erfolg bringen sollte.
"Ja, also es ist immer eine Kombination gewesen aus zwei Gedanken: Zum einen brauchte man das schnöde Geld. Man hat also ein Auktionsverfahren organisiert, man hat gesagt, wer bei uns einen privaten Anteil erwerben möchte, der muss einen Haufen Geld dafür hinlegen und wenn es geht, auch eine Menge Know-how mitbringen, damit wir das, was wir dann gemeinsam betreiben, auch wirtschaftlicher betreiben und da vielleicht dann auch noch mal profitieren."
Hartmut Vorjohann, CDU, ist Kämmerer der sächsischen Landeshauptstadt Dresden. Viele seiner Amtskollegen dürften ihn um seinen finanziellen Status beneiden, denn seine Stadt ist schuldenfrei. Dresden hat es geschafft – durch die umfangreiche Privatisierung kommunalen Eigentums. Tafelsilber weg, alte Schuldenberge abzubauen. Bislang, so Vorjohann, blicke man ohne Reue auf die Verkäufe:
"Ja auf jeden Fall. Wir haben Teilprivatisierungen gemacht bei der Stadtentwässerung und der Stadtreinigung. Da haben wir erstens eine gute Summe bekommen am Anfang und profitieren jetzt eben gemeinsam auch davon, dass es eben jetzt auch wirtschaftlicher betrieben wird. Die Privaten haben eben auch dieses Know-how mitgebracht und unsere Unternehmen laufen besser."
Drei verschiedene Arten von Privatisierung kommunalen Eigentums hat die Stadt Dresden umgesetzt. Sie hat verkauft, verleast und private Investoren in städtische Projekte, wie etwa den Bau eines neuen Fußballstadions, eingebunden.
Für Schlagzeilen sorgte im Jahr 2006 der Verkauf des gesamten kommunalen Wohnungsbestandes an den US-amerikanischen Investor FORTESS, der inzwischen GAGFAH heißt. Die Entscheidung spaltete den Stadtrat und sorgte für Wellen der Empörung, etwa beim Mieterverein, der große Nachteile für seine Klientel in den verkauften Gebäuden befürchtete. Aus Sicht des Beigeordneten für die Finanzen, Vorjohann, war der Verkauf jedoch ohne Alternative:
"Also zunächst mal: Das damals für uns zentrale Argument, warum überhaupt ein Verkauf diskutiert wurde, war ja: wir waren pleite! Wir haben einen Riesen Schuldenberg gehabt und damals eine außerordentlich günstige, historisch günstige Situation erwischt."
48.000 Wohnungen wechselten den Besitzer. Knapp eine Milliarde Euro flossen in die maroden städtischen Kassen. Der Investor musste zudem eine Sozialcharta unterschreiben, die einen umfassenden Mieterschutz garantieren und Mietwucher verhindern soll. Bislang, so die Informationen aus der Stadtverwaltung, würden die Vereinbarungen "weitgehend" gehalten. Andere Kommunen folgten dem Beispiel, so etwa Zwickau, wo gleichfalls mehrere 1000 Wohnungen aus dem eigenen Bestand verkauft wurden.
Auf der Suche nach Wegen aus der Finanzmisere haben einige verschuldete Kommunen in Sachsen auch wichtige Versorgungseinrichtungen wie die Stadtentwässerung oder Stadtreinigung verkauft oder verleast. Kritisch sieht dies der Finanzwissenschaftler an der TU Dresden. Prof. Marcel Thum:
"Bei den Stadtwerken bin ich schon etwas skeptischer. Es kann zwar sein, dass intern die Effizienz etwas gestiegen ist, aber die Stadtwerke haben natürlich eine sehr starke Marktmacht den Kunden gegenüber und können die Preise erhöhen, ohne dass die Kunden ausweichen können. Das ist natürlich nicht erwünscht. Die verlangen überhöhte Preise, die Stadt macht dann zwar Gewinne, aber das ist natürlich nicht Sinn und Zweck der Stadtwerke."
Inzwischen macht sich die internationale Finanzkrise auch bei den ausländischen Investoren bemerkbar. In Dresden beispielsweise wird derzeit das Leasing-Geschäft eines US-Investors mit der Stadtentwässerung vorzeitig rück abgewickelt. Nach Angaben des dortigen Kämmerers ohne Einbußen für die Stadt. Was an Kosten anfalle, werde aus den guten Erträgen des über zehn Jahre laufenden Geschäfts finanziert.
Also alles paletti und Freistaat Sorgenfrei? Der Finanzwissenschaftler Prof. Marcel Thum blickt skeptisch auf die Ergebnisse der teils umfangreichen Privatisierungen im Freistaat Sachsen:
"Die Finanzkrise war jetzt der Anlass oder der Auslöser, dass einige von diesen Cross-Border-Leasing-Verträgen in Schwierigkeiten gekommen sind und dass einige Finanzierungsmodelle in Schwierigkeiten gekommen sind, aber die Probleme der Privatisierung sind natürlich grundsätzlich vorhanden. Wenn Marktmacht ausgespielt wird und die Preise zu hoch werden und niemand diese privatisierten Firmen, die Marktmacht haben, kontrolliert, dann ist das ein lang anhaltendes Problem, völlig unabhängig von der Finanzkrise."
Privatisierung in Leipzig
Von Michael Frantzen
1998 war die Welt in Leipzig noch in Ordnung. Der damalige Stadtkämmerer erklärte, durch Leasinggeschäfte mit US-Unternehmen habe die Stadt "eine echte Goldgrube" erschlossen. Leipzig war damals Vorreiter in Deutschland - beim "Cross Border Leasing", kurz CBL genannt. Keine andere Großstadt hatte so viele CBL-Verträge abgeschlossen - und so viel privatisiert. Und heute? Redet die Messestadt immer noch von einer "echten Goldgrube"? Viele Bürger tun es jedenfalls nicht mehr.
Nagler: "Es gibt schon so 'ne Kehrtwende."
In Leipzig. Der "Heldenstadt".
Kotte: "Sie haben mit dieser Gegenwehr nicht gerechnet in Leipzig."
Sie, das sind die im Rathaus, einer kafkaesken Trutzburg mit endlosen Gängen und mattem Licht.
Tierpitz: "Da sprechen Sie ein sensibles Thema an."
Stichwort: Privatisierungen. Eigentlich sollten ja die Stadtwerke verkauft werden: 49,9 Prozent. An einen Privatinvestor. Doch da hatten die im Rathaus die Rechnung ohne ihre Leipziger gemacht. Vor gut zwei Jahren stoppten sie den Ausverkauf.
Franke: "Das war die rote Karte für alle hemmungslosen Privatisierer."
Wolfgang Franke kann sich immer noch freuen wie ein kleiner Junge; über die entgeisterten Gesichter von SPD-Oberbürgermeister Jung und wie sie alle heißen, als Ende Januar 2008 das Ergebnis des Bürgerbescheids verkündet wurde: 87 Prozent Zustimmung für Franke und seine Mitstreiter von "APRIL".
"APRIL heißt also 'Antiprivatisierungsinitiative Leipzig'. Und wir beobachten nach wie vor sozusagen die Situation. Was tut sich da kommunalpolitisch? Und auch über Leipzig hinaus. In Bezug auf öffentliches Eigentum."
"Ausgerechnet die Stadtwerke!", dachte sich Wolfgang Franke, als er zum ersten Mal von den Plänen von SPD und CDU im Stadtrat hörte, den kommunalen Energieversorger zu privatisieren, für 200 Millionen Euro. Schnelles Geld, aber zu welchem Preis? Der Diplomingenieur, ein ruhiger Zeitgenosse, hebt die Hände. Die Stadtwerke sind profitabel. Und spülen Jahr für Jahr Geld in den städtischen Säckel. Punkt Eins.
Punkt Zwei:
"Was uns auch wichtig war, was wir auch immer gesagt haben: Wir können's, wenn’s unser Eigentum ist, also wenn’s der Stadt gehört, dann können wir auch eine demokratische Mitgestaltung realisieren. Wenn das nicht der Fall ist, haben wir kein Einfluss mehr drauf."
Kotte: "Da sieht man wirklich: Das ist eben Leipzig. Leipzig ist schon immer selbstbewusste Bürgerstadt."
An Selbstbewusstsein mangelt es auch Henner Kotte nicht. Wenn man so will, ist der barocke Genussmensch das Gesicht von APRIL. Der Mittfünfziger hat sich einen Namen gemacht in Leipzig, als Drehbuchautor für den MDR-Tatort mit Kommissar Ehrlicher.
"Was mich sehr beeindruckt hat: Dass der Bürger zu dieser Wahl, die auch noch sehr ungünstig lag im Januar, wirklich gegangen ist. Und wir hatten 'ne höhere Wahlbeteiligung bei diesem Bürgerbegehren als bei der Oberbürgermeisterwahl. Und da merkt man natürlich, dass die Stadt nicht mehr gegen ihre Bürger die Politik betreiben kann. Und das war, glaube ich, ein großer Aha-Effekt für die im Rathaus."
Schulze: "Hallo! Wenn Auerhammer auftaucht, schicken Sie ihn mal bitte rein. Weil der mich sucht, dann eventuell."
Das eine oder andere Aha-Erlebnis hatte auch schon Christian Schulze. Der SPD-Mann sitzt seit 1990 im Stadtparlament. Schulze ist beliebt. Nicht nur in seinem Wahlkreis, in Alt- und Neulindenau, sondern auch im Rat der Stadt: Fraktionszwang, so etwas kennt der bärtige Mitbegründer der Leipziger SPD nicht. Wenn ein Vorschlag der CDU oder der Grünen gut ist, warum soll er nicht dafür stimmen? Für Schulze ist die Sache ganz einfach. Die Argumente müssen stimmen. Die Fakten. Ist ja auch nicht umsonst Vorsitzender des Finanzausschusses.
Schulze war von Anfang an für die Teilprivatisierung der Stadtwerke.
"Das hätte uns erheblich entschuldet. Wenn wir diese Beschlüsse hätten fassen können. Es wird sicherlich gehen um Tochter- oder Enkelunternehmen von städtischen Unternehmen, über die können wir auch heute womöglich befinden. Da in dieser oder jenen Stelle die eine oder andere Millionen zu heben. Aber der große Wurf, wie jetzt zum Beispiel in Dresden, die ganzen kommunalen Wohnungen zu privatisieren, dieses steht in Leipzig nicht zur Disposition in nächster Zeit."
So ändern sich die Zeiten: Ende der 90er war Leipzig noch ganz vorne beim Verkauf seines Tafelsilbers. "CBL" lautete die magische Formel. Die drei Buchstaben stehen für "Cross Border Leasing", dem Leasing über Staatsgrenzen hinweg. Überall in Deutschland verkauften Gemeinden damals ihr öffentliches Eigentum, meist an US-amerikanische Geldgeber, um es postwendend zurück zu mieten. Messehallen, Müllverbrennungsanlagen, Kliniken. In den USA galten die Deals als "förderungswürdige Auslandsinvestitionen", die steuerlich geltend gemacht werden konnten. Einen Teil des Gewinns gaben die Investoren an die Städte ab.
Irgendwann schwante den Gesetzgebern in Washington, dass es sich da wohl weniger um eine "Investition" handelte, als um ein Steuerschlupfloch. 2004 stopfte der US-Kongress das Loch.
Da wurden sie in Leipzig zum ersten Mal hellhörig. Die Messestadt hatte bis dahin in Sachen "CBL" Deutschlandweit den Vogel abgeschossen: sieben Verträge – für 2,2 Milliarden Euro. Es war ein Geschäftsmodell, von dem die "FAZ" im Dezember 1998 schrieb, Leipzig habe sich dadurch "eine echte Goldgrube erschlossen". Elf Jahre später schreibt "Die Zeit", CBL habe "deutsche Kommunalpolitiker kollektiv um den Verstand gebracht".
Schulze: "Ja! Das können 'se eigentlich nur ergebnisorientiert betrachten. Also solange 'ne Kommune dabei keinen Schaden erleidet, haben wir da 'ne ganze Menge Geld bei gutgemacht. Bei diesen Geschäften, die sicherlich moralisch zu hinterfragen sind."
77,9 Millionen Euro, um genau zu sein. Genau wie alle anderen stimmte Christian Schulze für die CBL-Geschäfte.
"Wenn Kommunen durch Bundespolitik – und zwar durchgehend durch alle Regierungen, die wir da hatten in den letzten 20 Jahren – nicht ausreichend finanziell ausgestattet werden, um ihre Aufgaben zu erledigen und die Bürger ordentlich versorgen zu können, greifen Kommunen manchmal zu Strohhalmen, wie zum Beispiel diesem Cross Border Leasing. Andererseits sind wir damals überzeugt worden von Kämmerei und Oberbürgermeister und Beratungsfirmen und ähnlichen, hier 'ne mehr oder weniger 100-prozentig sichere Geschichte zu machen."
Das hat sich als Trugschluss entpuppt. Die finanzielle Kernschmelze an der Wallstreet hatte niemand auf der Rechnung, auch nicht in Leipzig. Spätestens als der weltweit größte Versicherer, AIG, in Schieflage geriet, wurden denen im Rathaus zum ersten Mal etwas mulmig. Laut den CBL-Verträgen ist die Stadt verpflichtet, mögliche Ausfälle auszugleichen. Von hohen zweistelligen Millionen-Nachzahlungen ist die Rede.
Genaueres ist in der Stadtkämmerei nicht zu erfahren. Die alte Kämmerin, Bettina Kudla, war berühmt dafür, Presseleuten bei Anfragen zu den Risiken der CBL-Geschäfte einen Termin frühestens in vier Wochen anzubieten. Das hat sich erledigt: Die CDU-Frau hat den Absprung nach Berlin geschafft, in den Bundestag. Einen Nachfolger gibt es noch nicht. Dafür aber einen kommissarischen Leiter; der aber leider gerade im Urlaub ist, wenn sich die Journalie meldet. Und einen amtierenden Leiter, der sich nach langem hin und her zu einem Interview bereit erklärt.
Tierpitz: "Die Stadt Leipzig versucht, solche Geschäfte, die in der Vergangenheit eingegangen wurden, entsprechend zu überwachen. Und gegenzusteuern. Mehr kann ich ihnen aber dazu jetzt nichts sagen."
Nicht gerade gesprächig, Michael Tierpitz, der amtierende Leiter der Stadtkämmerei. Aber eigentlich auch nicht verwunderlich. Im Kleingedruckten aller CBL-Verträge findet sich ein Passus, wonach sich die Städte zu "absoluter Verschwiegenheit" über die Geschäftsdetails verpflichten.
Tierpitz: "Die CBL – die Verträge … es ist aber auch so, dass bisher noch keine größeren Regressansprüche aus diesen Geschäften gegenüber der Stadt Leipzig virulent oder schlagend geworden sind."
Das kann man auch anders sehen.
Ganz im Süden, wo der Braunkohleabbau Leipzig zu DDR-Zeiten bedrohlich auf die Pelle rückte, liegt er: Der Straßenbahnhof Dölitz. Hier draußen kann man sich den ziemlich "virulenten Fallout" der CBL-Geschäfte anschauen. Rund 50 alte Tatra-Straßenbahnloks stehen auf dem Gelände herum. Veraltete Technik, aber betriebsbereit. Das muss so sein, meint Mike Nagler von der Antiprivatisierungskampagne "APRIL". Der Vertrag schreibt das vor:
"Es ist offenbar so, dass in den Verträgen drin steht: Diese alten Tatra-Wagen, diese Triebwagen von den Verkehrsbetrieben, normalerweise benutzt man die hier nicht mehr in der Stadt. Aber dadurch, dass die Teile dieses Vertrages sind, also nicht mehr direkt der Stadt gehören, sondern verleast sind, dürfen die nicht verschrottet werden. Die müssen halt am Laufen gehalten werden. Aber die braucht keiner mehr. Man darf da keine großen Änderungen vornehmen, weil’s gegen diesen Vertrag verstoßen würde."
Nicht viel anders sieht es bei einem weiteren CBL-Geschäft aus: Den Leipziger Wasserwerken. Laut Informationen lokaler Medien darf die Stadt ihr Trinkwassernetz auch dann nicht verkleinern, wenn die Bevölkerung schrumpfen sollte. Weil: Die Investition würde ja an Wert verlieren. Die Zeche dürften irgendwann die Leipziger zahlen. Denn: Wie finanziert man es, überflüssige Kapazitäten aufrecht zu erhalten? Wolfgang Franke von APRIL schaut einen erwartungsvoll an. Indem man die Gebühren erhöht.
Der Anti-Privatisierungsaktivist kann immer noch nicht fassen, mit wie viel Elan die Leipziger Stadtväter und –Mütter auf den CBL-Zug gesprungen sind, damals, Ende der 90er, ohne auch nur einen blassen Schimmer zu haben, was eigentlich drin steht in den Verträgen.
"Es sind halt Riesenverträge in Englisch. Mit hunderten und tausenden Seiten, die am Ende auch im Stadtrat sicherlich niemand gelesen hat. Da hat auch 'nen Bisschen, sage ich mal, die Kommunalpolitik in meinen Augen versagt. Weil sie da einfach hinterher gerannt sind. 'Machen wir mit! Super! Kriegen wir 'nen Bisschen Geld in die Kasse!'"
"Wir haben natürlich nicht die Verträge selber gelesen. Und konkret ... das ist für 'nen ehrenamtlichen Stadtrat gar nicht leistbar …"
… hält Christian Schulze dagegen, der hauptberuflich für die Arbeiterwohlfahrt ein Seniorenzentrum leitet.
"Dafür gibt’s die Verwaltung, dafür gibt’s die entsprechenden Prüfaufträge. Die Firmen, die Beratungsfirmen und so weiter."
Arbeitsteilung nennt man das wohl. Peter Kaminski dürfte es nur recht gewesen sein. Der damalige Stadtkämmerer brüstete sich lange damit, in Deutschland der Wegbereiter für CBL-Geschäfte gewesen zu sein. Inzwischen backt der CDU-Mann kleinere Brötchen. 2004 verlor er sein Amt, in die Schlagzeilen geriet er nur noch, weil Sachsens Antikorruptionseinheit gegen ihn in mehreren Affären ermittelte. Seitdem redet er nicht mehr so gerne mit Medienvertretern:
"Nicht nur in Leipzig, ich glaub, auch in anderen Städten ... der eine oder andere Koffer hat da noch den Besitzer gewechselt. Oder das eine oder andere Geschenk. Oder die eine oder andere Dubai-Reise."
In Dubai war Peter Kaminski auf Einladung der Schweizer Firma "Global Capital Finance", kurz GCF. Die hatte ihre Finger bei den CBL-Geschäften mit im Spiel. In Leipzig. Es muss eine Reise mit allen Schikanen gewesen sein, für Kaminski und einige Kommunalmanager samt Lebensgefährtinnen: GCF ließ sich den Trip 135.000 Euro kosten.
Fast schon ein Thema für einen Tatort: Henner Kotte muss lachen. Manchmal, meint der Drehbuchautor, schreibe das Leben halt die besseren Geschichten. Von den Mauscheleien hat er erst Mitte der Jahrzehnts erfahren. Gab ja so und so kaum Opposition gegen die CBL-Geschäfte:
"Das liegt eindeutig daran, dass dieses Gewusel für 'nen Bürger nicht einzusehen war. Wie das Cross Border und was weiß ich: hin und zurück. Und die Verträge waren so und so nicht öffentlich."
Das war bei den Privatisierungsplänen für die Stadtwerke anders.
"Hier ging’s ja um 'ne ganz, ganz einfache Frage. Verkaufen wir die Stadtwerke oder verkaufen wir sie nicht? Und da sind weder Klauseln dabei gewesen. Eine Bürgerinitiative gegen diese verklausulierten Verträge, dagegen vorzugehen: Wie soll das denn klappen? Das kann ich auch 'nem Menschen auf der Straße nicht begreiflich machen."
Aber schon, dass es keinen Sinn macht, die Stadt- oder Wasserwerke zu verscherbeln, um kurzfristig Geld in die Kasse zu spülen. Findet Mike Nagler. So ganz sei die "Gefahr" aber immer noch nicht gebannt. Ende September stand im Stadtrat, der nächstes Jahr zehn Millionen sparen muss, eine Vorlage zur Abstimmung, von der der Attac-Mann sagt, es sei "alter Wein in neuen Schläuchen" gewesen. Wieder verhießen drei Buchstaben den schnellen Profit: Aus "CBL" war "PPP" geworden - die "Public Private Partnership". Dahinter verbirgt sich das Zusammenspiel von Kommune und Privatwirtschaft bei Infrastrukturmaßnahmen.
"Ist 'nen ähnliches Konstrukt wie Cross Border Leasing. Es ist halt auch 'ne Möglichkeit, wie man halt aus kommunalen Eigentum Finanzprodukte macht. Und letzten Endes die Kommune irgendwann zahlt zwar jedes Jahr ihren Betrag, aber keinen Einfluss mehr groß drauf hat. Sind mit 'nem hohen Risiko verbunden, ähnlich wie bei den Cross-Border-Deals. Man kann’s halt nicht abschätzen, was das an Folgekosten verursacht."
Franke: "Es gab konkrete Überlegungen. Und es ist kein Pappenstiel: Zum Beispiel ging’s um fünf Schulen, mit 'nem Investitionsvolumen hinsichtlich Bau und Betreibung der Schule über 25 Jahre von circa 200 Millionen Euro."
Daraus ist erst einmal nichts geworden: Die Mehrheit des Rates sprach sich gegen die "PPP-Geschäfte" aus – auch wegen der Geschichte mit CBL, meint Christian Schulze:
"Ich denke, solche Gelddruckmaschinen stehen heute nicht mehr zur Disposition. Da würde auch keiner mehr drauf springen, auf den Zug. Nach den Erfahrungen auch mit CBL rückblickend. Wie gefährlich das eben werden kann; wenn da nicht alles so kommt, wie man sich das vorstellt. Von daher sehe ich solche Wundermaschinchen heute nicht mehr."
Von Alexandra Gerlach
Was haben die Privatisierungen kommunalen Eigentums gebracht? Vor Jahren war das landauf, landab als der Königsweg gepriesen und von nicht wenigen Gemeinden gleich in klingende Münze umgewandelt worden. Verkauf mich, verkauf mich – rief das Tafelsilber. Und weg war es. Wir baten unsere Korrespondentin Alexandra Gerlach um eine Übersicht über das Ausmaß der Privatisierung kommunalen Eigentums im Freistaat. Sie teilte uns mit, einen "gesamten Überblick über die Privatisierungen im Freistaat konnte und wollte hier keiner geben", offenbar politisch "zu kniffelig." Erstaunlich bei einer Geschichte, die doch den Erfolg bringen sollte.
"Ja, also es ist immer eine Kombination gewesen aus zwei Gedanken: Zum einen brauchte man das schnöde Geld. Man hat also ein Auktionsverfahren organisiert, man hat gesagt, wer bei uns einen privaten Anteil erwerben möchte, der muss einen Haufen Geld dafür hinlegen und wenn es geht, auch eine Menge Know-how mitbringen, damit wir das, was wir dann gemeinsam betreiben, auch wirtschaftlicher betreiben und da vielleicht dann auch noch mal profitieren."
Hartmut Vorjohann, CDU, ist Kämmerer der sächsischen Landeshauptstadt Dresden. Viele seiner Amtskollegen dürften ihn um seinen finanziellen Status beneiden, denn seine Stadt ist schuldenfrei. Dresden hat es geschafft – durch die umfangreiche Privatisierung kommunalen Eigentums. Tafelsilber weg, alte Schuldenberge abzubauen. Bislang, so Vorjohann, blicke man ohne Reue auf die Verkäufe:
"Ja auf jeden Fall. Wir haben Teilprivatisierungen gemacht bei der Stadtentwässerung und der Stadtreinigung. Da haben wir erstens eine gute Summe bekommen am Anfang und profitieren jetzt eben gemeinsam auch davon, dass es eben jetzt auch wirtschaftlicher betrieben wird. Die Privaten haben eben auch dieses Know-how mitgebracht und unsere Unternehmen laufen besser."
Drei verschiedene Arten von Privatisierung kommunalen Eigentums hat die Stadt Dresden umgesetzt. Sie hat verkauft, verleast und private Investoren in städtische Projekte, wie etwa den Bau eines neuen Fußballstadions, eingebunden.
Für Schlagzeilen sorgte im Jahr 2006 der Verkauf des gesamten kommunalen Wohnungsbestandes an den US-amerikanischen Investor FORTESS, der inzwischen GAGFAH heißt. Die Entscheidung spaltete den Stadtrat und sorgte für Wellen der Empörung, etwa beim Mieterverein, der große Nachteile für seine Klientel in den verkauften Gebäuden befürchtete. Aus Sicht des Beigeordneten für die Finanzen, Vorjohann, war der Verkauf jedoch ohne Alternative:
"Also zunächst mal: Das damals für uns zentrale Argument, warum überhaupt ein Verkauf diskutiert wurde, war ja: wir waren pleite! Wir haben einen Riesen Schuldenberg gehabt und damals eine außerordentlich günstige, historisch günstige Situation erwischt."
48.000 Wohnungen wechselten den Besitzer. Knapp eine Milliarde Euro flossen in die maroden städtischen Kassen. Der Investor musste zudem eine Sozialcharta unterschreiben, die einen umfassenden Mieterschutz garantieren und Mietwucher verhindern soll. Bislang, so die Informationen aus der Stadtverwaltung, würden die Vereinbarungen "weitgehend" gehalten. Andere Kommunen folgten dem Beispiel, so etwa Zwickau, wo gleichfalls mehrere 1000 Wohnungen aus dem eigenen Bestand verkauft wurden.
Auf der Suche nach Wegen aus der Finanzmisere haben einige verschuldete Kommunen in Sachsen auch wichtige Versorgungseinrichtungen wie die Stadtentwässerung oder Stadtreinigung verkauft oder verleast. Kritisch sieht dies der Finanzwissenschaftler an der TU Dresden. Prof. Marcel Thum:
"Bei den Stadtwerken bin ich schon etwas skeptischer. Es kann zwar sein, dass intern die Effizienz etwas gestiegen ist, aber die Stadtwerke haben natürlich eine sehr starke Marktmacht den Kunden gegenüber und können die Preise erhöhen, ohne dass die Kunden ausweichen können. Das ist natürlich nicht erwünscht. Die verlangen überhöhte Preise, die Stadt macht dann zwar Gewinne, aber das ist natürlich nicht Sinn und Zweck der Stadtwerke."
Inzwischen macht sich die internationale Finanzkrise auch bei den ausländischen Investoren bemerkbar. In Dresden beispielsweise wird derzeit das Leasing-Geschäft eines US-Investors mit der Stadtentwässerung vorzeitig rück abgewickelt. Nach Angaben des dortigen Kämmerers ohne Einbußen für die Stadt. Was an Kosten anfalle, werde aus den guten Erträgen des über zehn Jahre laufenden Geschäfts finanziert.
Also alles paletti und Freistaat Sorgenfrei? Der Finanzwissenschaftler Prof. Marcel Thum blickt skeptisch auf die Ergebnisse der teils umfangreichen Privatisierungen im Freistaat Sachsen:
"Die Finanzkrise war jetzt der Anlass oder der Auslöser, dass einige von diesen Cross-Border-Leasing-Verträgen in Schwierigkeiten gekommen sind und dass einige Finanzierungsmodelle in Schwierigkeiten gekommen sind, aber die Probleme der Privatisierung sind natürlich grundsätzlich vorhanden. Wenn Marktmacht ausgespielt wird und die Preise zu hoch werden und niemand diese privatisierten Firmen, die Marktmacht haben, kontrolliert, dann ist das ein lang anhaltendes Problem, völlig unabhängig von der Finanzkrise."
Privatisierung in Leipzig
Von Michael Frantzen
1998 war die Welt in Leipzig noch in Ordnung. Der damalige Stadtkämmerer erklärte, durch Leasinggeschäfte mit US-Unternehmen habe die Stadt "eine echte Goldgrube" erschlossen. Leipzig war damals Vorreiter in Deutschland - beim "Cross Border Leasing", kurz CBL genannt. Keine andere Großstadt hatte so viele CBL-Verträge abgeschlossen - und so viel privatisiert. Und heute? Redet die Messestadt immer noch von einer "echten Goldgrube"? Viele Bürger tun es jedenfalls nicht mehr.
Nagler: "Es gibt schon so 'ne Kehrtwende."
In Leipzig. Der "Heldenstadt".
Kotte: "Sie haben mit dieser Gegenwehr nicht gerechnet in Leipzig."
Sie, das sind die im Rathaus, einer kafkaesken Trutzburg mit endlosen Gängen und mattem Licht.
Tierpitz: "Da sprechen Sie ein sensibles Thema an."
Stichwort: Privatisierungen. Eigentlich sollten ja die Stadtwerke verkauft werden: 49,9 Prozent. An einen Privatinvestor. Doch da hatten die im Rathaus die Rechnung ohne ihre Leipziger gemacht. Vor gut zwei Jahren stoppten sie den Ausverkauf.
Franke: "Das war die rote Karte für alle hemmungslosen Privatisierer."
Wolfgang Franke kann sich immer noch freuen wie ein kleiner Junge; über die entgeisterten Gesichter von SPD-Oberbürgermeister Jung und wie sie alle heißen, als Ende Januar 2008 das Ergebnis des Bürgerbescheids verkündet wurde: 87 Prozent Zustimmung für Franke und seine Mitstreiter von "APRIL".
"APRIL heißt also 'Antiprivatisierungsinitiative Leipzig'. Und wir beobachten nach wie vor sozusagen die Situation. Was tut sich da kommunalpolitisch? Und auch über Leipzig hinaus. In Bezug auf öffentliches Eigentum."
"Ausgerechnet die Stadtwerke!", dachte sich Wolfgang Franke, als er zum ersten Mal von den Plänen von SPD und CDU im Stadtrat hörte, den kommunalen Energieversorger zu privatisieren, für 200 Millionen Euro. Schnelles Geld, aber zu welchem Preis? Der Diplomingenieur, ein ruhiger Zeitgenosse, hebt die Hände. Die Stadtwerke sind profitabel. Und spülen Jahr für Jahr Geld in den städtischen Säckel. Punkt Eins.
Punkt Zwei:
"Was uns auch wichtig war, was wir auch immer gesagt haben: Wir können's, wenn’s unser Eigentum ist, also wenn’s der Stadt gehört, dann können wir auch eine demokratische Mitgestaltung realisieren. Wenn das nicht der Fall ist, haben wir kein Einfluss mehr drauf."
Kotte: "Da sieht man wirklich: Das ist eben Leipzig. Leipzig ist schon immer selbstbewusste Bürgerstadt."
An Selbstbewusstsein mangelt es auch Henner Kotte nicht. Wenn man so will, ist der barocke Genussmensch das Gesicht von APRIL. Der Mittfünfziger hat sich einen Namen gemacht in Leipzig, als Drehbuchautor für den MDR-Tatort mit Kommissar Ehrlicher.
"Was mich sehr beeindruckt hat: Dass der Bürger zu dieser Wahl, die auch noch sehr ungünstig lag im Januar, wirklich gegangen ist. Und wir hatten 'ne höhere Wahlbeteiligung bei diesem Bürgerbegehren als bei der Oberbürgermeisterwahl. Und da merkt man natürlich, dass die Stadt nicht mehr gegen ihre Bürger die Politik betreiben kann. Und das war, glaube ich, ein großer Aha-Effekt für die im Rathaus."
Schulze: "Hallo! Wenn Auerhammer auftaucht, schicken Sie ihn mal bitte rein. Weil der mich sucht, dann eventuell."
Das eine oder andere Aha-Erlebnis hatte auch schon Christian Schulze. Der SPD-Mann sitzt seit 1990 im Stadtparlament. Schulze ist beliebt. Nicht nur in seinem Wahlkreis, in Alt- und Neulindenau, sondern auch im Rat der Stadt: Fraktionszwang, so etwas kennt der bärtige Mitbegründer der Leipziger SPD nicht. Wenn ein Vorschlag der CDU oder der Grünen gut ist, warum soll er nicht dafür stimmen? Für Schulze ist die Sache ganz einfach. Die Argumente müssen stimmen. Die Fakten. Ist ja auch nicht umsonst Vorsitzender des Finanzausschusses.
Schulze war von Anfang an für die Teilprivatisierung der Stadtwerke.
"Das hätte uns erheblich entschuldet. Wenn wir diese Beschlüsse hätten fassen können. Es wird sicherlich gehen um Tochter- oder Enkelunternehmen von städtischen Unternehmen, über die können wir auch heute womöglich befinden. Da in dieser oder jenen Stelle die eine oder andere Millionen zu heben. Aber der große Wurf, wie jetzt zum Beispiel in Dresden, die ganzen kommunalen Wohnungen zu privatisieren, dieses steht in Leipzig nicht zur Disposition in nächster Zeit."
So ändern sich die Zeiten: Ende der 90er war Leipzig noch ganz vorne beim Verkauf seines Tafelsilbers. "CBL" lautete die magische Formel. Die drei Buchstaben stehen für "Cross Border Leasing", dem Leasing über Staatsgrenzen hinweg. Überall in Deutschland verkauften Gemeinden damals ihr öffentliches Eigentum, meist an US-amerikanische Geldgeber, um es postwendend zurück zu mieten. Messehallen, Müllverbrennungsanlagen, Kliniken. In den USA galten die Deals als "förderungswürdige Auslandsinvestitionen", die steuerlich geltend gemacht werden konnten. Einen Teil des Gewinns gaben die Investoren an die Städte ab.
Irgendwann schwante den Gesetzgebern in Washington, dass es sich da wohl weniger um eine "Investition" handelte, als um ein Steuerschlupfloch. 2004 stopfte der US-Kongress das Loch.
Da wurden sie in Leipzig zum ersten Mal hellhörig. Die Messestadt hatte bis dahin in Sachen "CBL" Deutschlandweit den Vogel abgeschossen: sieben Verträge – für 2,2 Milliarden Euro. Es war ein Geschäftsmodell, von dem die "FAZ" im Dezember 1998 schrieb, Leipzig habe sich dadurch "eine echte Goldgrube erschlossen". Elf Jahre später schreibt "Die Zeit", CBL habe "deutsche Kommunalpolitiker kollektiv um den Verstand gebracht".
Schulze: "Ja! Das können 'se eigentlich nur ergebnisorientiert betrachten. Also solange 'ne Kommune dabei keinen Schaden erleidet, haben wir da 'ne ganze Menge Geld bei gutgemacht. Bei diesen Geschäften, die sicherlich moralisch zu hinterfragen sind."
77,9 Millionen Euro, um genau zu sein. Genau wie alle anderen stimmte Christian Schulze für die CBL-Geschäfte.
"Wenn Kommunen durch Bundespolitik – und zwar durchgehend durch alle Regierungen, die wir da hatten in den letzten 20 Jahren – nicht ausreichend finanziell ausgestattet werden, um ihre Aufgaben zu erledigen und die Bürger ordentlich versorgen zu können, greifen Kommunen manchmal zu Strohhalmen, wie zum Beispiel diesem Cross Border Leasing. Andererseits sind wir damals überzeugt worden von Kämmerei und Oberbürgermeister und Beratungsfirmen und ähnlichen, hier 'ne mehr oder weniger 100-prozentig sichere Geschichte zu machen."
Das hat sich als Trugschluss entpuppt. Die finanzielle Kernschmelze an der Wallstreet hatte niemand auf der Rechnung, auch nicht in Leipzig. Spätestens als der weltweit größte Versicherer, AIG, in Schieflage geriet, wurden denen im Rathaus zum ersten Mal etwas mulmig. Laut den CBL-Verträgen ist die Stadt verpflichtet, mögliche Ausfälle auszugleichen. Von hohen zweistelligen Millionen-Nachzahlungen ist die Rede.
Genaueres ist in der Stadtkämmerei nicht zu erfahren. Die alte Kämmerin, Bettina Kudla, war berühmt dafür, Presseleuten bei Anfragen zu den Risiken der CBL-Geschäfte einen Termin frühestens in vier Wochen anzubieten. Das hat sich erledigt: Die CDU-Frau hat den Absprung nach Berlin geschafft, in den Bundestag. Einen Nachfolger gibt es noch nicht. Dafür aber einen kommissarischen Leiter; der aber leider gerade im Urlaub ist, wenn sich die Journalie meldet. Und einen amtierenden Leiter, der sich nach langem hin und her zu einem Interview bereit erklärt.
Tierpitz: "Die Stadt Leipzig versucht, solche Geschäfte, die in der Vergangenheit eingegangen wurden, entsprechend zu überwachen. Und gegenzusteuern. Mehr kann ich ihnen aber dazu jetzt nichts sagen."
Nicht gerade gesprächig, Michael Tierpitz, der amtierende Leiter der Stadtkämmerei. Aber eigentlich auch nicht verwunderlich. Im Kleingedruckten aller CBL-Verträge findet sich ein Passus, wonach sich die Städte zu "absoluter Verschwiegenheit" über die Geschäftsdetails verpflichten.
Tierpitz: "Die CBL – die Verträge … es ist aber auch so, dass bisher noch keine größeren Regressansprüche aus diesen Geschäften gegenüber der Stadt Leipzig virulent oder schlagend geworden sind."
Das kann man auch anders sehen.
Ganz im Süden, wo der Braunkohleabbau Leipzig zu DDR-Zeiten bedrohlich auf die Pelle rückte, liegt er: Der Straßenbahnhof Dölitz. Hier draußen kann man sich den ziemlich "virulenten Fallout" der CBL-Geschäfte anschauen. Rund 50 alte Tatra-Straßenbahnloks stehen auf dem Gelände herum. Veraltete Technik, aber betriebsbereit. Das muss so sein, meint Mike Nagler von der Antiprivatisierungskampagne "APRIL". Der Vertrag schreibt das vor:
"Es ist offenbar so, dass in den Verträgen drin steht: Diese alten Tatra-Wagen, diese Triebwagen von den Verkehrsbetrieben, normalerweise benutzt man die hier nicht mehr in der Stadt. Aber dadurch, dass die Teile dieses Vertrages sind, also nicht mehr direkt der Stadt gehören, sondern verleast sind, dürfen die nicht verschrottet werden. Die müssen halt am Laufen gehalten werden. Aber die braucht keiner mehr. Man darf da keine großen Änderungen vornehmen, weil’s gegen diesen Vertrag verstoßen würde."
Nicht viel anders sieht es bei einem weiteren CBL-Geschäft aus: Den Leipziger Wasserwerken. Laut Informationen lokaler Medien darf die Stadt ihr Trinkwassernetz auch dann nicht verkleinern, wenn die Bevölkerung schrumpfen sollte. Weil: Die Investition würde ja an Wert verlieren. Die Zeche dürften irgendwann die Leipziger zahlen. Denn: Wie finanziert man es, überflüssige Kapazitäten aufrecht zu erhalten? Wolfgang Franke von APRIL schaut einen erwartungsvoll an. Indem man die Gebühren erhöht.
Der Anti-Privatisierungsaktivist kann immer noch nicht fassen, mit wie viel Elan die Leipziger Stadtväter und –Mütter auf den CBL-Zug gesprungen sind, damals, Ende der 90er, ohne auch nur einen blassen Schimmer zu haben, was eigentlich drin steht in den Verträgen.
"Es sind halt Riesenverträge in Englisch. Mit hunderten und tausenden Seiten, die am Ende auch im Stadtrat sicherlich niemand gelesen hat. Da hat auch 'nen Bisschen, sage ich mal, die Kommunalpolitik in meinen Augen versagt. Weil sie da einfach hinterher gerannt sind. 'Machen wir mit! Super! Kriegen wir 'nen Bisschen Geld in die Kasse!'"
"Wir haben natürlich nicht die Verträge selber gelesen. Und konkret ... das ist für 'nen ehrenamtlichen Stadtrat gar nicht leistbar …"
… hält Christian Schulze dagegen, der hauptberuflich für die Arbeiterwohlfahrt ein Seniorenzentrum leitet.
"Dafür gibt’s die Verwaltung, dafür gibt’s die entsprechenden Prüfaufträge. Die Firmen, die Beratungsfirmen und so weiter."
Arbeitsteilung nennt man das wohl. Peter Kaminski dürfte es nur recht gewesen sein. Der damalige Stadtkämmerer brüstete sich lange damit, in Deutschland der Wegbereiter für CBL-Geschäfte gewesen zu sein. Inzwischen backt der CDU-Mann kleinere Brötchen. 2004 verlor er sein Amt, in die Schlagzeilen geriet er nur noch, weil Sachsens Antikorruptionseinheit gegen ihn in mehreren Affären ermittelte. Seitdem redet er nicht mehr so gerne mit Medienvertretern:
"Nicht nur in Leipzig, ich glaub, auch in anderen Städten ... der eine oder andere Koffer hat da noch den Besitzer gewechselt. Oder das eine oder andere Geschenk. Oder die eine oder andere Dubai-Reise."
In Dubai war Peter Kaminski auf Einladung der Schweizer Firma "Global Capital Finance", kurz GCF. Die hatte ihre Finger bei den CBL-Geschäften mit im Spiel. In Leipzig. Es muss eine Reise mit allen Schikanen gewesen sein, für Kaminski und einige Kommunalmanager samt Lebensgefährtinnen: GCF ließ sich den Trip 135.000 Euro kosten.
Fast schon ein Thema für einen Tatort: Henner Kotte muss lachen. Manchmal, meint der Drehbuchautor, schreibe das Leben halt die besseren Geschichten. Von den Mauscheleien hat er erst Mitte der Jahrzehnts erfahren. Gab ja so und so kaum Opposition gegen die CBL-Geschäfte:
"Das liegt eindeutig daran, dass dieses Gewusel für 'nen Bürger nicht einzusehen war. Wie das Cross Border und was weiß ich: hin und zurück. Und die Verträge waren so und so nicht öffentlich."
Das war bei den Privatisierungsplänen für die Stadtwerke anders.
"Hier ging’s ja um 'ne ganz, ganz einfache Frage. Verkaufen wir die Stadtwerke oder verkaufen wir sie nicht? Und da sind weder Klauseln dabei gewesen. Eine Bürgerinitiative gegen diese verklausulierten Verträge, dagegen vorzugehen: Wie soll das denn klappen? Das kann ich auch 'nem Menschen auf der Straße nicht begreiflich machen."
Aber schon, dass es keinen Sinn macht, die Stadt- oder Wasserwerke zu verscherbeln, um kurzfristig Geld in die Kasse zu spülen. Findet Mike Nagler. So ganz sei die "Gefahr" aber immer noch nicht gebannt. Ende September stand im Stadtrat, der nächstes Jahr zehn Millionen sparen muss, eine Vorlage zur Abstimmung, von der der Attac-Mann sagt, es sei "alter Wein in neuen Schläuchen" gewesen. Wieder verhießen drei Buchstaben den schnellen Profit: Aus "CBL" war "PPP" geworden - die "Public Private Partnership". Dahinter verbirgt sich das Zusammenspiel von Kommune und Privatwirtschaft bei Infrastrukturmaßnahmen.
"Ist 'nen ähnliches Konstrukt wie Cross Border Leasing. Es ist halt auch 'ne Möglichkeit, wie man halt aus kommunalen Eigentum Finanzprodukte macht. Und letzten Endes die Kommune irgendwann zahlt zwar jedes Jahr ihren Betrag, aber keinen Einfluss mehr groß drauf hat. Sind mit 'nem hohen Risiko verbunden, ähnlich wie bei den Cross-Border-Deals. Man kann’s halt nicht abschätzen, was das an Folgekosten verursacht."
Franke: "Es gab konkrete Überlegungen. Und es ist kein Pappenstiel: Zum Beispiel ging’s um fünf Schulen, mit 'nem Investitionsvolumen hinsichtlich Bau und Betreibung der Schule über 25 Jahre von circa 200 Millionen Euro."
Daraus ist erst einmal nichts geworden: Die Mehrheit des Rates sprach sich gegen die "PPP-Geschäfte" aus – auch wegen der Geschichte mit CBL, meint Christian Schulze:
"Ich denke, solche Gelddruckmaschinen stehen heute nicht mehr zur Disposition. Da würde auch keiner mehr drauf springen, auf den Zug. Nach den Erfahrungen auch mit CBL rückblickend. Wie gefährlich das eben werden kann; wenn da nicht alles so kommt, wie man sich das vorstellt. Von daher sehe ich solche Wundermaschinchen heute nicht mehr."