Christian Kohlross, Promotion, Habilitation für Kulturwissenschaften an der Universität Mannheim, mehrere Gastprofessuren (unter anderem Walter Benjamin Chair, Hebräische Universität, Jerusalem), fünf Bücher, Psychotherapiefortbildung, unter anderem an der Washington School of Psychiatry und der Milton Erickson Foundation, Phoenix AZ. Derzeit tätig in eigener Praxis in Berlin. Sein Buch "Kollektiv neurotisch " erschien 2017 im Dietz Verlag.
Angst und Abwehr setzen den Verstand außer Kraft
Fremdenfeindlichkeit hat Einzug gehalten in die Mitte unserer Gesellschaft − unter dem Deckmantel der "berechtigten Sorge um das Allgemeinwohl". Der Psychologe Christian Kohlross geht der Frage nach, warum dieser Verballhornung mit Aufklärung kaum beizukommen ist.
Um es vorweg zu sagen, die einschlägigen wissenschaftlichen Erklärungsversuche geben hier keine befriedigende Antwort: Die Abreaktion einer kollektiven Aggression an einem eigens zu diesem Zwecke geschaffenen Sündenbock oder der Verweis auf Reste urzeitlicher, das Überleben sichernder Verhaltensprogramme in unseren Steinzeithirnen − solche Annahmen beschreiben xenophobisches Verhalten. Doch sie erklären es nicht! Sie lassen uns nicht verstehen, warum, da unter Globalisierungsbedingungen der Kontakt mit dem Fremden das Alltäglichste, schlechthin Vertrauteste ist, eine solch hoch unangepasste, steinzeitliche Gemütslage sich ihrer Zivilisierung so hartnäckig widersetzt.
Vernunft, Empathie, Bildung?
Und auch auf die drängende Frage, warum die herkömmlichen gut gemeinten, sagen wir: bundespräsidialen Mittel zur Bekämpfung der Xenophobie - also Vernunft, Empathie, Bildung − so wirkungslos sind, haben wir immer noch keine Antwort.
Dabei ist doch alles, wenn man die zugrundeliegende Psychodynamik betrachtet, ganz einfach: Der Xenophobe projiziert die eigenen abgewehrten und daher unbewussten Aggressionen auf ein äußeres Objekt. Erst daran wird ihm die eigene Aggression erfahrbar. Nur eben als die des anderen: als Gefahr, die vom anderen auszugehen scheint. Und es ist diese vermeintliche Gefahr, die im Xenophoben jene typische Verteidigungsaggression hervorruft. Wichtig dabei ist: Die Wut auf den Fremden ist nicht die ursprüngliche Wut. Diese wird ja abgewehrt!
Dass es Wut ist, die abgewehrt wird, zeigt sich an der Monstrosität, mit der der Fremde erlebt wird, an der Übertreibung seiner Bedrohlichkeit sowie der zuletzt mörderischen Tendenz aller fremdenfeindlichen Impulse.
Dabei ist doch alles, wenn man die zugrundeliegende Psychodynamik betrachtet, ganz einfach: Der Xenophobe projiziert die eigenen abgewehrten und daher unbewussten Aggressionen auf ein äußeres Objekt. Erst daran wird ihm die eigene Aggression erfahrbar. Nur eben als die des anderen: als Gefahr, die vom anderen auszugehen scheint. Und es ist diese vermeintliche Gefahr, die im Xenophoben jene typische Verteidigungsaggression hervorruft. Wichtig dabei ist: Die Wut auf den Fremden ist nicht die ursprüngliche Wut. Diese wird ja abgewehrt!
Dass es Wut ist, die abgewehrt wird, zeigt sich an der Monstrosität, mit der der Fremde erlebt wird, an der Übertreibung seiner Bedrohlichkeit sowie der zuletzt mörderischen Tendenz aller fremdenfeindlichen Impulse.
Ein nicht auszuhaltendes Gefühl
Dass es sich bei der Xenophobie um den Vorgang der Abwehr eines für unaushaltbar gehaltenen Gefühls handelt, zeigt sich an der Wirkungslosigkeit von Empathie, Aufklärung und guten Gründen. Denn die Abwehr, also die Angst vor einem Gefühl, setzt den Verstand außer Kraft.
Dass wiederum Xenophobie in allen Gesellschaften vorkommt bedeutet, dass sie nicht an eine bestimmte Gesellschaftsform gebunden, sondern Folge einer Zumutung ist, die eine jede Gesellschaft dem Menschen aufbürdet. Doch welche Zumutung ist das?
Dass wiederum Xenophobie in allen Gesellschaften vorkommt bedeutet, dass sie nicht an eine bestimmte Gesellschaftsform gebunden, sondern Folge einer Zumutung ist, die eine jede Gesellschaft dem Menschen aufbürdet. Doch welche Zumutung ist das?
Die Wunschenttäuschungsmaschine
Gesellschaften, nicht nur kapitalistische, erzeugen zum Zwecke des eigenen Überlebens die Illusion, sie seien gewaltige Wunscherfüllungsmaschinen. Doch tatsächlich sind sie gewaltige Wunschenttäuschungsmaschinen. Denn sie müssen die Wünsche des Einzelnen notorisch enttäuschen, um den Wünschen anderer oder gar der meisten anderen Genüge zu tun.
Gesellschaften, heißt das, sind Einrichtungen zur Vereinigung unvereinbarer Wünsche − und produzieren eben deshalb in einem fort Frustration und als deren Folge: Aggression.
Wenn aber Gesellschaften die unvermeidliche Enttäuschung, die unvermeidliche Wut, die sie erzeugen, nicht immerfort abwehren wollen − was können, was sollten sie tun?
Müssen wir also Gesellschaften, gar Konsumgesellschaften ganz neu denken? Oder doch dem Kapitalismus etwas ganz anderes entgegensetzen?
Gesellschaften, heißt das, sind Einrichtungen zur Vereinigung unvereinbarer Wünsche − und produzieren eben deshalb in einem fort Frustration und als deren Folge: Aggression.
Wenn aber Gesellschaften die unvermeidliche Enttäuschung, die unvermeidliche Wut, die sie erzeugen, nicht immerfort abwehren wollen − was können, was sollten sie tun?
Müssen wir also Gesellschaften, gar Konsumgesellschaften ganz neu denken? Oder doch dem Kapitalismus etwas ganz anderes entgegensetzen?
Gegen das Lustprinzip
Nichts dergleichen, meine ich, müssen wir. Aber ich glaube, wir kommen auf Dauer nicht umhin, uns vom Lustprinzip als dem leitenden Prinzip politischen Handelns und Urteilens zu verabschieden und unsere Toleranz gegenüber der gesellschaftlich notwendigen Frustration erheblich zu erweitern. Denn erst, wenn wir erwachsen genug sind, unserer Kultur der Gewinnmaximierung eine Kultur des Entbehrens, des Verlusts, des Gebens und Aufgebens entgegenzusetzen, werden diejenigen unserer Wünsche und Begehrlichkeiten, die dem Realitätsprinzip Genüge tun, auch wirklich Aussicht darauf haben, erfüllt zu werden.
Die Überwindung der Abwehr befreit nicht nur von der Xenophobie, sie macht das Leben auch reicher − vielleicht sogar tiefer − Gesellschaften aber in jedem Fall menschlicher.
Die Überwindung der Abwehr befreit nicht nur von der Xenophobie, sie macht das Leben auch reicher − vielleicht sogar tiefer − Gesellschaften aber in jedem Fall menschlicher.