Sheila Mysorekar ist Vorsitzende des Vereins "Neue deutsche Medienmacher*innen", einer Organisation von Journalistinnen, Journalisten, Medienmacherinnen und Medienmachern mit und ohne Migrationsgeschichte. Sie ist indodeutsche Rheinländerin und lebt in Köln. Ihr Studium absolvierte sie in Köln und London und arbeitete als Journalistin (Politik/Wirtschaft), unter anderem in Jamaika, Indien, den USA und vielen Ländern Lateinamerikas, darunter elf Jahre als freie Korrespondentin für die ARD in Argentinien.
Das Märchen von guten Unternehmerfamilien und bösen Clans
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Herkunft spielt in den Medien und bei der Polizei eine große Rolle. Dabei ist es manchmal schwer zu unterscheiden, wer einem kriminellen Clan angehört – und wer einer ehrbaren Unternehmerfamilie, meint die Journalistin Sheila Mysorekar.
Familie lässt niemanden kalt. Man liebt sie, man hasst sie – egal, man hat sie. Wir sind Produkte unserer Familie und unserer Vorfahren, mit allem, was damit einhergeht.
Nicht für alle jedoch ist die Familie etwas Privates. Ich meine nicht das englische Königshaus, sondern die Bedeutung, die verschiedenen Familien in der Öffentlichkeit zugeschrieben wird. Denn Abstammung ist in Deutschland was ganz, ganz Wichtiges.
Nicht für alle jedoch ist die Familie etwas Privates. Ich meine nicht das englische Königshaus, sondern die Bedeutung, die verschiedenen Familien in der Öffentlichkeit zugeschrieben wird. Denn Abstammung ist in Deutschland was ganz, ganz Wichtiges.
Unternehmerfamilie klingt nach Disziplin und Arbeit
Zum Beispiel: Hat deine Familie viel Geld und eine Firma, dann wirst du in eine sogenannte "Unternehmerfamilie" hineingeboren. In der Übersetzung: Ein Chefsessel wartet auf dich, sofern du ein Sohn bist und dich nicht allzu dämlich anstellst.
Gerade Politiker sagen das Wort "Unternehmerfamilie" mit einer Mischung aus Ehrfurcht und Unterwürfigkeit. "Unternehmerfamilie", da schwingt preußische Disziplin und harte Arbeit mit. Nicht zu vergessen: der treue Sohnemann, der den Chefposten von seinem Vater erbt und dabei depressiv wird. Aber das ist halt ein Kollateralschaden bei der Vermögensbildung.
Clan klingt nach Bedrohung
"Unternehmerfamilie" sagt man aber nur, wenn die betreffende Familie weiß und deutsch ist. Wenn eine libanesische Familie Geschäfte macht und Geld hat, dann nennt man sie "Clan".
Bei diesem Wort schwingt eine ominöse Bedrohung mit; nix Anstand und Sparsamkeit, sondern illegale Geschäfte. Man muss gar nicht mehr hinzufügen, dass die Familie arabischstämmig ist: Bei dem Wort "Clan" denken wir an dunkelhaarige Männer mit Goldkettchen und schnellen Autos, die obendrein in der zweiten Reihe parken.
Dies ist das Ergebnis medialen Framings und fragwürdiger Polizeistatistiken. Wie der Journalist Mohamed Amjahid kürzlich für die "Zeit" recherchierte, sind die rechtlichen Grundlagen für die Erfassung sogenannter krimineller Großfamilien äußerst dünn. In Niedersachsen etwa werden Menschen mit demselben türkischen oder arabischen Nachnamen zu einem "Clan" zusammengefasst, selbst wenn sie nicht verwandt sind. Auch ein Schulschwänzer, der den gleichen Nachnamen trägt, taucht so in der Statistik über Clankriminalität auf.
Verzerrte Berichterstattung über Kriminalität
Viele Medien tragen zu dieser Wahrnehmung bei. Eine Studie des Mediendienst Integration ergab, dass die Berichterstattung das Thema Ausländerkriminalität extrem verzerrt: Ausländische Tatverdächtige wurden in Fernsehberichten 19 Mal so häufig erwähnt, wie es ihrem statistischen Anteil entspricht, in Zeitungsberichten sogar 32 Mal so häufig.
Hier nimmt ein fataler Kreislauf seinen Gang: Die verzerrte Berichterstattung führt zu dem Eindruck, dass weiße Deutsche weniger kriminell seien – und deswegen wird sogar bei Bagatelldelikten nach dem Stammbaumnachweis gerufen. Besonders laut von rechten Gruppen.
Weiße deutsche Clans
So sieht das auch die Stuttgarter Polizei, ganz weit vorne bei der Ethnisierung von Kriminalität. Sie will von jugendlichen Straftätern – von deutschen Jugendlichen! – den Migrationshintergrund der Eltern ermitteln. Erkenntniswert für die Strafverfolgung: gleich null. Stigmatisierung von Menschen aus Einwandererfamilien: 100 Prozent.
Warum reden wir nicht über die Abstammung weißer deutscher Clans – sorry, Unternehmerfamilien –, etwa bei denen, die Teile ihres Vermögens nachweislich illegal erworben haben? Zum Beispiel, weil sie während der Nazi-Zeit Zwangsarbeiter beschäftigt haben, wie zum Beispiel Familie Quandt aus der Dynastie derer von BMW. Oder bei der massive Steuerhinterziehung eines Klaus Zumwinkel, dessen Vater wiederum ein Geschäft von enteigneten Juden übernahm: Da könnte man doch auch Clan sagen. Und anständige syrische Ehepaare mit einer Bäckerei in Berlin, die nennen wir in Zukunft: Unternehmerfamilie.