"Auf den Philippinen bekommen wir kaum mehr als den Mindestlohn"
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Die philippinische Krankenschwester Daisy Agravante ist eine von 154.000 Pflegekräften mit ausländischer Staatsbürgerschaft in Deutschland. Sie fühlt sich wohl. Der Berufsverband sieht die Anwerbeoffensive des Bundesgesundheitsministeriums allerdings kritisch.
"Mein Name ist Daisy Agravante, ich bin 28 Jahre alt, ich arbeite als OP-Krankenschwester am Uniklinikum Bonn - in Cardio-OP. Ich habe eine Tochter, und ich bin auch verheiratet. Meine Tochter ist jetzt auf den Philippinen. Und hoffentlich nächstes Jahr oder übernächstes Jahr kann ich meinen Mann und meine Tochter hierher mitbringen."
Es ist der 22. November 2018: Daisy ist aufgeregt.
Sie ist eine eher kleine Frau mit langen, dunklen Haaren, einem wachen Blick und einem offenen, zugewandten Wesen. Keine vier Wochen ist es her, dass sie in der philippinischen Hauptstadt Manila in ein Flugzeug gestiegen ist, um in Deutschland einen neuen Job zu beginnen und ein neues Leben aufzubauen.
Die Herausforderung heute am Uniklinikum Bonn: Eine Operation am offenen Herzen in einem Hightech-Operationssaal und 1000 neue Vokabeln.
Daisy: "Können wir das Codan benutzen, oder?"
Pfleger: "Nee, wir benutzen das neue Octinidam. Nur das. Das andere können wir direkt zur Seite stellen."
Daisy Agravante ist mit ihrem Bachelor of Science in Nursing von den drei Pflegern, die heute mit im OP sind, die einzige mit einem Universitätsabschluss. Dennoch darf sie bis zu ihrer Anerkennung in Deutschland nur als Hilfsschwester arbeiten. So lang verdient die junge Krankenschwester von den Philippinen rund 400 Euro weniger als ihre Kollegen.
Das Universitätsklinikum Bonn sucht wie fast alle Krankenhäuser in Deutschland händeringend Pflegepersonal und setzt auch auf Unterstützung aus dem Ausland. Über ein Anwerbeprogramm der Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit GIZ kamen im Jahr 2018 129 ausgebildete Pflegerinnen und Pfleger aus anderen Ländern nach Bonn: 19 aus Bosnien-Herzegowina, 15 aus Serbien und 91 Männer und Frauen von den Philippinen.
In ganz Deutschland arbeiten 154.000 Pflegekräfte mit ausländischer Staatsbürgerschaft - laut Bundesagentur für Arbeit ein Anteil von neun Prozent.
Bundesgesundheitsminister Spahn freut sich über jeden einzelnen, der zum Arbeiten hierher kommt: "Wir haben im Moment 50.-80.000 Stellen… Das sind finanzierte Stellen: Das heißt, das Geld dafür ist da, die könnten heute, morgen eingestellt werden. Und unser Arbeitsmarkt ist einfach leer gefegt."
Sein Ministerium bemüht sich zudem ganz offensiv um weitere Pflegekräfte aus dem Ausland. Im Juli unterzeichnete Spahn eine Absichtserklärung mit dem Kosovo. Es geht um eine Zusammenarbeit in der Ausbildung zwischen beiden Ländern und die schnellere Anerkennung von Berufsabschlüssen ausländischer Pflegefachkräfte. Auch mit Mexiko und den Philippinen sind solche Abkommen geplant.
Profitieren sollen davon alle Seiten: Die ausländischen Pflegekräfte könnten durch schnellere Visaverfahren und Sprachkurse rasch integriert – die freien Stellen in den deutschen Pflegeinrichtungen besetzt werden. Außerdem, so der Bundesgesundheitsminister, würden die Arbeitsmärke in den Kooperationsländern entlastet.
Die Rechnung des Gesundheitsministers klingt einfach. Aber nicht alle glauben, dass sie auch aufgeht.
Berufsverband fordert bessere Arbeitsbedingungen
Der Deutsche Berufsverband für Pflegeberufe hat seine Hauptgeschäftsstelle in Berlin Moabit keine fünf Kilometer vom Bundesgesundheitsministerium entfernt. Dort hat man eine andere Sicht auf die Dinge.
Franz Wagner ist Geschäftsführer des Berufsverbands und auch Präsident des Pflegerats. Dass die Bundesregierung endlich versucht, etwas gegen den Fachkräftemangel in Pflegeberufen zu tun, sei richtig. Sie aber aus dem Ausland zu holen, das hält Franz Wagner nicht für die beste Lösung. Er denkt, dass vor allem die Arbeitsbedingungen für das Pflegepersonal signifikant verbessert werden müssten. So könnte man viele deutsche Schwestern und Pfleger, die zum Teil aus Erschöpfung in Teilzeit arbeiten oder sich aus Frust beruflich neu orientiert haben, zurück gewinnen.
Außerdem: In den Heimatländern könnten plötzlich nicht genug Pflegekräfte da sein, um die eigene Bevölkerung zu versorgen.
"Die WHO hat einen ethischen Code erlassen, der die ärmsten Länder davor schützen soll, ausgebeutet zu werden, weil reiche Länder, die Menschen dort weglocken, weil sie wurden ja mit Geld von dort ausgebildet, aber dann gehen sie ins Ausland und fehlen in dem dortigen System. Oft gibt es tatsächlich arbeitslose Pflegekräfte in den Ländern. Aber die sind arbeitslos, nicht, weil sie nicht gebraucht werden, sondern weil das Land es sich nicht leisten kann, sie zu beschäftigen."
Dass diese Aussage auf den Kosovo und auch Mexiko zutrifft, sagt auch der Bundesgesundheitsminister. Die Philippinen verfolgen dagegen schon seit langem einen anderen Weg. Dort werden Pflegekräfte ganz gezielt über Bedarf ausgebildet. Auch in anderen Berufsgruppen ist das so.
Im Jahr 2018 überwiesen die im Ausland arbeitenden Philippinos 31 Milliarden US-Dollar nach Hause – fast ein Zehntel des Bruttoinlandsproduktes des Landes. Auch Daisy Agravante schickt jeden Monat mehr Geld nach Hause, als sie auf den Philippinen verdienen würde.
"Auf den Philippinen gibt es wirklich sehr viele Krankenschwestern und Pfleger. Besonders in meinem Jahrgang. Aber wir sind enttäuscht. Wir haben vier Jahre studiert und hohe Studiengebühren bezahlt. Es ist nicht fair, dass wir hier auf den Philippinen kaum mehr als den Mindestlohn bekommen. Davon kann man keine Familie ernähren! Viele von uns arbeiten zwei bis drei Jahre in der Heimat, um etwas Praxiserfahrung zu sammeln, und dann tun wir alles, um ins Ausland zu gehen."
Zweimal in der Woche besucht Daisy Agravante einen Sprachkurs an der Volkshochschule in Bonn. Speziell für medizinisches Deutsch. Der Kurs ist verpflichtend für die Anerkennung als Krankenschwester in Deutschland. Die Zeit wird ihr als Arbeitszeit angerechnet.
Sprachprobleme zwischen Pflegekräften
Die Sprache ist das größte Problem bei der Integration der ausländischen Pflegekräfte. Das sagt auch Guy Harald Hofmann. Der 59-Jährige lebt in der Nähe von Osnabrück, ist Pfleger aus Überzeugung und glaubt wie viele Kritiker nicht daran, dass die ausländischen Pflegekräfte das deutsche Gesundheitssystem vor dem Kollaps bewahren können.
"Im Krankenhausbereich in Pforzheim habe ich das aktuell gerade selbst erlebt, wo sieben Pflegekräfte aus Ex-Jugoslawien, eine aus Makedonien und sechs aus Bosnien anwesend waren, die wirklich nicht gut Deutsch konnten. Wenn dieser Kollege in der Urologie arbeitet und ich mich nicht mit ihm auseinandersetzen kann, welche speziellen Anforderungen ich jetzt habe, dann kann er das nicht nur mündlich nicht, sondern auch schriftlich nicht. Und entsprechend knapp ist die Dokumentation. Und ich versteife mich nicht auf Orthografie, sondern auf Inhalte, die transportiert werden müssen, weil die Info über das Wohl und Wehe der Patienten ein wichtiger Bestandteil in der Pflege ist."
Ein Jahr ist vergangen, seit Daisy in Deutschland angekommen ist. Sie fühlt sich wohl in Bonn, hat Freunde gefunden und spricht inzwischen gut deutsch. Und: Ende September kam die Anerkennungsurkunde als Krankenschwester. Das heißt, der unbefristete Arbeitsvertrag ist in greifbarer Nähe.
Was fehlt ist die Familie.
Über die Sozialen Netzwerke sehen und sprechen sich Daisy, ihr Mann und ihre Tochter jeden Tag. Immer morgens, wenn Daisy gegen sechs Uhr früh auf dem Weg ins Krankenhaus ist, ruft sie an. Denn dann ist auf den Philippinen Mittagspause. Doch: Es gibt gute Aussichten, dass das bald vorbei ist. Bald will Daisy die ersten Anträge zum Familiennachzug einreichen. Wenn alles klappt, könnten ihre Tochter und ihr Mann dann vielleicht schon Ende des kommenden Jahres nach Deutschland kommen.