"Es wird auch weiterhin gefährlich bleiben"
Der Chef des Bundeswehrverbands schätzt die Sicherheitslage in Afghanistan weiterhin als äußerst labil ein. Vor diesem Hintergrund sei es besonders wichtig, möglichst schnell Klarheit über den weiteren Einsatz zu schaffen, so Oberstleutnant André Wüstner.
Ute Welty: Der Verteidigungsminister ist wohlbehalten zurück aus Afghanistan, schon fast Tradition ist es, an Weihnachten oder kurz davor zum Truppenbesuch aufzubrechen. Thomas de Maizière sagt aber gerne Sätze, die durchaus gemischte Gefühle hinterlassen können.
Thomas de Maizière: "Alles, was den deutschen Soldaten zugemutet wird, muss ich mir selber auch zumuten. Die Sicherheitslage bleibt labil, aber es ist kein Grund, jetzt deswegen von unserem Kurs abzuweichen."
Welty: Wie diese Sätze beim Bundeswehrverband ankommen, das weiß vielleicht am besten dessen Vorsitzender, guten Morgen, Herr Oberstleutnant André Wüstner!
André Wüstner: Einen wunderschönen guten Morgen!
Welty: "Was deutschen Soldaten zuzumuten ist, ist auch mir zuzumuten" – was löst der Ministersatz bei Ihnen aus und was wohl bei der Truppe, denn Sie vertreten ja immerhin 200.000 Mitglieder, ob jetzt Soldaten oder zivile Mitarbeiter, der Bundeswehr?
Wüstner: Ja, der Minister bezieht sich natürlich auf die letzte Reise – ich war zugegen – und auf den Anschlag und auch auf die Gefahren, die nach wie vor in Afghanistan vorhanden sind. Er weist zurecht darauf hin, wie wir auch, dass die Sicherheitslage nach wie vor äußerst labil ist. Und wenn er die Truppe besucht, dann kann er sich nicht irgendwo nur in einem Bunker mit ihnen unterhalten, dann muss er auch rausfahren, das haben wir getan, und das meint er mit den Zumutungen, und das ist auch gut so, das kommt gut an, insbesondere, was seine Absicht betraf, vor Weihnachten noch mal vorbeizuschauen, mit den Kameradinnen und Kameraden zu sprechen.
Welty: Trotzdem macht es ja einen großen Unterschied, ob ich ein paar Stunden im Land bin oder ein paar Monate.
Wüstner: Definitiv. Das weiß er auch, wenn er derartige Äußerungen trifft, und die Soldatinnen und Soldaten wissen es gleichwohl. Auch wenn jetzt in der Vergangenheit weniger passiert ist, hat dieser Anschlag in Kabul diese Woche, hat doch wieder einige aufgeweckt, insbesondere in Deutschland, und manch einer hat mir schon geschrieben: Hoppla, da ist ja immer noch nicht Friede, Freude, Eierkuchen. Ja, das ist so, und es wird auch weiterhin gefährlich bleiben, deswegen wird das nächste Jahr mit Blick auf die weitere Reduzierung ein besonders spannendes Jahr.
Welty: Der Minister war in Afghanistan und im Kosovo, wohin auch Sie selbst Ihren Antrittsbesuch unternommen haben als der neue Vorsitzende. Wie zufrieden oder unzufrieden sind die Soldaten im Auslandseinsatz?
"Wie geht es mit der Bundeswehr weiter?"
Wüstner: Also die Gespräche waren durchweg gut und positiv, sehr vertrauensvoll. Im Einsatzland selbst geht es meistens darum: Wie geht es weiter? Also aktuell warten alle Soldatinnen und Soldaten, egal, ob im Einsatz oder zu Hause, auf die Phase einer Regierungsbildung, auf, sage ich jetzt mal, das Wirksam-Werden vielleicht dieses aktuellen, vorgelegten Koalitionsvertrages, wo es darum geht: Wie geht es mit der Bundeswehr weiter? Das ist der große Teil.
Aber sie fragen auch gerade in Afghanistan: Wie geht es jetzt in Afghanistan weiter? Wie sollen wir planen? Was läuft im nächsten Jahr? Bleiben wir hier oder nicht? Das sind Fragen, mit denen auch der Minister konfrontiert wurde.
Welty: Sie haben es gerade schon angesprochen: Die Rechnung für Afghanistan weist ja noch mehrere Unbekannte auf, was die Dauer angeht, aber auch die Ausrichtung. Was wünschen sich die Soldaten?
Wüstner: Sie wünschen sich schnellstmöglichst Klarheit. Sie sind da recht klar in der Positionierung, sie erwarten von Politik, dass sie dafür sorgen, dass eine afghanische Regierung schnellstmöglichst ein Abkommen unterschreibt, aktuell ist das ja noch in einer Warteschleife. Das war bestimmt ein großer Teil aller Gespräche, denn, wie gesagt, damit ist auch Planungssicherheit verbunden, aber es ist eben keine militärische, sondern eine politische Frage. Das war ein großer Teil der Gespräche und Minister de Maizière hat mitbekommen, wie sehr es die Menschen bewegt.
Welty: Und wie hat er darauf reagiert, Ihrer Meinung nach?
Wüstner: Er hat gut reagiert. Er hat erklärt, dass es nicht an ihm selbst liegt, dass es sehr viele politische Gespräche im Hintergrund gibt, er hat den ganzen Prozess erklärt und er hat auch noch die ganzen Unbekannten beschrieben – nicht nur die Unterschrift Karzais, was das bilaterale Abkommen betrifft, gleichermaßen eine Unterschrift über ein NATO-Truppenstatut, das Thema, dass sich die Amerikaner noch nicht entschieden haben, in welcher Größenordnung sie bleiben –und alle Abhängigkeiten aufgezeigt, und hat versichert, dass er parallel planen lässt, sodass für die Soldatinnen und Soldaten so wenig Unsicherheit wie möglich bestehen bleibt und er relativ schnell den Ansatz der deutschen Kräfte im Norden organisieren und planen lässt, wenn denn diese Unterschriften da sind.
Welty: Sie haben es angesprochen, die Soldaten fordern Planungssicherheit oder wünschen sich Planungssicherheit, das ist ja mehr so pragmatisch, praktisch. Wie sieht es aus, wenn über Inhalte diskutiert wird, über die Ausrichtung deutscher Außen- und Sicherheitspolitik?
Wüstner: Ja, da gibt es unterschiedliche Ansätze. Also Minister de Maizière war ja in Begleitung nicht nur meiner Person, sondern er hatte ja aus jeder Fraktion einen oder eine Abgeordnete dabei, und in Gesprächsrunden wurden die Abgeordneten auch gefragt zu ihrer Positionierung, auch zum Thema, warum äußert man sich so wenig zur Sicherheits- und Verteidigungspolitik, warum bekennt man nicht klarer Farbe, was heißt Verantwortung in der Welt oder mehr Verantwortung in der Welt – da waren die Antworten noch etwas mau.
Welty: Was heißt etwas mau?
Wüstner: Ja, da die Regierungsbildung noch nicht erfolgt ist, ist man natürlich zurückhaltend mit Blick auf was man die nächsten vier, acht Jahre so machen möchte. Im soldatischen Bereich hat man erkannt, dass man mehr Verantwortung übernehmen muss. Inwieweit das politisch 100-prozentig klar ist fraktionsübergreifend, das wird teilweise noch bezweifelt.
Welty: Das Landgericht Bonn hat eine Klage der Opfer von Kundus abgewiesen. Bei einem Bombenangriff nach deutscher Anforderung auf zwei Tanklaster, die von den Taliban entführt worden waren, waren 2009 mehr als 100 Zivilisten getötet worden. Ist das ein Vorfall, der immer noch belastet?
Wüstner: Ja, wenn es medial nach oben kommt ja, aber ich habe mich jetzt bewusst auch diese Woche mit Afghanen, mit Militärs, mit Sprachmittlern, auch mit unseren Soldaten über das Thema unterhalten: Eigentlich ist es kein Thema mehr – also örtlich bestimmt, am Anschlagsort in der Region, aber insgesamt ist es kein Thema mehr, denn strafrechtlich und disziplinarrechtlich war das Thema durch. Jetzt ging es mehr um die zivilrechtliche Seite.
Für uns alle war klar, dass dieses Verfahren eingestellt würde. Wir haben da eine Vielzahl von rechtlichen Bewertungen uns schon zukommen lassen. Jetzt ist so der Punkt, wo alle sagen, also es ist gut, dass es durch ist, und sie hoffen auch, dass es durch ist, denn, ich sage mal: Die Debatte bisher, Untersuchungsausschuss, die vorgenannten Verfahren, die waren schon belastend, ja.
Militär ist da, "um organisiert Gewalt auszuüben"
Welty: Eines ist durch Kundus ja auch klar geworden: Die Bundeswehr ist nicht nur in Afghanistan, um Brunnen zu bauen und Schulen zu bewachen. Trägt diese Diskussion inzwischen Früchte oder ist sie schon wieder im Sande verlaufen?
Wüstner: Nein, also ich glaube, da kann man schon, was diese Phase Kundus betrifft, von einem Pradigmenwechsel sprechen, auch im Politischen. Mehr und mehr haben erkannt, dass Militär eigentlich da ist, um organisiert Gewalt auszuüben, also dass es nicht im Schwerpunkt darum geht, Brunnen aufzubauen. Da war man in der Kommunikation, ja, sehr fehlgeleitet.
Nichts desto trotz ist es natürlich so, dass Militär jeweils in derartigen Situationen einen Beitrag leistet, Sicherheit sozusagen sicherzustellen. Aber der Rest – das betrifft das Kosovo, das betrifft Afrika, das betrifft Afghanistan – ist immer mehr oder weniger, nein, im Schwerpunkt eine politische Frage, und da geht es um Entwicklungshilfe, da geht es um Good Governance und viele Dinge mehr, aber weniger eben um das Soldatische.
Welty: Die deutsche Afghanistanpolitik im Spiegel des Bundeswehrverbandes, dazu der Vorsitzende André Wüstner. Haben Sie Dank!
Wüstner: Herzlichen Dank auch, einen schönen Tag!
Welty: Gleichfalls!
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