Terror, Militärputsch, Berichte über Söldner – Muss die Bundeswehr aus Mali abziehen?
Obwohl das internationale Engagement in Mali groß ist, kommt der westafrikanische Staat nicht zur Ruhe. Jetzt sorgen Meldungen über die mögliche Verpflichtung einer russischen Söldnergruppe für eine neue Debatte darüber, ob der Bundeswehreinsatz in Mali beendet werden muss. Ein Überblick.
Zeugnis eines Scheiterns
28:52 Minuten
Der Bundeswehreinsatz in Mali ist nach dem Abzug aus Afghanistan inzwischen der bedeutendste Einsatz deutscher Sicherheitskräfte im Ausland. Über 1000 Soldatinnen und Soldaten versuchen, im Land für Stabilität zu sorgen – mit mäßigem Erfolg.
Tausende Malier protestieren zuletzt wieder in der Hauptstadt Bamako. Ihre Demonstrationen richten sich an die Malier, die sich Terrormilizen angeschlossen haben – sie sollen die Waffen endlich niederlegen.
"Menschen von Mali. Es ist an der Zeit, dass wir uns die Hand reichen. Nach zehn Jahren der Misshandlungen wenden wir uns an diejenigen, die die Waffen gegen ihr eigenes Land erhoben haben. Nichts kann das rechtfertigen. Aber sie sind auch Malier. Vergebung muss eine Option bleiben. Wir sind geduldig."
Die nicht enden wollende Gewalt hat viele mürbegemacht. Auch militärisch erwägt Malis Regierung, neue Wege zu gehen. Russische Fahnen sind auf den Demonstrationen zu sehen.
Die Militärpräsenz der Ex-Kolonialmacht Frankreich ist über die Jahre immer unbeliebter geworden – angesichts einer sich zuspitzenden Sicherheitslage im Land. Jetzt soll die malische Militär-Junta mit der sogenannten Gruppe Wagner aus Russland in Gesprächen sein. 1000 russische Söldner sollen demnach mit einem 9-Millionen-Euro Vertrag nach Mali geholt werden. Und wieder wird in Europa heiß diskutiert – über die internationalen Militäreinsätze im westafrikanischen Staat.
Einsatz auf dem Prüfstand
Bundesverteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer (CDU) twitterte:
"Sollte sich die Zusammenarbeit von #Mali mit russischen Söldnergruppen bestätigen, stellt das die Grundlagen des Mandats der #Bundeswehr für #MINUSMA und #EUTM in Frage und gemeinsam mit dem Bundestag müssten wir Konsequenzen ziehen. Wenn Malis Regierung mit Russland solche Vereinbarungen trifft, widerspricht das allem, was Deutschland, Frankreich, die #EU und die #UN in Mali seit 8 Jahren leisten."
Zuvor hatte bereits die Ex-Kolonialmacht Frankreich, die militärisch stark in Mali vertreten ist, mit Abzug gedroht und vor den russischen Söldnern gewarnt.
Frankreichs Außenminister Jean-Yves Le Drian sagte: "Sie haben sich in der Vergangenheit vor allem in Syrien und auch in der Zentralafrikanischen Republik, vielfach durch Erpressungen, Raubzüge und Verstöße aller Art ausgezeichnet und können keine Lösung sein. In der Zentralafrikanischen Republik hat es zu einer Verschlechterung der Sicherheitslage geführt."
Die Gruppe Wagner, um die sich die Diskussion dreht, ist ein privates russisches Sicherheits- und Militärunternehmen. Sie gilt als Schattenarmee, bei der Russland nicht offiziell als Akteur auftreten möchte. Der Geschäftsmann, dem die Gruppe Wagner gehört, soll allerdings in engem Kontakt zu Wladimir Putin und zum russischen Militär stehen.
Während Russland Verhandlungen über ein militärisches Engagement dementiert, haben Malis Behörden Gespräche mit der russischen Söldnergruppe bestätigt. Es seien allerdings noch keine Verträge unterschrieben worden.
Ausschließen würde das der Interims-Premierminister von Mali, Choguel Maiga, aber nicht, wie er das unlängst mit Anspielung auf den Abzug in Afghanistan betonte:
"Wir sind an dieser Stelle gezwungen, uns zu fragen – da unsere Partner bereits beschlossen haben, bestimmte Gebiete zu verlassen: Wenn sie sich entscheiden, uns morgen zu verlassen, was machen wir? Wir sind gezwungen, uns zu fragen, ob wir nicht einen Plan B haben sollten? Wir haben andere Länder gesehen, wo die Partner abgezogen sind, und deren Bevölkerung sich allein wiedergefunden hat."
Ein Einsatz, den wenige noch wollen
Schon lange wird über das internationale Militär-Engagement in Mali diskutiert. Mali gilt als Schlüsselstaat im Kampf gegen Terror in Westafrika und gegen irreguläre Migration – ein riesiges Gebiet, fast vor den Toren Europas.
Die jahrelange internationale Militärintervention habe nicht die gewünschten Ergebnisse gebracht, sagen Sicherheitsanalysten – wie Boubacar Salif Traoré, Direktor von Afriglob und Spezialist für Sicherheits- und Entwicklungsfragen in der Sahelzone. Weder in Frankreich noch in Mali sei der Einsatz von der breiten Bevölkerung noch gewollt.
"Frankreich versucht, irgendwie aus diesem Sumpf herauszukommen", erklärt er. "Seit fast einem Jahrzehnt beobachten wir, dass es keine Erfolge in Bezug auf diese Militäroperationen gibt. Die Übergangsregierung wird derzeit von der Bevölkerung unter Druck gesetzt, deutlichere Ergebnisse zu liefern. Denn die Unsicherheit hat nicht aufgehört."
Über 10.000 internationale Sicherheitskräfte operieren bereits seit fast zehn Jahren im Land – auch die Bundeswehr. Über 1000 deutsche Soldaten und Soldatinnen sind in Mali stationiert. Erst im Mai hatte der Bundestag das Mandat für den Einsatz ein weiteres Jahr verlängert.
Während die französische Anti-Terror-Einheit Barkhane versucht, Extremisten zu bekämpfen, beteiligt sich die Bundeswehr an der UN-Stabilisierungsmission Minusma und bildet im Rahmen einer europäischen Trainingsmission malische Truppen aus.
Die Minusma gilt bis heute als die gefährlichste Blauhelm-Mission weltweit. Erst Ende Juni waren zwölf deutsche Sicherheitskräfte und ein anderer UN-Soldat bei einem Selbstmordanschlag verletzt worden.
Ausbildungsmission ohne Kontinuität
Militärischen Erfolg hätten die Einsätze bisher nicht gebracht, sagt auch Thomas Schiller, Leiter der CDU-nahen Konrad-Adenauer-Stiftung im Sahel mit Sitz in der malischen Hauptstadt Bamako.
"Die Ausbildung hier vor Ort hat ja bisher auch keine fundamentalen Veränderungen gebracht", sagt er. "Die malische Armee ist trotz jahrelanger Ausbildung nach wie vor nicht in der Lage, Gebiete wieder zu sichern beziehungsweise das auch eigenständig zu tun, ohne begleitet zu werden."
Das liege auch an der Ausbildungsmission, sagt Thomas Schiller und zieht einen Vergleich. "Ich wäre als Vater sehr überrascht, wenn man mir erzählen würde, dass in der Schule alle vier Monate der Lehrer wechselt. Aber das ist eben die Realität in dieser Trainingsmission."
Weil die Gewalt nicht aufhört, kommt es immer wieder zu Massendemonstrationen – auf denen die Bevölkerung ihrer Ohnmacht über die schlechte Sicherheitslage Gehör verschafft.
Wie diese Demonstrantin auf einer Protestkundgebung im vergangenen Jahr: "Mali und die Malier haben genug von dem, was hier passiert. Man tötet unsere Kinder! Man tötet unsere Eltern! Man tötet schwangere Frauen! Mali sollte von der Operation Barkhane beschützt werden. Was machen die?"
Malische Sicherheitskräfte gelten bis heute als schlecht ausgebildet und ausgerüstet – werden regelmäßig Opfer von Anschlägen. Weil der Terror längst Landesgrenzen überschritten hat, agiert außerdem die G5 Sahel, ein afrikanisches Militärbündnis, in der Region. Seit dem vergangenen Jahr gibt es auf Druck Frankreichs auch eine europäische Einsatzgruppe – Takuba.
Mali, ein neues Afghanistan?
Nach dem Abzug der Bundeswehr aus Afghanistan ist der Bundeswehreinsatz im westafrikanischen Mali der größte und gefährlichste Auslandseinsatz der deutschen Soldatinnen und Soldaten. Jetzt ziehen viele Parallelen zwischen den beiden Krisenstaaten.
Auch die Extremisten in Mali reagierten prompt auf die dramatischen Szenen aus Kabul. Iyad Ag Ghali, der Chef der Al-Qaida-nahen "Gruppe zur Unterstützung des Islam und der Muslime" (GSIM) gratulierte den Taliban – der zwei Jahrzehnte andauernden Kampf der Dschihadisten habe sich gelohnt.
"Auch versäumen wir es nicht, unserem islamischen Emirat in Afghanistan anlässlich des Abzugs der amerikanischen Streitkräfte und ihrer Alliierten die besten Glückwünsche und besten Wünsche zu übermitteln. Dieser historische Rückzug ist das Ergebnis von zwei Jahrzehnten Geduld unserer Brüder dort", so Iyad Ag Ghali.
Extremisten in Mali sähen sich von den Ereignissen in Afghanistan beflügelt, urteilt der malische Journalist Amadingue Sagara: "Das pusht die islamistische Ideologie und die dschihadistischen Kämpfer – das motiviert diese Gruppen sich zu radikalisieren, das gibt ihnen Antrieb weiterzumachen. Denn es ist, so als ob man den Extremisten sagt: Sie dürfen sich niemals entmutigen lassen, am Ende lohnt sich die Anstrengung."
Droht also ein ähnliches Szenario wie in Afghanistan? Ist die Situation in Mali und Afghanistan so einfach zu vergleichen?
Thomas Schiller, Leiter der Konrad-Adenauer-Stiftung im Sahel: "Natürlich gibt es Vergleiche, die man ziehen kann zwischen dem Scheitern der Ausbildung in Afghanistan und dem Scheitern der Ausbildung hier jetzt vor Ort in Westafrika."
Terrorgruppen nicht vergleichbar mit den Taliban
Die Terrorgruppen in Mali sind laut Schiller aber nicht vergleichbar mit den Taliban. Ihr Rückhalt in Teilen der Bevölkerung sei zum Beispiel deutlich geringer.
Dafür gebe es in Mali nicht nur eine Gruppe, die das Land maßgeblich destabilisiere: "Wir haben außerdem hier noch – das gibt es zwar in Afghanistan auch – Gruppierungen, die dem Islamischen Staat nahestehen. Die haben hier aber eine größere Bedeutung als man das jetzt in Afghanistan so sieht", sagt er.
"Sie haben allein hier in Westafrika schon zwei rivalisierende islamistische Terror-Gruppierungen. Sie haben eine auch ethnisch wesentlich komplexere Ausgangslage. Wir haben terroristische Gruppierungen, die haben auch einen gewissen Einfluss, aber es gibt eben darüber hinaus eine ganze Reihe von anderen Akteuren."
Verschiedene extremistische Gruppen agieren vor allem im Norden und zunehmend im Zentrum des Landes – mit politischen, ideologischen, aber auch wirtschaftlichen Motiven. Sie töten Sicherheitskräfte und Zivilisten und machen Hunderttausende zu Vertriebenen im eigenen Land. Ethnische Konflikte, angetrieben durch den Klimawandel auch um den Kampf um Land und Wasser, werden blutiger.
Angst vor einem interreligiösem Bürgerkrieg
Diese Konflikte heizten die Lage an, sagt der malische Journalist Koureychi Cissé. "Das Schlimmste, was Mali passieren kann, ist sicherlich, in einen interreligiösen Bürgerkrieg zu geraten", sagt er.
"Es ist nicht auszuschließen: Wir wissen, dass die Spaltungen in Mali sehr zahlreich sind auf ethnischer, regionaler, ideologischer, auf religiöser Ebene – und auf mehreren Ebenen sehen wir sogar Unverständnis untereinander (in der Bevölkerung). Die Gefahr, dass daraus eines Tages ein Bürgerkrieg werden kann, ist da: Es ist möglich."
Sicherheitsanalyst Boubacar Salif Traoré macht auch das fehlende Vertrauen in den Staat für die Gewalt mitverantwortlich. Gerade im Norden des Landes sei der malische Staat für die Menschen nicht einmal sichtbar. Das habe Gewalt innerhalb von Bevölkerungsgruppen und den Anstieg von bewaffneten "Selbstverteidigungsgruppen" verschärft.
"Im Großteil dieser Zonen ist der Staat nicht mehr präsent, dort gibt es keine Staatsrepräsentation mehr, alle sind gegangen. Das überließ der Bevölkerung sich selbst", erklärt er.
"Die Bevölkerung dort sagt ganz klar, wenn wir ein Problem haben, können wir uns nicht auf den Staat verlassen, wir müssen zu bewaffneten Gruppen gehen, die kommen und das Problem lösen, indem sie Waffengewalt androhen. Das führt zu einem Vertrauensbruch in das Rechtssystem. Wenn der Staat seine Präsenz dort verstärken würde, um Vertrauen zu bilden, würde das schon viel bewirken."
Mali, ein Staat auf dem Rückzug
Frankreichs Verteidigungsministerin Florence Parly reiste Ende September in die Hauptstadt Bamako. Frankreich stehe an der Seite Malis, allerdings müssten sich die an die Regierung geputschten Verantwortlichen an gemachte Versprechen halten. "Wir müssen dafür sorgen", sagt sie:
"Dass hier in Mali die Bereitschaft besteht, die westafrikanische Wirtschaftsunion ECOWAS dabei zu unterstützen, diesen Prozess des politischen Übergangs, der Rückkehr zu Demokratie, verantwortungsvoller Staatsführung und Gerechtigkeit herbeizuführen. Das allein kann die Voraussetzungen schaffen, die es Mali ermöglichen, die Herausforderungen des islamistischen Terrorismus anzugehen."
Damit spielte die französische Verteidigungsministerin auf Malis politische Krise an. Elite-Einheiten des Militärs haben gleich zweimal innerhalb von nur neun Monaten geputscht.
Wahlen im Februar 2022, damit Mali zu demokratischen Verhältnissen zurückkommt – das hatten die Putschisten versprochen. Doch Zweifel daran wachsen. Wieder ist der Vermittler der westafrikanischen ECOWAS Goodluck Jonathan, Ex-Präsident aus Nigeria, eingereist.
Ein Zeitplan für Wahlen fehlt
Er zeigte sich besorgt: "Im Moment gibt es niemanden, der uns einen Zeitplan für die Wahlen geben kann. Aber uns wird versprochen, dass bis Mitte Oktober dafür gesorgt wird. Als Region, als Wirtschaftsgemeinschaft Westafrikas, können wir nicht in einem Umfeld leben, in dem man sich des Beginns und des Endes einer Regierung nicht sicher ist."
Während vor allem französische Truppen bislang für Sicherheit gesorgt haben, drängen die Eliteeinheiten des malischen Militärs mittlerweile in die Politik. International ausgebildete Eliteeinheiten, die eigentlich die Sicherheitslage im Land verbessern sollen. Malis Militär sei selbst Teil des Problems, urteilt Sicherheits-Experte Boubacar Salif Traoré. Den Militärs werden Korruption und in zahlreichen Fällen Menschenrechtsverletzungen vorgeworfen.
Die grassierende Korruption schwäche Malis Militär zusätzlich. "Diese Menschen – die Militärs – leiden selbst unter der Korruption. Das Material für das malische Militär – niemand weiß, wo es teilweise hingekommen ist. Malis Bevölkerung nimmt die Probleme des Militärs wahr. Stellen Sie sich vor: Im vergangenen Jahr gab es eine Attacke auf Militärs in der Region der drei Grenzen Mali, Burkina Faso, Niger – und es kam heraus, dass es in dem Militärcamp dort kein Wasser gab. Und da fragen sich viele: Wie kann man ein Militärcamp bauen, ohne Wassersystem?"