Nicht unbedingt gut, aber zahlungskräftig
Hochschulbildung in Australien ist ein wichtiger Wirtschaftszweig geworden. Die Jagd nach Studiengebühren geht aber zu Lasten der Qualität: Viele Studierende sprechen kaum Englisch - und bestehen trotzdem die Prüfungen.
Saal 11 an der Wirtschaftsfakultät der Universität Sydney. Gut 150 Erstsemester quälen sich durch die Irrungen und Wirrungen internationaler Währungspolitik. Die Vorlesung ist wie eine Vollversammlung der Vereinten Nationen. Etwa die Hälfte der Studenten kommt aus dem Ausland. In der letzten Reihe, die Füße bequem über drei Sitze verteilt, lümmelt Kim Chung, ein schmächtiger 19-Jähriger aus China, den sein iPad viel mehr interessiert als die Zentralbank Indiens.
"In China hetzt jeder nur herum und versucht, möglichst viel Geld zu verdienen. Hier in Australien versucht man, das Leben zu genießen. Deshalb war es mein Traum, hierherzukommen. Alles ist hier viel entspannter und man ist glücklicher."
Kim ist einer von 400.000 internationalen Studenten, die Australiens Universitäten besuchen – und mithelfen, sie finanziell über Wasser zu halten. Weil es immer weniger öffentliche Gelder für den Hochschulsektor gibt, nehmen australische Unis immer mehr Studierende aus dem Ausland auf – gegen astronomisch hohe Gebühren: bis zu 100.000 Euro für die teuersten Abschlüsse. Doch im Rennen um lukrative, internationale Studenten bleiben Rechenschaft, Sorgfalt und akademische Ansprüche zusehends auf der Strecke.
"Studenten werden ausgenutzt, Studenten lügen, betrügen und versuchen, Dozenten zu bestechen. Und Professoren werden unter Druck gesetzt, all diese Probleme zu ignorieren."
Auf seiner Visitenkarte steht nur "Beamter". Robert Waldersee aber ist Spezialist in Sachen Filz. Seine Kundschaft bei der unabhängigen Kommission gegen Korruption sind sonst bestechliche Politiker oder Wirtschaftsbonzen. In seinem jüngsten Bericht aber hat Waldersee Australiens Universitäten untersucht - und einige Leichen im Keller gefunden. Angefangen bei den Agenturen, die für australische Unis ausländische Studenten rekrutieren. Ob in China, Indien oder Malaysia – nirgendwo ging es mit rechten Dingen zu.
"Jede Universität hat mit korrupten Studentenvermittlern zu tun. Sie fälschen Bewerbungsunterlagen und Testergebnisse – oft zusammen mit den Studenten. Visumsbetrug ist an der Tagesordnung. Wenn die Unis die Dokumente unabhängigen Gutachtern vorlegen ließen, stellten sie fest, dass auch die Gutachter von den Agenturen bestochen worden waren."
Unis zahlen Prämien für jeden vermittelten Studenten
In den USA verbietet ein Verhaltenskodex, dass Agenturen im In- und Ausland für Universitäten gegen Geld internationale Studenten anwerben. Nicht so in Australien: Hier bezahlen Unis Prämien für jeden vermittelten Studenten, im Schnitt etwa 1500 Euro. Insider schätzen, dass jährlich 200 Millionen Euro von australischen Universitäten an Studienplatzvermittler ins Ausland gehen. Gelder, die diese Agenturen zusätzlich zu tausenden Euro bekommen, die sie den Studenten als "Kontaktgebühr" abnehmen. Ein Geschichtsprofessor an der Uni Sydney, der anonym bleiben möchte, spricht von "Bildungsausverkauf". Niemand schere sich mehr um Qualität, sondern nur noch um Quantität.
"Wenn diese Agenten auf Kommission arbeiten, dann sind sie nur daran interessiert, so viele Studenten wie möglich zu schicken. Das Risiko, dass dabei Qualifikationen manipuliert und andere Lügen erzählt werden, um die Quoten zu erfüllen, liegt auf der Hand."
Bildung ist Australiens drittgrößte Einnahmequelle, jährlich 13 Milliarden Euro wert. Nur der Bergbau und der Tourismus bringen mehr Geld. Doch Auslandsstudenten haben keine Ahnung, dass australische Universitäten Kopfprämien für sie bezahlen, genauso wenig wie der australische Steuerzahler, der die einheimischen Hochschulen mitfinanziert.
Mit Werbevideos und Hochglanzbroschüren verkaufen Studienplatzvermittler im Ausland Australien als Freizeitparadies und Akademikerschmiede. Sie versprechen den Studenten, dass es überhaupt kein Problem wäre, in Sydney, Melbourne oder Brisbane eine günstige Wohnung oder eine gutbezahlte Arbeit zu finden. Erst einmal in Australien aber sieht die Wirklichkeit anders aus.
"They didn't pay me for two, three weeks. I survived without money. No money."
Sanjeed Malik ist müde und er ist wütend, seine Hände sind so schmutzig wie sein schmuddeliger Blaumann. Eigentlich sollte der 25-Jährige aus dem indischen Mumbai seit zwei Jahren Wirtschaft an der Uni Sydney studieren, aber er sitzt öfter am Fließband einer Recyclingfirma als im Hörsaal. Sanjeed braucht das Geld. Die Studiengebühren, Miete, Lebenshaltung – das alles kostet ihn mehr als 30.000 Euro im Jahr. Und seinen Schlaf.
"Ich muss sieben Tage die Woche um acht Uhr früh zur Arbeit kommen, aber ich brauche auch einmal eine Pause. Wenn ich erst nach neun anfange, dann werde ich nicht bezahlt. Aber ich brauche den Job, deshalb sage ich nichts. Studenten halten besser den Mund."
Sumit Purdani, ein Freund von Sanjeed, hat schon lange die Nase voll. "Wir Auslandsstudenten werden ausgebeutet", beschwert sich der IT-Student aus Sri Lanka. Sprachbarrieren, zu viele Überstunden für zu wenig Geld: Wer Gelegenheitsjobs anbietet, der weiß, dass internationale Studenten knapp bei Kasse sind und - ohne viel Fragen - jede Arbeit annehmen, die sie bekommen können. Dementsprechend wird auch bezahlt. Sumit arbeitet nachts als Fensterputzer für mickrige acht Euro die Stunde. Schwarz und weit unter Tarif.
"Wir Studenten bringen der australischen Regierung einen Haufen Geld. Das ist alles, was sie interessiert. Wie wir hier behandelt werden – das kümmert keinen. 'Du kannst bezahlen? Willkommen im Westen!' Und dann werden die Studenten wie Kühe gemolken."
In den Katakomben des Hauptbahnhofs Sydney. Pendler gehen zur Arbeit, Studenten sind unterwegs zur Uni. Direkt am Hauptausgang, neben Fahrplänen und Werbeplakaten, hängt ein knallrotes Poster mit der Aufschrift: "Free Legal Aid - Students welcome". Viermal die Woche geben Anwälte kostenlos Rechtsbeistand für Klienten, die sich keinen Anwalt leisten können – auch für Studenten. Joanne Shulmann ist Spezialistin für Arbeitsrecht, ihr Büro nur zwei Busstationen von der Uni Sydney entfernt. Ihr Wartezimmer ist voll. Aber Auslandsstudenten sind zu ihr noch nie gekommen:
"Die meisten internationalen Studenten, vor allem aus Asien, sind viel zu eingeschüchtert, um rechtliche Schritte einzuleiten. Nicht gegen Studienplatzvermittler, die ihnen falsche Versprechen gemacht haben und schon gar nicht gegen skrupellose Arbeitgeber. Denn die drohen ihnen: Wenn ihr euch wehrt, dann wird euer Visum gestrichen und ihr müsst das Land verlassen."
Beides ist gelogen, aber wirksam. Schamlose Vermieter behaupten Ähnliches, damit sich Auslandsstudenten nicht über Größe, Zustand und schon gar nicht den Preis ihrer Unterkunft beschweren. Wohnraum in australischen Unistädten ist knapp, begehrt und teuer. Kunststudentin Jacqui Swanson ist heilfroh, dass sie in Sydney bei Verwandten wohnen kann. Denn viele internationale Komilitonen sitzen für oft 200 Euro die Woche in völlig überfüllten WGs buchstäblich fest.
"Meistens hausen vier Studenten in Stockbetten in winzigen Zimmern. Oft sind acht bis zehn Mieter in einer Zwei-Zimmer-Wohnung, denn oft schlafen auch noch zwei im Wohnzimmer. In Ruhe büffeln und dann Prüfungen bestehen ist unmöglich. In Extremfällen leben Studenten sogar auf abgedichteten Balkonen."
"Aus dem Campus, aus dem Sinn", moniert Anwalt Toby Archer, der in Sydney bei "Legal Aid" kostenlos Rat in Mietangelegenheiten, gibt. Er verpasst den Unis im Fach "Sorgfaltspflicht" eine glatte sechs:
"Was die Unterbringung der Studenten betrifft sieht der Hochschulsektor einfach weg. Kein Wunder, dass viele finanziell ausgenommen werden. Es wird Zeit, dass sich die australischen Universitäten mit diesem Problem auseinandersetzen. Sonst werden es sich Studenten zweimal überlegen hierherzukommen."
Studentenfütterung in der Mensa der Monash-Universität Melbourne. Während der halbe Campus an der Essensausgabe Schlange steht, stillt Nadja Metz in der Uni-Bibliothek ihren Wissensdurst. Nach sechs Semestern Wirtschaftsrecht gehört die 27-jährige Deutsche auf dem Campus schon zum alten Eisen. Obwohl Nadja fließend englisch spricht, genießt sie als sie internationale Studentin die einen oder anderen Privilegien:
"Als ausländische Studenten kriegen wir bei den Prüfungen Sondergenehmigungen, also wir dürfen eine halbe Stunde länger machen wenn es eine dreistündige Prüfung ist. Die Examen werden dann ein bisschen nachsichtiger korrigiert. Man ist auch sonst nachlässiger mit uns."
Die meisten Auslandsstudenten kommen aus Asien
Neuseeland, Schweden, Kanada - Nadjas Mitstudenten kommen von überall her, die meisten aber sind aus Asien: China, Südkorea, Indonesien, Thailand, Vietnam oder Hongkong. Eines aber kommt Nadja spanisch vor: Mit ihren asiatischen Kommilitonen kommt sie nie ins Gespräch, weil die meisten so gut wie kein englisch sprechen. Die Prüfungen aber bestehen ihre asiatischen Mitstudenten genau wie sie. Trotz ihrer Sprachschwierigkeiten.
"Für die Monash-Uni in Melbourne sind die asiatischen Studenten Einnahmequelle. Das heißt, diese Leute bringen denen Geld und deshalb bemüht man sich auch diesen Leuten das Leben angenehmer zu machen und so zu gestalten, dass andere Leute nachziehen anschließend."
"Mit fair hat das nichts zu tun, nur mit Profit", brummt Alex McKinnon, einer von Nadjas früheren Dozenten. Er hat die Uni letztes Jahr verlassen, weil er es leid war, Diplome an Studenten auszuhändigen, die oft keine Ahnung hatten, worum es in seinen Vorlesungen überhaupt ging.
"Es ist nicht meine Aufgabe, Studenten zu helfen, die 65 Grammatik- und Rechtschreibfehler auf der ersten Seite einer Hausarbeit haben. Ich bin nicht dazu da, um ihnen Englisch-Grundkenntnisse beizubringen. Das Schockierende aber ist, dass diese Studenten trotzdem erfolgreich durch ihre Kurse kommen."
Wer in Australien studieren will, muss vorher zum Englischtest, eine Prüfung, bei der landesweit mehr als 90 Prozent aller asiatischen Studienbewerber mit Pauken und Trompeten durchfallen. Mehrfach. Aber es gibt ein Schlupfloch: Einen 20-wöchigen Englischkurs an der Uni. Gegen Extra-Gebühren dürfen die Teilnehmer parallel ihr Studium beginnen und müssen nie wieder einen Englischtest machen - egal ob sie die Sprache beherrschen oder nicht. Iris Chan und Josie Ho aus Peking, Städtebau-Studenten an der Uni Sydney, haben den Kurs besucht. Nur zehn von 90 Teilnehmern, sagen sie, hätten ihn auch bestanden.
"Einer meiner chinesischen Freunde sagt, die englische Sprache gäbe ihm immer Kopfweh." – "Die meisten chinesischen Studenten bleiben unter sich. Sie werden ihr Englisch nie verbessern."
Krankenpfleger, die Beipackzettel von Medikamenten nicht verstehen, Rechtsstudenten ohne Verständnis für das Gesetz: Dozenten sehen die Folgen Tag für Tag an australischen Universitäten schwarz auf weiß. Und viele sehen rot.
"Die E-Mails oder Aufsätze dieser Studenten sind oft unmöglich zu entschlüsseln. Keine Spur von Englischkenntnissen. Und diese Studenten stehen kurz vor dem Abschluss. Ich finde das erschreckend, mir fehlen die Worte."
Sarah ist Online-Dozentin an der Uni Sydney. Zuhause, am Küchentisch, korrigiert sie Hausarbeiten. Was sie lehrt und ihren Nachnamen will sie nicht verraten. Sarah lässt lieber die Arbeit ihrer Auslandsstudenten für sich sprechen:
"As you see from some of these marks – those students have plagiarised more than 80 percent in their assignments."
Von 52 der Arbeiten benotet Sarah 34 mit "ungenügend". Die meisten sind 1:1 aus Büchern abgeschrieben oder einfach aus dem Internet kopiert. Ein Problem, das seit Jahren für sie und ihre Kollegen immer schlimmer werde, meint Sarah, aber von dem ihre Fakultät nichts wissen wolle. Denn allein ihr Kurs bringt der Uni nur durch die Gebühren internationaler Studenten an die 300.000 Euro.
"Es gibt das ungeschriebene Gesetz, diese Studenten nicht durchfallen zu lassen. Niemand spricht darüber, aber ich werde angewiesen, den Studenten besonders entgegenzukommen, sie ihre Prüfungen – wenn nötig – mehrfach wiederholen zu lassen. Selbst wenn das Semester schon zu Ende ist."
"Es gibt Versuche, Akademiker zu bestechen"
Oft werden die Prüfungen von Auslandsstudenten neu korrigiert und von "nicht bestanden" in "bestanden" abgeändert – ohne Wissen der Kursleiter. Oder es wird von oben angeordnet, dass mindestens 90 Prozent der Studenten einen bestimmten Kurs bestehen müssen. Wer trotzdem durchfällt, fleht um eine vierte oder fünfte Chance – oder, wie Korruptionswächter Robert Waldersee herausgefunden hat, versucht dabei ein wenig nachzuhelfen.
"Es gibt Versuche, Akademiker zu bestechen. Die Dozenten haben soviel Macht, dass der Hochschulsektor Korruption förmlich einlädt. Australische Unis haben einen Interessenskonflikt: Sie wollen immer mehr ausländische Studenten und ihr Geld, aber weichen dadurch zusehends ihre Bildungsansprüche auf."
Der Druck auf Auslandsstudenten ist enorm. Die meisten kommen nicht für ein Vermögen an australische Unis, um hinterher in ihre Heimat zurückzukehren. Viele wollen bleiben und das, was auch Städtebau-Studentin Iris Chan will: eine unbefristete Aufenthaltsgenehmigung. Ihr Uni-Diplom ist für Iris das Ticket nach Australien - für sie und ihre Familie in China. Koste es, was es wolle.
"Letztes Jahr musste ich pro Semester 16.000 australische Dollar bezahlen, dieses Jahr sind es 18.000. All meine Verwandten haben dafür hart in China gearbeitet. Sie sagen: Du bleibst in Australien und besorgst eine Aufenthaltsgenehmigung. Ohne die brauchst du nicht nach China zurückzukommen."
Kein Akademiker hört es gerne, aber Hochschulbildung in Australien ist zur Ware geworden, mehr profit- und weniger wissensorientiert. Ohne die Gebühren-Millionen internationaler Studenten hätten einige Universitäten längst dichtgemacht. Um mehr Absolventen zu haben als die weltweite Konkurrenz, wurden die Ansprüche gesenkt, damit mehr Studenten graduieren – oft um jeden Preis.
Australiens Unis laufen Gefahr, zu intellektuellen Legebatterien zu verkommen, die am Fließband internationale Studenten produzieren, mit denen der einheimische Arbeitsmarkt nichts anfangen kann. Denn Auslandsstudenten, die damit rechnen, sich einen Uni-Abschluss kaufen zu können, kann sich Australiens Hochschulsektor auf Dauer nicht leisten.