Ausnahmeathlet Markus Rehm

Mit Handicap nach den Sternen greifen

06:17 Minuten
Der deutsche Leichtathlet Markus Rehm inmitten der Utensilien, die er zu den Paralympischen Spielen in Tokio mitnahm.
Der deutsche Leichtathlet Markus Rehm lässt sich nicht unterkriegen. Er sagt: „Ich mache genau das, von dem ihr glaubt, ich schaffe es nicht!" © picture alliance / dpa | Rolf Vennenbernd
Von Elmar Krämer |
Audio herunterladen
Der Leichtathlet Markus Rehm vertrat Deutschland bei den Paralympischen Spielen in Tokio und holte Gold im Weitsprung. Er springt weiter als jeder deutsche nichtbehinderte Weitspringer und doch trifft er immer wieder auf Vorbehalte.
Der offizielle Spot des deutschen Teams der Paralympischen Spiele in Tokio zeigt deutlich, dass Paralympischer Sport nichts mit dem zu tun hat, was von manchen immer noch despektierlich als Behindertensport abgetan wird. Perfekt angepasste Hightechprothesen lassen längst Mensch und Material eins werden und die Athleten Höchstleistungen vollbringen so wie Markus Rehm.

"Ich war immer Markus, der Sportler"

Für Rehm, 1988 in Göppingen geboren, war der Sport schon immer ein essenzieller Bestandteil seines Lebens: Leichtathletik, Snowboard, Wassersport. Schon als Kind definiert er sich über den Sport, wie er sagt:
„In der Schule war ich immer der Sportler. Ich musste immer alles vormachen und habe immer vorn mitgemischt. Das war irgendwie meine Identität. Ich war immer Markus, der Sportler.“

Unfall mit 14 Jahren

Das ändert sich schlagartig an einem Sonntag im Sommer 2003. Rehm ist 14 Jahre alt und ein begeisterter Wakeboarder. Am Boot seines Vaters hängend tanzt er an diesem Tag mit seinem Board über die Wellen auf dem Main. Bei einem Sprung jedoch muss er die Zugleine loslassen, taucht unter, wird von einem anderen Boot übersehen und überfahren. Seine Beine geraten in die Schiffsschraube.
Als Rehm im Krankenhaus nach einer langen Notoperation wach wird, ist ihm sofort klar, dass nichts mehr so sein wird, wie zuvor, auch wenn er zu diesem Zeitpunkt noch beide Beine hat.

Meine Mutter hat mir am Krankenbett gesagt, dass sie mir das Bein amputieren müssen. Es war ein Riesenschock, aber irgendwie auch nicht. Ich kann es ganz schwer beschreiben. Ich war natürlich erst einmal vorn Kopf gestoßen, bewusst zu hören, dass man das Bein verlieren wird. Aber ich war nicht überrascht, weil irgendwie war für mich das Bein auch nicht mehr das, was es vorher war.

Markus Rehm, Leichtathlet

Die Amputation

Drei Tage nach dem Unfall wird das rechte Bein auch aufgrund einer Blutvergiftung unterhalb des Knies amputiert. Diese Operation nimmt dem jungen Mann auch die letzte Illusion, dass vielleicht doch noch mal alles so werden könnte, wie früher:
„Man wacht nach der OP auf, schaut an sich herunter und sieht: Die Bettdecke liegt flach auf der Matratze - es fehlt was. Das war der Moment, wo ich gemerkt habe: Du bist nicht der Supersportler Markus, sondern jetzt bist du echt eingeschränkt. Du bist echt behindert.“

Kampf gegen Schubladendenken

Für Markus Rehm fängt jetzt auch der Kampf gegen das Schubladendenken an. Er kann und will sich nicht als Behinderter abstempeln lassen, doch erfährt er eine erste Kategorisierung. Er bekommt einen Schwerbehindertenausweis: 
„Lieber Markus, ab jetzt bist du schwerbehindert. So steht es auf dem Ausweis, mein Bild ist daneben. Die Leute haben versucht, mich zu behindern, behindern im doppelten Sinne. Behindern in dem, was ich tue, aber auch irgendwie mir eine Behinderung aufzudrücken oder aufzuerlegen.“

"Ey, Papa, ich fahre wieder Snowboard!"

Seine Eltern unterstützen ihn, wo sie nur können. Vielleicht sitzt bei ihnen der Schock noch tiefer als bei ihrem Sohn. Der jedenfalls scheint seinen sportlichen Kampfgeist nicht mit dem Bein verloren zu haben. Überall im Alltag und auch zu Hause muss er sich durchsetzen:
„Ich habe dann irgendwann meinen Papa dabei erwischt, wie er gegoogelt hat, was man mit einer Prothese noch machen kann. Wir haben immer Wintersport betrieben. Ich bin früher Snowboard gefahren. Er hat sich irgendetwas rausgesucht, wo man sich draufsetzen kann, weil er dachte, ich kann nie wieder snowboardfahren. Ich habe gesagt: ‚Hey, was machst du da?’ Aber es war ihm sichtlich unangenehm und er hat gemeint: ‚Ja, ich suche vielleicht eine Alternative für den Wintersport.’ Da habe ich ihm gesagt: ‚Ey, Papa, ich fahre wieder Snowboard. Also klare Sache!’ Meine Eltern wollten das Boot damals verkaufen. Ich habe gesagt: ‚Ihr könnt das nicht verkaufen. Ich fahre nächstes Jahr wieder Wakeboard.’“

Vorbehalte

Die Skepsis und die Vorbehalte der nichtbehinderten Öffentlichkeit werden für ihn eine genauso große Herausforderung wie das Einswerden mit der Prothese. Denn anders als ein Bein, das mit einer spektakulären neuronalen Sensorik ausgestattet ist, ist eine Prothese gefühllos und nicht für sportliche Leistung geeignet, so die vorherrschende Meinung.
„Ich mache genau das, von dem ihr glaubt, ich schaffe es nicht. Wenn einer sagt: Du wirst niemals so weit springen wie ein olympischer Athlet, sage ich: Doch! Oder wenn einer sagt: Du wirst niemals weiter springen, als je ein Deutscher im Weitsprung gesprungen ist. Doch! Der paralympische Rekord ist mittlerweile höher als der deutsche Rekord! Das sind genau die Dinge, bei denen ich sagen würde: Doch und vielleicht auch gerade deswegen.“

Orthopädietechnikermeister

Rehms Prothese ist für ihn längst Teil seines Körpers. Mittlerweile ist der Athlet nicht nur mehrfacher Olympiasieger und Weltmeister, sondern auch Orthopädietechnikermeister und somit in der Lage, sich selbst um sein künstliches Körperteil zu kümmern.
Ein Körperteil, das er optimieren will, so wie jeder Sportler seinen Körper optimiert. Er sieht da keinen großen Unterschied und kämpfte lange dafür, nicht nur bei Para-Wettkämpfen anzutreten, was ihm gelungen ist, auch wenn die Ausrichter ihn meist gesondert werten.
Markus Rehm erinnert sich bis heute an seine allererste Laufrunde mit einer Sportprothese und an das Gefühl von Freiheit, das er empfand, als er gar nicht mehr aufhören wollte, zu rennen und den Wind im Gesicht zu spüren:  
„So geht es mir heute noch manchmal. Auf einmal überkommt mich dann das Grinsen und ich denke so: Das ist saugeil, dass ich das machen kann. Da ist man schon manchmal sehr demütig und sehr dankbar. Da wird man manchmal sogar im Training richtig emotional.“

Abonnieren Sie unseren Weekender-Newsletter!

Die wichtigsten Kulturdebatten und Empfehlungen der Woche, jeden Freitag direkt in Ihr E-Mail-Postfach.

Vielen Dank für Ihre Anmeldung!

Wir haben Ihnen eine E-Mail mit einem Bestätigungslink zugeschickt.

Falls Sie keine Bestätigungs-Mail für Ihre Registrierung in Ihrem Posteingang sehen, prüfen Sie bitte Ihren Spam-Ordner.

Willkommen zurück!

Sie sind bereits zu diesem Newsletter angemeldet.

Bitte überprüfen Sie Ihre E-Mail Adresse.
Bitte akzeptieren Sie die Datenschutzerklärung.
Mehr zum Thema