Ausnahmezustand im sozialistischen Paradies
Am 17. Juni 1953 gingen in der DDR Millionen Menschen auf die Straße, um zunächst gegen mehr Arbeit für weniger Lohn zu demonstrieren. Doch dann ging es um mehr: den Sturz des SED-Regimes. Die Lehre aus den Aufständen: die Friedfertigkeit der Opposition, die 1989 eine bedeutende Rolle spielte.
"Heute demonstrierte Ostberlin. Der Verkehr stockte, Polizisten schnallten ihre Koppel ab."
berichtete der RIAS am 16. Juni 1953.
"Die Genossen in den Berliner Ministerien, in den Häusern der kommunistischen Massenorganisationen schlossen ihre Fenster und Tore. Auf den Straßen marschierten die Ostberliner Arbeiter."
Im Frühjahr 1953 befand sich die DDR in einer schweren wirtschaftlichen, politischen und gesellschaftlichen Krise: Im Jahr zuvor hatte die SED auf ihrer Zweiten Parteikonferenz den planmäßigen Aufbau des Sozialismus in der DDR beschlossen. Die "Verschärfung des Klassenkampfes" wirkte sich spürbar auf den Alltag aus, traf den Mittelstand ebenso wie die Landwirtschaft. Die forcierte Kollektivierung ließ viele Bauern in den Westen fliehen, Höfe verödeten, Felder lagen brach. Bereits seit April kam es wegen der schlechten Versorgungslage immer wieder zu Arbeitsniederlegungen. In dieser krisenhaften Situation hatte die DDR-Führung Normerhöhungen durchgesetzt, die mehr Arbeit für weniger Lohn bedeuteten.
Am Morgen des 16. Juni 1953 traten in Ostberlin die Arbeiter der Großbaustelle Stalinallee in den Streik und marschierten zum Haus der Ministerien in der Leipziger Straße.
"Als der Zug den Alexanderplatz erreicht hatte, waren aus den 1500 Arbeitern 3000 Arbeiter geworden. An den Straßen stauten sich die Menschen, klatschten Beifall, reihten sich ein in die Reihen der marschierenden Arbeiter."
"Ich habe am 16. Juni im Radio gehört, dass in Berlin gestreikt würde. Was wir im Osten erfahren konnten, das war der RIAS."
Werner Herbig lebte 1953 in Görlitz. Am nächsten Tag erschütterten Aufstände die gesamte Republik.
"Ich musste am 17. Juni meinen Ausweis verlängern lassen. Und ich war um die Ecke und hörte, dass da ein Marschblock kommt. Der Block, der kam immer näher und rief dann: ‚Weg mit der Norm. Wir streiken‘."
Inzwischen hatte die DDR-Regierung die Normerhöhung zwar zurückgenommen - aber längst ging es um mehr: den Sturz des SED-Regimes. In etwa 700 Städten und Gemeinden demonstrierten am 17. Juni 1953 Hunderttausende gegen die DDR-Führung, stürmten Gefängnisse, Dienststellen der Staatssicherheit und Gebäude der SED. Die Situation eskalierte. Unter den Linden und am Potsdamer Platz in Ostberlin fuhren sowjetische Panzer auf, Schüsse peitschten durch die Stadt. Um 13 Uhr verhängte der sowjetische Stadtkommandant Pawel Dibrowa den Ausnahmezustand.
"Liebe Kolleginnen und Kollegen ..."
Ein Arbeiter des VEB ELMO Elektromotorenwerks Wernigerode im Harz. Es ist der einzige Originalton einer Betriebsversammlung:
"Die Belegschaft des ELMO-Werks erklärt sich solidarisch mit den Arbeitern Berlins und fordert Rechenschaft über die Schüsse und Opfer von Berlin und den anderen Städten."
In vielen Orten der DDR wurde der Ausnahmezustand verhängt und der Aufstand niedergeschlagen. Vergeblich hatten republikweit eine Million Menschen gegen die SED-Führung demonstriert. Der 17. Juni 1953 war ein Volksaufstand, so Hans-Hermann Hertle, Mitarbeiter am Zentrum für Zeithistorische Forschung Potsdam.
"Der 17. Juni 1953 stand am Anfang einer Kette von Volksaufständen im Ostblock, 1956 in Ungarn dann, 1968 in der Tschechoslowakei und 1980/81 dann in Polen. Es gab einen Lernprozess bei all diesen Aufständen: Gewaltanwendung auch vonseiten der Demonstranten hat keinen Sinn, sondern führt zur Gegengewalt. In Polen führte das dann zur Gründung von Solidarnosc. Und wenn man von einem Erbe von 1953 sprechen kann, dann sicher in dem Sinne, dass sich diese Lehre auch 1989 durchsetzte und die DDR-Opposition aus 1953 Friedfertigkeit gelernt hatte. Und diese Friedfertigkeit war eine der wichtigsten Voraussetzungen dann für den Erfolg der Herbstrevolution in der DDR."
berichtete der RIAS am 16. Juni 1953.
"Die Genossen in den Berliner Ministerien, in den Häusern der kommunistischen Massenorganisationen schlossen ihre Fenster und Tore. Auf den Straßen marschierten die Ostberliner Arbeiter."
Im Frühjahr 1953 befand sich die DDR in einer schweren wirtschaftlichen, politischen und gesellschaftlichen Krise: Im Jahr zuvor hatte die SED auf ihrer Zweiten Parteikonferenz den planmäßigen Aufbau des Sozialismus in der DDR beschlossen. Die "Verschärfung des Klassenkampfes" wirkte sich spürbar auf den Alltag aus, traf den Mittelstand ebenso wie die Landwirtschaft. Die forcierte Kollektivierung ließ viele Bauern in den Westen fliehen, Höfe verödeten, Felder lagen brach. Bereits seit April kam es wegen der schlechten Versorgungslage immer wieder zu Arbeitsniederlegungen. In dieser krisenhaften Situation hatte die DDR-Führung Normerhöhungen durchgesetzt, die mehr Arbeit für weniger Lohn bedeuteten.
Am Morgen des 16. Juni 1953 traten in Ostberlin die Arbeiter der Großbaustelle Stalinallee in den Streik und marschierten zum Haus der Ministerien in der Leipziger Straße.
"Als der Zug den Alexanderplatz erreicht hatte, waren aus den 1500 Arbeitern 3000 Arbeiter geworden. An den Straßen stauten sich die Menschen, klatschten Beifall, reihten sich ein in die Reihen der marschierenden Arbeiter."
"Ich habe am 16. Juni im Radio gehört, dass in Berlin gestreikt würde. Was wir im Osten erfahren konnten, das war der RIAS."
Werner Herbig lebte 1953 in Görlitz. Am nächsten Tag erschütterten Aufstände die gesamte Republik.
"Ich musste am 17. Juni meinen Ausweis verlängern lassen. Und ich war um die Ecke und hörte, dass da ein Marschblock kommt. Der Block, der kam immer näher und rief dann: ‚Weg mit der Norm. Wir streiken‘."
Inzwischen hatte die DDR-Regierung die Normerhöhung zwar zurückgenommen - aber längst ging es um mehr: den Sturz des SED-Regimes. In etwa 700 Städten und Gemeinden demonstrierten am 17. Juni 1953 Hunderttausende gegen die DDR-Führung, stürmten Gefängnisse, Dienststellen der Staatssicherheit und Gebäude der SED. Die Situation eskalierte. Unter den Linden und am Potsdamer Platz in Ostberlin fuhren sowjetische Panzer auf, Schüsse peitschten durch die Stadt. Um 13 Uhr verhängte der sowjetische Stadtkommandant Pawel Dibrowa den Ausnahmezustand.
"Liebe Kolleginnen und Kollegen ..."
Ein Arbeiter des VEB ELMO Elektromotorenwerks Wernigerode im Harz. Es ist der einzige Originalton einer Betriebsversammlung:
"Die Belegschaft des ELMO-Werks erklärt sich solidarisch mit den Arbeitern Berlins und fordert Rechenschaft über die Schüsse und Opfer von Berlin und den anderen Städten."
In vielen Orten der DDR wurde der Ausnahmezustand verhängt und der Aufstand niedergeschlagen. Vergeblich hatten republikweit eine Million Menschen gegen die SED-Führung demonstriert. Der 17. Juni 1953 war ein Volksaufstand, so Hans-Hermann Hertle, Mitarbeiter am Zentrum für Zeithistorische Forschung Potsdam.
"Der 17. Juni 1953 stand am Anfang einer Kette von Volksaufständen im Ostblock, 1956 in Ungarn dann, 1968 in der Tschechoslowakei und 1980/81 dann in Polen. Es gab einen Lernprozess bei all diesen Aufständen: Gewaltanwendung auch vonseiten der Demonstranten hat keinen Sinn, sondern führt zur Gegengewalt. In Polen führte das dann zur Gründung von Solidarnosc. Und wenn man von einem Erbe von 1953 sprechen kann, dann sicher in dem Sinne, dass sich diese Lehre auch 1989 durchsetzte und die DDR-Opposition aus 1953 Friedfertigkeit gelernt hatte. Und diese Friedfertigkeit war eine der wichtigsten Voraussetzungen dann für den Erfolg der Herbstrevolution in der DDR."