"Das ist nicht das wahre Gesicht der Stadt"
Nachdem ein Mann erstochen wurde und im Anschluss Rechtsextreme Hetzjagden auf nicht-deutsch aussehende Menschen veranstalteten, herrscht in Chemnitz der Ausnahmezustand. Christoph Dittrich vom Theater Chemnitz über die Rolle der Theater.
"Es ist ein Schock", sagt Christoph Dittrich. "Dass ein Mensch zu Tode gekommen ist, das beschäftigt uns sehr. Wie dann dieses schreckliche Ereignis innerhalb von kürzester Zeit instrumentalisiert worden ist, das treibt uns um. Wir sind gerade dabei, eine Schockstarre abzulegen und über geeignete Reaktionen nicht nur nachzudenken, sondern sie auch umzusetzen. Was hier zu sehen war und in die Welt getragen wurde, ist nicht das Gesicht von Chemnitz."
Netzwerke sollen zeigen, was Chemnitz wirklich ausmacht
An den Theatern Chemnitz gebe es in den verschiedenen Sparten Kolleginnen und Kollegen aus über 30 Nationen, erzählt Dittrich. An den Häusern gebe es einen hervorragenden kollegialen Zusammenhalt und man kümmere sich um die einzelnen Mitarbeiter und ihre Bedürfnisse. In den eigenen Netzwerken in der Stadt werde jetzt über eine Gegenreaktion nachgedacht, um zu zeigen, was diese Stadt wirklich ausmache.
Mit so einem Schock sei leider verbunden, dass man für etwas in Anspruch genommen werden soll, was in keinster Weise dem eigenen Charakter oder dem eigenen Wollen entspreche.
"Dass Hass, Hetze, Selbstjustiz und Gewalt die Oberhand gewinnen, ist so furchtbar, dass etwas getan werden muss." Es habe schon eingeladene Künstler gegeben, die gefragt hätten, wie denn die Situation in der Stadt sei. Das seien aber Reaktionen auf Pegida-Aktionen in Dresden oder woanders gewesen, so Dittrich. "Jetzt haben wir aber leider auch vor Ort so eine schreckliche Situation."
Auf die Feststellung der Moderatorin, dass die Politik der Stadt und auch Bürgermeisterin Barbara Ludwig sich mit zunehmender Kritik konfrontiert sähen und auch mit Vorwürfen, die Tendenzen der letzen Jahre verschlafen zu haben, sagt Dittrich:
"Ich glaube, da werden sehr viele Ebenen miteinander vermengt, sei es die städtische oder die Landes- oder Bundebene. Ich schätze die Bürgermeisterin sehr und ich weiß, dass sie sich gerade für die demokratischen Anliegen sehr engagiert. Es gibt funktionierende, demokratische Strukturen, die sich gerade darum kümmern."
Theater als Sensor für demokratische Diskursfähigkeit stärken
Die deutschen Stadttheater mischten sich durchaus schon in den politischen Diskurs ein, sagt Dittrich.
"Gerade auch wir hier in Chemnitz tun das. Über die Spielplangestaltung hinaus gibt es ja auch Diskursformate. Und das Vorhandensein einer öffentlichen Einrichtung als Sensor für demokratische Diskursfähigkeit - diese Rolle werden wir weiter verstärken. Ich glaube, es sind Wirksamkeitserfahrungen, die für den Einzelnen wichtig sind. Da entstehen häufig Leerstellen. Wenn die Menschen nicht spüren, dass sie etwas bewirken können, dann äußern sich diese Leerräume oft in Gewalttätigkeiten. Genau dort kann kulturelle Bildung eine ganze Menge tun."
Das Theater sei dazu da, ein Gemeinschaftserlebnis in der Stadt zu stiften. Und als Theater müsse man offen bleiben und dürfe nicht sagen:
"Ihr dürft bei uns nicht rein. Wir wollen wirklich für alle offen sein und uns diesen Dingen auch stellen."
Die Frage, wie man nun diese Leute überhaupt erreiche, beträfe nicht nur die Theater, sondern auch den politischen Diskurs.
"Immer wieder sind es Netzwerke, die diesen Kontakt vergrößern können, das Wirken in die Schulen hinein. Und das betreiben wir mit unseren fünf Sparten schon in intensiver Weise. Und wir werden die nächsten Ereignisse, die bei uns anstehen, dazu benutzen, eine eindeutige Positionierung gegen Gewalt und Hetze zu bieten."