Außenpolitik

"Kann nicht die Aufgabe des Außenministeriums allein sein"

Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD) spricht am 01.02.2014 auf der 50. Sicherheitskonferenz (MSC) in München (Bayern).
Frank-Walter Steinmeier auf der Münchner Sicherheitskonferenz: "Das kann auch ein noch so eloquenter Außenminister nicht leisten", meint Christoph Bertram. © Tobias Hase/dpa
Christoph Bertram im Gespräch mit Julius Stucke |
Außenpolitik sei heute eine so komplexe Aufgabe, dass sie nicht mehr nur von einem Ministerium gemeistert werden könne, sagt der frühere Leiter der Stiftung Wissenschaft und Politik Christoph Bertram. Das sei eine Frage der Bundesrepublik insgesamt, aller Ressorts.
Julius Stucke: Eine Kultur der Zurückhaltung prägte in den schwarz-gelben Regierungsjahren die deutsche Außenpolitik, aber die Töne jetzt in der großen Koalition – sie klingen anders: mehr Engagement, aktiver. Einer, der andere Töne anschlägt, ist der für die Außenpolitik zuständige Minister Frank-Walter Steinmeier. "Deutschland ist eigentlich zu groß, um Weltpolitik nur von der Außenlinie zu kommentieren", das sagte er letztens bei der Münchner Sicherheitskonferenz. Und als er das Amt übernommen hat, da sprach er von einer kritischen Überprüfung der Außenpolitik, und er freute sich damals in seiner Rede über den, der bei dieser Überprüfung führend mitmacht, keinen Politiker, sondern einen Politikwissenschaftler, den früheren Leiter der Stiftung Wissenschaft und Politik, Christoph Bertram, und der ist jetzt am Telefon. Morgen, Herr Bertram!
Christoph Bertram: Guten Morgen, Herr Stucke!
Stucke: Ja, Sie arbeiten an einer Neuausrichtung, an einer kritischen Überprüfung der Außenpolitik. Was war denn bislang schlecht?
Bertram: Nein, keine Neuausrichtung, das wäre ganz falsch. Es gibt ja auch keine neue Außenpolitik, sondern es gibt eigentlich das Bemühen, das Bewusstsein für die Probleme der Welt in Deutschland zu stärken, das Verständnis für die Notwendigkeit von Außenpolitik, und darum geht es auch bei den Bemühungen, die wir jetzt im Auswärtigen Amt betreiben.
Stucke: Und was heißt kritische Überprüfung?
"Müssen wie vielleicht andere Instrumente einsetzen?"
Bertram: Das heißt zunächst einmal, zu fragen: Sind die Grundlagen, auf denen wir bisher Außenpolitik in Deutschland betrieben haben, … stimmen die noch? Die Welt hat sich ja verändert, das ist ja eine Banalität, und da muss man sich fragen: Müssen wir uns da anpassen mit unserer Überlegung? Müssen wie vielleicht andere Instrumente einsetzen? Und ich meine damit nicht gleich immer das militärische Instrument. Müssen wir versuchen, andere Schwerpunkte zu setzen?
Das ist ein Teil dieser Anstrengung, die wir da machen werden in diesem Jahr im Auswärtigen Amt, das wird eine wesentliche, große Bemühung sein, gerade die Öffentlichkeit mitzunehmen und mit der Öffentlichkeit zu diskutieren, zu debattieren. Wir werden internationale Experten aus Deutschland und der Welt zusammenrufen und sie befragen, was deren Meinung ist. Wir werden eine Reihe von Großveranstaltungen rund um die Bundesrepublik machen, in denen es auch um außenpolitische Themen geht. Es geht also hier darum, das Bewusstsein für die Probleme der Welt zu stärken, nicht etwa eine andere Außenpolitik zu betreiben.
Stucke: Gibt es denn auch schon Ergebnisse, zu denen Sie gekommen sind? Das klingt jetzt alles so ein bisschen nach der Zukunft, was Sie vorhaben.
Bertram: Na ja, das ist ein Projekt, mehr ist es im Augenblick nicht, und das müssen wir zeigen in diesem Jahr, dass wir das hinkriegen.
Stucke: Sie haben es gesagt: Es geht nicht nur um militärische Beteiligung. Aber nehmen wir doch mal ein konkretes Beispiel, Herr Bertram: In Mali, da ist die Bundeswehr bereits an einer Ausbildungsmission beteiligt. Das ist ein Thema heute im Bundestag. Nehmen wir das als konkretes Beispiel – deutsche Politik bezogen auf Afrika. Zu welchen Schlüssen kommen Sie denn da? Wie müssen wir da deutsche Politik anders denken?
"Eine Frage der Bundesrepublik insgesamt"
Bertram: Das kann nicht die Aufgabe des Außenministeriums allein sein. Das ist doch eine Frage der Bundesrepublik insgesamt, aller Ressorts, die daran beteiligt sind. Und diese Gespräche finden statt, diese Abstimmung findet statt. Wir sind ja längst aus einer Zeit heraus, in der das Außenministerium sagen kann: Hier geht es lang! Dazu sind die Probleme viel zu komplex, dazu sind zu viele Interessen und zu viele Elemente beteiligt in der Bundesregierung.
Das kann das Außenministerium alleine nicht mehr tun, sondern das muss insgesamt in der Bundesregierung gemacht werden. Also da kann auch Herr Steinmeier nicht vorangehen. Er kann versuchen, zu sagen, das ist ein wichtiges Problem, darauf müssen wir uns einstellen, das wollen wir in der Öffentlichkeit debattieren, aber er kann nicht sagen: Ich bestimme jetzt, dass wir das machen.
Stucke: Nun entsteht aber gerade schon ein bisschen der Eindruck, als wolle Frank-Walter Steinmeier gerade das tun, nämlich dem Auswärtigen Amt mehr Gewicht zu geben in der deutschen Politik, und zwar, was die Außenpolitik bei solchen Beispielen wie Afrika angeht, aber auch bei der Europapolitik. Damit wird er doch automatisch anderen auf die Füße treten.
Bertram: Das weiß ich nicht. Das wird ja auch immer sehr abgestimmt werden. Es geht wirklich gar nicht darum. Das Auswärtige Amt hat früher eine andere Rolle gespielt. Aber Außenpolitik ist heute eine so komplexe Aufgabe – es wäre ganz vermessen, wenn ein Ministerium sagen wollte: Das mache ich alleine. Das geht gar nicht. Das kann auch ein noch so eloquenter Außenminister nicht leisten. Es geht vielmehr darum, stärker – und das ist ja auch in der Rede des Außenministers in München deutlich geworden –, stärker zu überlegen: Wo muss Deutschland insgesamt, nicht ein einzelnes Ministerium, Initiative ergreifen, um die Probleme, vor denen wir stehen, besser anzupacken und im deutschen Interesse anzupacken?
Stucke: Aber es gibt hier doch mehrere durchaus machtbewusste Politiker aus verschiedenen Parteien. Was macht Sie so sicher, dass sie da alle konstruktiv an einem Strang ziehen?
Bertram: Na ja, das ist das Problem der Demokratie, dass die alle dann irgendwie zusammengeführt werden müssen. Und schließlich gibt es ja auch die Richtlinienkompetenz der Bundeskanzlerin.
Stucke: Wenn Sie jetzt als Wissenschaftler und politischer Berater quasi an dieser Neuausrichtung, Sie sagen, es ist keine ganze Neuausrichtung, aber zumindest an der Überprüfung von Politik arbeiten, haben Sie da ein bisschen eine Sorge auch, auf das Problem zu stoßen, dass Sie als Wissenschaftler den Politikern dann gegenüberstehen, dass die Sie skeptisch beäugen?
Bertram: Also ich finde es natürlich sehr reizvoll, wenn jemand, der nicht zu einem Regierungsapparat gehört, der nicht ein Bürokrat ist, dessen Erfahrungen auf ganz anderen Gebieten, gerade im wissenschaftlichen Bereich liegen, gebeten wird, mitzuwirken dabei, beratend mitzuwirken, und das ist eine sehr reizvolle Aufgabe und ich freue mich sehr darauf.
Stucke: Und Probleme?
Bertram: Bisher nicht.
Stucke: Bisher nicht. Was haben Sie sich denn als Ziel vorgenommen, wann sind Sie zufrieden mit Ihrer Arbeit?
"Ambivalentes Verhältnis zu internationalen Fragen"
Bertram: Ach, wissen Sie, das Problem: Die Deutschen haben ein sehr ambivalentes Verhältnis zu internationalen Fragen. Sie sind an sich weltoffen und aufgeschlossen, aber sie fragen sich doch auch: Müssen wir uns da wirklich sehr engagieren, können das nicht andere machen? Wir sind doch so lange gut gefahren damit, es andere machen zu lassen. Und wir stellen fest, dass diese Einstellung ganz fest sitzt bei uns – zeigt sich ja auch in allen Umfragen: weltoffen aber gleichzeitig zurückhaltend.
Das ist ja an sich keine schlechte Verbindung. Nur die Frage ist: Müssen wir hier das Verhältnis zwischen dem einen und dem anderen anders tarieren? Müssen wir uns klarer werden, klarer werden über das, was in der Welt passiert, mit klareren Augen sehen, ehrlicher auch teilen und dann uns auch fragen: Wie verfolgen wir deutsche Interessen am besten? Und das ist eine große Aufgabe, die wird nicht in einem Jahr und ein paar Monaten erledigt werden, die wird sehr viel mehr Zeit in Anspruch nehmen. Aber ich hoffe, wir werden vielleicht am Ende dieses Jahres weiter sein, ein bisschen weiter sein.
Stucke: Christoph Bertram, Politikwissenschaftler, früher Leiter der Stiftung Wissenschaft und Politik, jetzt arbeitet er für den Außenminister an einer Überprüfung der deutschen Außenpolitik. Danke Ihnen, Herr Bertram, und einen schönen Tag!
Bertram: Einen schönen Tag Ihnen!
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