Außenseiter im Fokus

Von Leonie March |
Situationen und Menschen, bei denen andere lieber wegschauen, ziehen ihn an. Der südafrikanische Fotograf Pieter Hugo bewegt sich an den Rändern der Gesellschaft: Er porträtierte zum Beispiel Albinos, die in vielen afrikanischen Ländern ausgegrenzt, ja verfolgt werden. Sein neuester Foto-Essay zeigt Menschen, die auf einer riesigen Elektroschrott-Halde in Ghana leben.
Diese Musik hat Pieter Hugo im Ohr, wenn er seine Fotos aufnimmt, angesagte Hiplife-Beats aus Ghana. Vor den Augen hat er jedoch Szenen, die an Endzeit erinnern: Rauchschwaden hängen in der Luft, die giftigen Dämpfe verschmorender Festplatten und Computerbildschirme. Ein Junge stochert im Feuer. Ein anderer trägt Kabel in einem Knäuel auf dem Kopf davon. Kühe suchen zwischen den verrußten Müllbergen nach Essbarem. Dies ist Agbogbloshie. Eine der größten Elektroschrottdeponien der Welt, am Rand der ghanaischen Hauptstadt Accra.

"Die Mehrzahl der Computer, die in Europa und den USA weggeworfen werden, landen auf dieser Müllhalde. Oft selbst jene, die guten Gewissens bei Recyclingfirmen abgegeben wurden. Es ist ein apokalyptischer Ort, die Kloake der westlichen Welt. Die Landschaft wirkt mal abgesehen von den alten Computern, die überall herumliegen, mittelalterlich, wie aus einer anderen Ära."

Pieter Hugo unterstreicht seine Worte mit ausladenden Gesten, behält sein Gegenüber fest im Blick. Der 34-Jährige ist ein konzentrierter Gesprächspartner, hört zu, antwortet selbstbewusst, ohne Spur von Eitelkeit. Es geht ihm um die Sache, seine Arbeit und das Thema:

"Für mich ist es eine Untersuchung unserer seltsamen, scheinheiligen Beziehung zur Technologie. Wir sind überzeugt, dass sie uns weiterbringt. Dabei entwickelt sie ein vollkommen anderes Leben, wenn wir erstmal mit ihr fertig sind."

Ist es also politische Überzeugung, die ihn antreibt? Pieter Hugo schüttelt den Kopf. Natürlich sei er kein unpolitischer Mensch, geboren 1976 in Südafrika, im Jahr des Schüleraufstands von Soweto, in eine liberale Kapstädter Familie. Seine Eltern unterstützen seine Faszination für die Fotografie, die ihn im Alter von zehn Jahren packt und nicht mehr loslässt. Abitur 1994, im Jahr der ersten demokratischen Wahlen am Kap. Eine politisch aufgeladene Zeit.

"Für mich beginnt gute Fotografie immer bei der Auseinandersetzung mit der Realität. Es ist also unmöglich, diese Bilder aus ihrem sozio-politischen Kontext zu lösen. Aber darauf liegt nicht mein Hauptaugenmerk. Ich folge vielmehr einem Bauchgefühl, einer Art Instinkt. Ein Thema weckt mein Interesse und ich gehe der Spur nach."

Seit seiner Jugend faszinieren ihn Subkulturen. Ein großes Tattoo lugt unter dem weißen T-Shirt hervor, sein athletisches Aussehen hat der Fotograf mit den blauen Augen dem Wellenreiten zu verdanken. Mit seiner Frau lebt Pieter Hugo an einem der schönsten Strände Kapstadts. Ihre gemeinsame Tochter wird bald ein Jahr alt. Er lächelt.

Angefangen habe ich mit Fotojournalismus, erzählt Pieter Hugo noch immer lächelnd weiter. Doch als fast zwei Meter großer, blonder Mann fiel er überall auf, investigatives Arbeiten kam daher nicht infrage. Heute sieht er darin einen Vorteil.

"Weißer Südafrikaner zu sein steigert auf gewisse Weise die eigene Distanz. Man ist fremd, passt einfach nicht in die Umgebung. Wenn ich die Leute um mich herum frage, ob sie mich als Afrikaner sehen, sagen sie: Nein. Aber was zum Teufel soll ich denn sonst sein? Auch darum geht es in meinen Bildern."

Der Mainstream interessiert Pieter Hugo nicht: Ihn zieht es zu den Ausgestoßenen, den Andersartigen, den Vergessenen. Porträts von Aids-Toten in ihren Särgen, von Albinos, die in vielen afrikanischen Ländern brutal verfolgt werden, von skurrilen Darstellern aus nigerianischen Trash-Filmen, von Gauklern, die Hyänen wie Hunde an Ketten vorführen, von Massengräbern in Ruanda. Wo andere lieber wegschauen, baut der 34-jährige seine Kamera auf:

"Ich schätze die Außenseiter haben es mit angetan: Selbst einer zu sein und Außenseiter zu fotografieren, das Spannungsfeld, das dabei entsteht. Außerdem beschäftige ich mich immer wieder mit den Extremen des menschlichen Daseins, wie sie sich auch auf uns in unserer Selbstgefälligkeit auswirken und was sie über uns aussagen."

Immer wieder stößt der Fotograf dabei an die Grenzen seiner Kunst. Seine Bilder werden vor allem in Europa häufig als hyperexotisch und bizarr wahrgenommen, die subtilen, humorvollen und kritischen Zwischentöne dagegen kaum.

"Mich erstaunt es immer wieder, wie Leute auf meine Fotos reagieren und wie sich ihre Wahrnehmung von dem unterscheidet, was ich beabsichtigt und gefühlt habe, während die Fotos entstanden sind. Kann also ein Porträt jemals ein exaktes, wahrhaftiges Abbild sein, wenn es von jedem Einzelnen so unterschiedlich gelesen wird? Diese Frage beschäftigt mich sehr: Inwiefern die Bilder die Intention des Fotografen ausdrücken können. Darauf habe ich noch keine Antwort."

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