Aussteiger aus Hausarztsystem gehen "existenzielles Risiko für sich ein"

Gerhard Potuschek im Gespräch mit Gabi Wuttke |
Der Landesgeschäftsführer der Krankenkasse Barmer GEK, Gerhard Potuschek, warnt vor den Risiken, die Hausärzte eingehen, wenn sie aus dem kassenärztlichen Vertragssystem aussteigen. Damit hatten Hausärzte in Bayern und Baden-Württemberg im Falle der von Bundesgesundheitsminister Philipp Rösler (FDP) angekündigten Honorarkürzungen gedroht.
Gabi Wuttke: Die Hausärzte stehen auf den Barrikaden, der Feind auf der anderen Seite: Philipp Rösler. Den Grund und die Hintergründe, weshalb mit der Rückgabe der Kassenzulassung gedroht wird, erläutert Melanie Grundei, bevor wir mit dem Geschäftsführer der Barmer Ersatzkasse in München sprechen.

Der Hausarztvertrag – wie er funktioniert, was er bisher gebracht hat und warum er geändert werden soll. Weshalb genau die Hausärzte so erbost sind, darum soll es jetzt im Interview mit Gerhard Potuschek gehen. Er ist der Landesgeschäftsführer der Barmer Ersatzkasse in München. Guten Morgen, Herr Potuschek!

Gerhard Potuschek: Schönen guten Morgen!

Wuttke: Der Hausärzteverband bezichtigt Philipp Rösler der Lüge. Ist das Bundesgesundheitsministerium wirklich wortbrüchig?

Potuschek: Das ist die Auffassung momentan der Hausärzteschaft. Man muss feststellen, wir haben momentan nur in Bayern und Baden-Württemberg flächendeckende Hausarztverträge, und für diese Verträge gilt allerdings Vertrauensschutz. Diejenigen Verträge, die also bis zu einem Kabinettsbeschluss rechtsgültig sind, bleiben erhalten, alle anderen rechtlichen Grundlagen bleiben ebenfalls erhalten. Es geht ausschließlich darum, dass die Honorare in den Hausarztverträgen so stark wachsen wie die Honorare der anderen Ärzteschaft. Das ist der Streit, um den es sich momentan dreht.

Wuttke: Vor zwei Jahren und damit kurz vor der Landtagswahl konnten die bayrischen Hausärzte sicher weit höhere Honorare erstreiten, als man ihnen ursprünglich zugestehen wollte. Um jetzt genau zu verstehen, was Sie eben gesagt haben: Wieder federführend stehen die bayrischen Hausärzte auf den Barrikaden – kriegen die, salopp gesagt, den Rachen nicht voll genug?

Potuschek: Das möchte ich nicht unterstellen, das wäre sicher der Allgemeinheit der Hausärzteschaft nicht gerecht. Fakt ist allerdings, dass wir für die Hausärzte, die an dem Hausarztvertrag teilnehmen, deutlich höhere Honorare zahlen als für die Hausärzte, die an diesem Vertrag nicht beteiligt sind.

Wuttke: Also es geht doch und vor allen Dingen ums liebe Geld?

Potuschek: Es geht natürlich um das Geld, richtig.

Wuttke: Und wie viele Sorgen bereitet Ihnen vor diesem Hintergrund die Drohung, die Hausärzte könnten ihre Kassenzulassungen zurückgeben?

Potuschek: Es ist natürlich für alle Beteiligten keine schöne Situation. Allerdings muss man auch einen gewissen Hintergrund beachten. Der Hausarzt, der seine Kassenzulassung zurückgibt, schließt sich praktisch selbst für sechs Jahre aus dem System aus und muss in dieser Zeit als Privatarzt arbeiten. Und erst danach hat er wieder einen Anspruch auf eine Kassenzulassung. Also er geht ein durchaus existenzielles Risiko für sich ein. Und deswegen habe ich einfach meine Bedenken, dass allzu viele Hausärzte trotz dieser Auseinandersetzung aussteigen werden.

Wuttke: Also um ihre diplomatischen Worte mal ganz kurz auf den Punkt zu bringen: Die würden viel zu viel verlieren, wenn sie ihre Drohung wahrmachen würden?

Potuschek: Ich denke, so sieht es der Hausarzt, ganz genauso, ja.

Wuttke: Sie haben es ja schon gesagt, flächendeckende Hausarztverträge gibt es nur bei Ihnen in Bayern und in Baden-Württemberg. Nun stellt sich der gesamte deutsche Hausärzteverband hinter die bayrischen Kollegen. Bläht man sich da also auf, weil der Bundesgesundheitsminister sowieso schon mit dem Rücken zur Wand steht?

Potuschek: Also das spielt eine entscheidende und eine große Rolle, denn was ausgeschlossen ist, sind ja die überproportionalen Honorarzuwächse, die in den bisherigen Hausarztverträgen verhandelt oder erstritten werden konnten. Und das kann natürlich der Vertretung der Hausärzteschaft nicht gefallen.

Wuttke: Sie kennen das Geschäft, Herr Potuschek, wie groß ist die Macht der Hausärzteverbände? Sie wissen das als Mensch, der auf der anderen Seite steht.

Potuschek: Ja, die Macht ist deswegen halt sehr groß, weil im Sozialgesetzbuch explizit ausgewiesen ist, dass praktisch ein Zwang der Kassen zum Abschluss von Hausarztverträgen gegeben ist. Das Haus … Das heißt also, dass den Hausarztverbänden eine Monopolstellung eingeräumt ist.

Wuttke: Und das heißt schon, dass der längere Hebel tatsächlich aus Ihrer Sicht bei den Hausärzten liegt, weil der Bundesgesundheitsminister politisch geschwächt ist?

Potuschek: Diese gesetzliche Regelung, muss man sagen, war vor der neuen Bundesregierung schon in Kraft, also stammt noch aus der Zeit der Großen Koalition, und das Gesetz ist ganz einfach so angelegt, in der Tat, dass die Vereinigungen, also sprich Hausarztverbände, hier quasi eine Monopolstellung haben mit einer sogenannten Schiedsamtsregelung. Das heißt, es kommt auf jeden Fall zum Abschluss eines Hausarztvertrages. Also von einer Freiwilligkeit, einen Vertrag zu schließen oder vielleicht, dass sich zwei Vertragspartner ja freiwillig zusammenfinden, kann keine Rede sein. Es hat … Und natürlich ist momentan der Druck auf den Gesundheitsminister in der jetzigen politischen Situation ungemein hoch.

Wuttke: Das Hausarztmodell sollte ja Kosten sparen, hat es offensichtlich nicht, haben wir gehört, und die Versicherten sind auch nicht durchweg begeistert. Warum also möglicherweise vernünftigerweise nicht alles wieder auf Anfang?

Potuschek: Also ich denke, auf Anfang zurück wäre ungemein schwer, politisch ungemein schwer durchzusetzen. Allerdings muss man sagen, für die Zukunft gehören einige Spielregeln eingezogen. Es muss mal das Prinzip der Freiwilligkeit für den Abschluss von Hausarztverträgen und die höheren Honorare müssen gekoppelt sein an eine, ja, weitere Qualitätsverbesserung. Und mittelfristig müssen diese Hausarztverträge dann eben auch zu Einsparungen führen.

Wuttke: Welche Qualitätsverbesserungen denn?

Potuschek: Wir brauchen einfach noch mal ein Stück mehr an Fortbildung, wir brauchen ein Stück mehr an Übernahme, an Verantwortlichkeit, um tatsächlich als Lotse im System zu agieren, um damit wie gesagt mittelfristig zu Einsparungen kommen zu können. Ich denke hier zum Beispiel an Vermeidung von Krankenhauseinweisungen oder sonstiger veranlasster Kosten.

Wuttke: Aber was brächte dann eine Freiwilligkeit, das macht doch die ganze Sache nur noch viel komplizierter?

Potuschek: Ja, die Freiwilligkeit ist ja die, dass sich zwei Vertragspartner ganz einfach zu einem Vertrag zusammenschließen können und die Rahmenbedingungen innerhalb des Vertrages freiwillig aushandeln. Und diese Gelegenheit ist der Kassenzeit derzeit ganz einfach genommen.

Wuttke: Das Hausarztmodell in Deutschland hat viele Probleme. Dazu im Interview der "Ortszeit" von Deutschlandradio Kultur Gerhard Potuschek, Landesgeschäftsführer der Barmer in München. Ich danke Ihnen sehr, wünsche Ihnen einen schönen Tag!

Potuschek: Ihnen auch, danke!
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