Hippie, Hippie, Yeah!
22:26 Minuten
Auch Spanien war 1968 ein Anziehungspunkt für Hippies. Und für all jene, die einen anderen, freien Lebensstil suchten - jenseits von Regeln und Konventionen. Über 50 Jahre danach gibt es hier immer noch solche Enklaven alternativen Lebensstils.
Für den Weg in die Freiheit braucht man gute Reifen. Ein holpriger Feldweg führt nach Beneficio. Schilder? Fehlanzeige. Die vage Beschreibung des Traktorfahrers eben muss reichen. Doch dann tut sich ein Parkplatz auf: VW Bullis, Zelte, Campingwagen. Und ein Stein, auf den "Peace and Love" gemalt ist. Hier muss es sein.
"Ich fühle mich nicht als Hippie, habe mich noch nie als Hippie gefühlt. Aber natürlich wandle ich in deren Fußstapfen."
Sagt Francesco, 30 Jahre alt. Er kniet in einem Zelt am Eingang von Beneficio, umnebelt von Rauchschwaden aus der Feuerstelle. Er ist von Italien losgezogen, nach dem Tod seines Vaters. Um die Welt zu entdecken, sagt er.
Ein italienischer Globetrotter, der eigentlich immer weiter trotten wollte. Und der dann doch in Beneficio hängen geblieben ist. Hier hat er auch so jeden Tag interessante Begegnungen, auch ohne zu reisen, sagt er.
"Manche leben hier für einige Jahre. Für ein, zwei, zehn Jahre. Es gibt Leute wie mich, die hier herkommen, ohne einen Plan zu haben, ohne zu wissen, wie lange sie bleiben."
Beneficio ist eigentlich kein Ort, sondern vielmehr eine Ansammlung von Unterkünften. Drei bis vierhundert Menschen sollen hier wohnen. Verstreut in einem Tal der Alpujarras, dem wilden Gebirge südlich von Granada. Unten, am Eingang der Siedlung, die Zelte. Weiter oben haben sich die Bewohner Verschläge aus Holz und Plastik zusammengeschustert. Und noch weiter oben stehen auch Häuser aus Stein. Manche haben sogar Solarpanels.
"Wir leben hier alle im Beneficio-Stil"
"Wir leben hier nicht alle gleich. Manche haben mehr Besitztümer, andere weniger. Manche haben Wohnwagen, die ihnen erlauben, sich schnell zu bewegen. Sie haben Autos, Geld und sowas. Andere wie ich haben das nicht. Aber alle leben hier miteinander, im Beneficio-Stil."
Francescos Arme und Hände sind mit Staub bedeckt, die letzte Dusche dürfte schon ein bisschen her sein. Auch Khadija, die hinter ihm die Bastmatten abfegt, gibt nicht viel aufs äußere Erscheinungsbild. Die Marokkanerin trägt keine Oberbekleidung, sie ist barbusig. Mit ihrem Besen katapultiert sie einen fetten Tausendfüßler ins Gebüsch. Wenn sie stechen, können die Dinger verdammt wehtun, sagt sie. Aber so sei das eben hier in der Natur.
Kekse backen im Winter
"Beneficio ist das Paradies. Es gibt hier genug zu Essen. Du musst noch nicht mal nach etwas Essbarem suchen, es wächst doch genug. Und zwar überall. Sieh mal, wenn Du zum Beispiel dahinten runter gehst, zu dem Haus, dort findest Du Oliven in rauen Mengen. Oder Feigen. Oder Mandeln. Je nach Jahreszeit. Im Winter wächst hier nicht viel, dann müssen sie Essen kaufen. Manche verdienen sich etwas Geld, indem sie Kekse backen, die sie auf dem Dorfmarkt verkaufen. Oder sie helfen auf dem Bauernhof.
"Wir leben ganzheitlich, auf die natürlichste Art und Weise, die möglich ist. Natürlich spüren wir die Auswirkungen der modernen Welt. Klar sind wir von Babylon beeinflusst. Aber mich stört das nicht."
Babylon. So nennen sie hier in Beneficio die Welt da draußen. Eine Welt, die manche Bewohner von Beneficio als laut, fremd, verworren und brutal empfinden. Und der sie den Rücken kehren wollen.
Ibiza und Formentera wurden Hippie-Hotspots in Europa
Konventionen überwinden, neue Lebensformen ausprobieren, eine andere Gesellschaft schaffen: Das waren Ziele der Hippie-Bewegung. Ihre Anfänge nahm sie in den USA - doch auch in Europa schlossen sich ihr viele an. Viele Hippies zog es damals Richtung Süden, nach Spanien. Zwar war in dem Land von einer freien Gesellschaft wenig zu spüren. Spaniens greiser Diktator Franco war noch an der Macht. Kleine Inseln der Freiheit gab es trotzdem – im wahrsten Sinne des Wortes. Die Inseln Ibiza und Formentera wurden zu Hippie-Hotspots in Europa.
Die mit den vielen Haaren
Viele Einheimische konnten mit den Neuankömmlingen wenig anfangen. Sie nannten sie auf Katalanisch "Peluts" – "Die mit den vielen Haaren". Doch je beliebter - und vor allem kommerzieller - Ibiza wurde, desto mehr nahmen die Hippies andere, entlegenere Destinationen ins Visier. Darunter vor allem die Alpujarras. Ende der 70er gründeten einige von ihnen Beneficio. Seitdem ist es ständig gewachsen.
Die Bleibe von Marco liegt ein paar Hundert Meter hinter dem Dorfeingang. Immer den Trampelpfad entlang, an der Gemeinschaftsküche und dem Freiluft-Kindergarten vorbei, hoch in Richtung Wasserfall. Marco kommt ursprünglich aus Wiesbaden. In Beneficio lebt er seit 30 Jahren, in einer befestigten Holzhütte.
"Babylon ist das System, was draußen funktioniert. Ein System, das nicht auf Freiheit und den freien Ausdruck fußt, sondern in dem es um andere Sachen geht."
"Ich habe mich selbst und meine Kultur gesucht"
Marco sitzt er in seinem, nun ja, Wohnzimmer - und dreht sich einen Joint. 1968 war Marco drei Jahre alt. Damals wollten sich die Menschen wohl von etwas befreien, sagt er. Und sich selbst auf die Spur kommen. So wie er auch.
"Ich habe meine Wurzeln, mich selbst und meine Kultur gesucht."
Marco scheint seine Sicht auf die Welt gefunden zu haben. Draußen, in Babylon, ziehen für ihn Mächtige die Strippen. Medien stünden im Dienst der Mächtigen, sie seien ihnen hörig. Das sei eben das System, die Menschen sollten im Unwissen gehalten werden. Aber trotz aller Verschwörungstheorien: Marco spricht mit einem Medienvertreter. Aber nur ins Mikrofon. Eine Kamera hätte er nicht erlaubt.
Das Klischee vom langen Bart
Sechs Kinder hat Marco in die Welt gesetzt, einige sind schon erwachsen, alle leben sie noch hier. Mit seinem langen Bart kommt er dem Klischee eines Hippies schon ziemlich nahe.
Das Leben hier in Beneficio hat sich verändert, sagt er. Dreihundert Menschen leben hier heute, vielleicht sind es auch vierhundert. Auf jeden Fall mehr als früher, als die britischen Gründer der Kommune noch hier lebten. Sie sind längst in der Heimat.
"Früher war das weniger Leute und ein bisschen mehr konzentriert. Da hast Du gespürt, warum die Menschen hier sind. Dass sie hier sind, weil sie es wollen. Und nicht weil sie nicht mehr anders können. Heute haben wir hier Menschen, die es sonst nicht mehr packen."
Ein Auffangbecken für die Müden und Armen
Beneficio ist längst nicht mehr der Garten Eden für all jene, die freier atmen wollen. Sondern längst auch eine Notunterkunft. Ein Auffangbecken für die Müden, Armen, Abgelehnten. Jene, die nicht mehr wissen, wo sie sonst hin sollen. Alle seien hier willkommen, sagt Marco. Er selbst verdient sich etwas Geld mit Gitarrenspielen. Für Marco ist Beneficio ein Ort der Freiheit.
"Da alles frei ist, gibt es natürlich keine Regeln. Es gibt nur Abmachungen. Für Regeln brauchst Du eine Polizei und eine Justiz, die die dann auch durchsetzen muss. Wir bitten die Leute, sich an die Abmachungen zu halten. Aber wenn es Du es nicht tust, bist Du trotzdem willkommen und wirst geliebt."
Besuch bei einem, der das Kommunenleben längst hinter sich gelassen hat. Der Brite Chris Stewart wohnt nur wenige Kilometer von Beneficio entfernt, in einem idyllischen Tal, das nur schwer zugänglich ist. Hier züchtet er Schafe und Hühner und baut Oliven und Orangen an.
"1968 war ich 17 Jahre alt. Ich erinnere mich, dass es das absolute Glück war. In einer westlichen Demokratie in den 60ern und 70ern zu leben – besser ging es nicht."
Eine Karriere bei "Genesis" haarscharf verpasst
Chris spielt damals Schlagzeug in einer Schulband mit dem Namen "Genesis", zusammen mit seinem Klassenkameraden Peter Gabriel. Doch der sorgt dafür, dass Chris bald gehen muss: Er spielt einfach zu schlecht. An den Drums sitzt fortan Phil Collins. Und Chris kommt auf den Selbstfindungs-Trip:
"Ich war Hippie, ich wollte in Kommunen leben und das habe ich auch gemacht. Und ich habe all das gemacht, was ein Hippie so macht: Gitarre spielen, Lesen, barfuß Tanzen mit Perlen und Glocken und so…ich habe so viel freie Liebe gemacht, wie ich mitnehmen konnte. Und dann las ich ein Buch über Kommunen, das nannte sich ´Kommunen und Landwirtschaft´. Das Buch kam zu dem Schluss, dass Kommunen nicht funktionieren, wenn sie nicht entweder religiös oder landwirtschaftlich motiviert sind. Und da ich mich nicht für Religion interessierte, beschloss ich, mich für Landwirtschaft zu interessieren."
Während seine Klassenkameraden mit Genesis zu Weltstars werden, begeistert sich Chris zunehmend für Nutztiere und Ackerbau. Mit 21 arbeitet er auf einer Farm in Sussex mit. Sein Hippie-Dasein ist nur von kurzer Dauer.
"Am ersten Tag war es wie eine Offenbarung: Ich liebte den Geruch, die Klänge, die körperliche Arbeit. Ich bin noch immer ein furchtbarer Landwirt – aber ich liebe es von ganzem Herzen!"
Das Buch zum Aussteigerleben
Sein Geld verdient er ab da vor allem mit dem Scheren von Schafen. Auf einer Andalusien-Reise stößt er vor fast 30 Jahren auf das Grundstück, das heute sein Leben ist. Das Stück Land, ganz in der Nähe von Beneficio. Chris kaufte es aus dem Stand, denn es ist günstig. Und er beginnt nicht nur, das Land zu bewirtschaften, sondern auch zu schreiben. Über sein Leben als Aussteiger. Sein Buch "Unter den Zitronenbäumen" wird ein Bestseller. In Beneficio ist er nie gewesen. Aber heute, mit 67, hat er mit seiner Frau seine eigene kleine Enklave. Mit eigenen Regeln und eigenem Garten. Und Babylon ist auch so weit genug weg: Auch zu seinem Anwesen führt nur ein holpriger Feldweg…
Hippies auch auf den Kanaren
Wer die Hippies auf der Kanaren-Insel La Palma besuchen will, muss gut zu Fuß sein. Denn sie wohnen so abgelegen wie es nur geht, in Barrancos. Das sind langgezogene Schluchten, durch die ein Fluss fließt. Hierher führen nur kleine Trampelpfade. Und die erreicht man wiederum erst nach fast zweistündiger Autofahrt von der Inselhauptstadt Santa Cruz aus - über winzige Sträßchen, die gar nicht enden wollen.
In den Barrancos gibt es keine Hippie-Dörfer. Die Aussteiger hier leben für sich zurückgezogen in Höhlen an den Rändern der Schluchten. Gabriella zum Beispiel: Sie wurde vor vier Jahren auf diesen Ort aufmerksam. Eine Handvoll kleiner Naturhöhlen standen zum Verkauf. Höhlen, die jahrtausendealt sind, quasi vom Wasser in den Fels gespült wurden - jeweils ungefähr so groß wie Zimmer einer Wohnung. Damals war Gabriella 40. Sie schlug sofort zu.
"Also ich muss Dir sagen: Ich habe die ersten drei Monate, nachdem ich hier angekommen bin, hier gesessen und habe fast dauerhaft geweint - vor mich derart gesegnet fühlen, an einem solchen Ort leben zu dürfen. Also gerade nachdem Du so eine lange Odyssee hinter Dir hast. Für mich ist es das größte Geschenk überhaupt, diesen Ort zu haben."
Lust auf das Experiment Höhle
Mit Odyssee meint Gabriella ihr bisheriges Leben. Sie kam mit 20 auf die Insel, wurde bald Mutter, zog zwei Kinder alleine groß. Gabriella wohnte in Los Llanos, der zweitgrößten Stadt von La Palma, hatte teils mehrere Jobs gleichzeitig. Doch dieses Leben mit Stress, Zeitdruck und Lärm machte sie nicht glücklich. Sie wollte etwas Neues ausprobieren, hatte Lust, das "Experiment Höhle" zu starten.
"Also ich glaube, es gibt einfach grundsätzlich noch viel mehr Menschen, die eigentlich in dem bestehenden System gar nicht leben können und eigentlich auch dauernd krank sind - und denen nur noch nicht eingefallen ist, dass sie sich eigentlich nur entscheiden müssen, anders zu leben. Die Welt ist groß. Es gibt überall Orte, an denen man noch - wenn man seine Ansprüche und Sicherheiten loslassen kann - nach seiner eigenen Wahrheit leben kann und deshalb sind wir hier."
Seit ein paar Monaten gibt es ein "wir" in Gabriellas Höhlen: Sie hat Christian kennengelernt, er kommt ebenfalls aus Deutschland, und hatte genug vom Leben nach Plan. Nun leben sie zusammen in ihrem Barranco auf La Palma.
Leben im Einklang mit der Natur
"Wenn man etwas im Einklang mit der Natur ist, hat man hier sehr viele Freiheiten. Dass man für sich realisieren kann, was man möchte. Was in Deutschland nicht mehr möglich ist, wenn einem sogar die Farbe des Hauses vorgeschrieben wird, das man baut. Weil andere Farben nicht in dieses Wohngebiet passen."
Christian ist groß und schlank; er hat eine Glatze und trägt eine graue Wollmütze. Gabriella eine Fliessjacke, sie hat lange lockige blonde Haare und wirkt wie eine Frau, die mitten im Leben steht. Gabriella lacht gerne; ein bisschen Hippie stecke noch ihr drin, sagt sie. Aber wenn man sie optisch nicht für einen Klischee-Hippie halten würde.
Sonnen-Kollektoren und Smartphone
Die beiden sitzen an diesem Spätnachmittag im April einer ihrer Höhlen, die sie zu einer Art Küche mit Wohnzimmer gemacht haben. An der Wand stehen kleine Regale mit Küchenutensilien und ein paar Bio-Lebensmitteln, daneben zwei Kochplatten mit Töpfen und Pfannen. Strom bekommen sie über Sonnen-Kollektoren. Es wirkt so, als fehle es den beiden an nichts. Sie haben sogar ein Smartphone.
"Na ja, das ist leider nicht ganz wegzudenken, da wir schon auch noch mit Menschen arbeiten. Was wir aber schon haben: Es gibt einen Punkt, an dem das Telefon liegt, und da geht man dann ab und zu vorbei und schaut, ob es irgendetwas Wichtiges gibt, auf das man reagieren muss."
Wohnhöhle und Arbeitshöhle
Neben ihren Wohnhöhlen haben Gabriella und Christian auch eine Arbeitshöhle. Es ist eine Art Behandlungsraum. Die beiden arbeiten nämlich als Naturheiler. Sie empfangen Patienten in ihrem Barranco und machen zum Beispiel "Stille-Retreats", eine Art Meditations- oder Schweigeseminar. Leben können die beiden davon nicht, das geben sie zu. Ein größeres Erbe gebe ihnen finanziellen Spielraum, sagt Gabriella. Das spirituelle Heilen sei so etwas wie ein Hobby, wofür sich dieser Ort perfekt eigne. Gabriella spricht von einer speziellen Kraft, die sich in der Schlucht befinde, von einem Energiefeld. Vor hunderten Jahren habe sich an diesem Platz ein Dorf der kanarischen Ureinwohner befunden - das spüre man bis heute, behauptet Christian. Wie genau, kann er nicht beschreiben. Er spricht von Schwingungen, die vor allem abends zu spüren seien.
Trotz Anstrengung viel Frieden gefunden
"Es kann sehr herausfordernd sein, ja. Wenn man den Ort nicht kennt und dann auch gerade hier im Tal, das einen gewissen Schutzrahmen bietet einerseits - auf der anderen Seite könnte es auch mal eng werden, wenn einen das Energievorkommen hier in seine innere Arbeit zwingt. Ich muss allerdings auch dazu sagen: So anstrengend das hier manchmal ist, so herausfordernd das immer ist, so viel Frieden habe ich hier aber auch gefunden."
Anstrengend kann es im Barranco auch werden, wenn das Wetter nicht mitspielt. Denn nur die Behandlungshöhle von Gabriella und Christian hat Tür und Fenster, ist also wetterdicht. Die anderen Höhlen sind naturbelassen, also offen.
"Wenn es mal so einen richtig heftigen Winter gibt und die Höhle, in die wir eigentlich einziehen wollten über den Winter, mit Öfchen und Tür zu komplett unter Wasser steht - doch dann denke ich auch manchmal an die Bequemlichkeiten eines Hauses. Aber es vergeht auch ganz schnell wieder."
Es geht ein paar Barrancos weiter, diesmal mit dem Auto. Ein etwas breiterer Feldweg führt in diese Schlucht nahe Las Tricias. Im Vergleich zum einsamen Flussbett von Gabriella und Christian ist es geradezu dicht bevölkert: Alle paar Meter sind VW-Busse am Weg abgestellt, links und rechts in der Landschaft stehen kleine Hütten und Zelte. Am Ende des Sträßchens winkt schon Paco: ein großer, schlanker Mann mit grauen Haaren und grauem Bart. Er trägt einen verwaschenen rosafarbenen Pulli, an seinen Händen sieht man, dass er anpacken kann - und das merkt man auch gleich an seinem kraftvollen Händedruck Paco kommt aus Katalonien, lebt aber seit gut 30 Jahren als Hippie auf La Palma.
"Ich war Reisender, viel in Spanien und Europa unterwegs. Auch in Asien und Afrika. Aber am Ende wehte mich der Wind auf die Kanaren. Und hier bin ich."
Paco hat ein größeres Stück Land im Barranco gekauft und sich - wie Gabriella und Christian - dazu entschlossen, in Höhlen zu wohnen. Doch der Unterschied zu den Aussteigern aus Deutschland: Pacos Höhlen sind nicht von der Natur in die Felsen gespült worden; er hat sie selbstgebaut, in die Wände der Schlucht geschlagen. Das durfte er, weil ihm das Grundstück gehört.
"Ich habe das Gestein aus dem Felsen geholt, Stück für Stück. Und aus dem Material habe ich dann Mauern für meine Gärten gebaut, die Hänge hier sind schließlich sehr steil. Ich habe zig Kubikmeter Gestein aus dem Fels geholt."
"Das ist die Küche", sagt Paco. Er zeigt auf einen Herd, eine Spüle, einen Schrank - alles perfekt eingepasst in die Höhle. Auf einem Tisch steht ein Laptop, aus den Lautsprechern kommt klassische Musik.
"Glücklicherweise hat es die Technik auch bis hierhin geschafft, das Internet zum Beispiel. So bin ich immer gut informiert. Ich kann mit dem Computer Musik hören und er hilft mir bei der Arbeit."
Landwirt und Geschäftsmann
Paco arbeitet als Landwirt. Er baut Papayas an, hat ein paar Ziegen, stellt Käse her und verkauft alles auf Märkten in der Umgebung. 100 Prozent Bio, wie er stets betont. Dazu betreibt Paco noch ein anderes Geschäft: Er vermietet zwei seiner Höhlen an Urlauber. Sie sind zu einer Art Gästeapartments umgebaut; in ihnen stehen bequeme Betten, kleine Regale und in einer der Höhlen auch eine Gitarre. Für das Hippie-Ambiente, sagt Paco. Er bewirbt die Gast-Höhlen im Internet.
"Aber hauptsächlich läuft es über Mund-zu-Mund-Propaganda: Wenn Leute hier waren, sagen sie anderen vielleicht: ,Wenn Du mal auf La Palma bist, im Nordwesten bei Las Tricias, schau‘ Dir doch mal die Höhlen von Paco an.‘ Hierher kommen fast nur Besucher auf Empfehlung von Freunden oder Bekannten."
Doch heute hat Paco keine Kundschaft. Er lege es nicht darauf an, dass seine Urlauber-Höhlen stets gebucht sind, sagt er; lieber weniger Gäste, dafür solche, mit denen er sich gut verstehe. Denn wer hierher kommt, darf keinen Luxus-Urlaub erwarten: Paco ist quasi Pensionswirt, Koch und Handwerker auf einmal - kümmert sich um alles. Und genau das ist in seinem Barranco in der Wildnis nicht immer so einfach.
Es ist auch Phantasie gefragt
"Wir müssen uns hier oft etwas einfallen lassen: Wenn ich hier an einer Höhle etwas ausbessere und mir zum Beispiel etwas aus einem Eisenwaren-Geschäft fehlt, dann muss ich kreativ werden. Denn der Laden ist weit entfernt. Aber das ist toll: Du stehst einer Hürde gegenüber und musst Deinen Geist anstrengen, um sie zu überwinden - da ist auch Phantasie gefragt."
Immer wieder betont Paco, wie wichtig es ihm ist, im Einklang mit der Natur zu leben, die Gesetze der Natur zu beachten. Genau das und nicht mehr brauche er, um glücklich zu sein.
"Wenn wir über die Hippie-Philosophie sprechen, dann geht es darum, dieses Glücksgefühl mit anderen Menschen zu teilen. Sie sollen davon auch etwas haben. Klar, bei der Hippie-Philosophie geht es auch um Liebe - aber für mich steht im Vordergrund, Dinge zu erschaffen, die mir und anderen Freude machen."
"Solange ich Energie habe, werde ich bleiben"
Und wenn es nach Paco geht, erschafft er diese Dinge noch viele Jahre. Jetzt ist er 50, aber topfit, wie er betont. Wegziehen aus seinem Barranco in eine Stadt, die vielleicht ein bequemeres Leben bietet? Keine Option, sagt er.
"Das ist meine Welt, mein Leben, meine Berufung. Ich sehe es nicht als Pflicht an, hier zu sein. Ich liebe die Natur, habe diese Form des Lebens selbst ausgesucht. Solange ich Energie habe, werde ich hier bleiben."
Erstsendedatum: 24. Mai 2018.