Aussteiger, Sexsymbole und Dorfbewohner
Das Motto der 5. Triennale der Photographie in Hamburg lautet "Wechselspiel. Foto-Film-Foto". Das Haus der Fotografie in den Deichtorhallen befasst sich in einer Doppelausstellung mit den 70er-Jahre-Groopies Gisela Getty und Jutta Winkelmann sowie Joe Dallessandro, Muse von Andy Warhol. Das Museum für Kunst und Gewerbe zeigt "Portraits in Serie. Fotografien eines Jahrhunderts".
Über 400 Arbeiten umfasst die Ausstellung, die vorführt, wie unterschiedlich Fotografen und Fotografinnen der letzten 150 Jahre die Idee der Serie verwenden. Im Zentrum hängen Bilder aus der wohl berühmtesten Serie der Photographiegeschichte: August Sanders "Menschen des 20. Jahrhunderts". Ende der 20er-Jahren entstanden, schuf Sander damals ein umfassendes Gesellschaftsbild seiner Zeit, hielt Arbeiter, Bauern, Handwerker und Bourgeois fest.
Ganz anders nutzte Nicholas Nixon das Prinzip der Serie: 1975 begann er, seine Frau und ihre drei Schwestern einmal jährlich in immer derselben Anordnung zu Photographieren. Sabine Schulze, Leiterin des Museums:
"Da können einem die Tränen kommen. Wenn man sieht, wie diese schönen charmanten Frauen - wie das Leben einfach zugreift. Man fragt sich: 'Was ist in diesem Jahr - 1978 sag ich jetzt mal - mit der links außen passiert?', 'Was hat sie erlebt? Warum sind diese Züge so verhärtet?'. Drei Jahre später hat man das Gefühl, es geht ihr wieder sehr viel besser, aber da hat eine andere offensichtlich eine große Krise. Und das ist etwas, wo man sagen kann, das kann die Photographie leisten: Die Zeit, die vergehende, festzuhalten."
Bis ins frühe 20. Jahrhundert schufen Fotografen Portraits so wie Ölgemälde, die die Einmaligkeit ihres Gegenübers betonten. Doch seit den 1960er-Jahren misstrauen Fotografen der Idee, mit einem Bild eine Person fassen zu können: Andy Warhol und Cindy Sherman führen dies in ihren Verkleidungsspielen vor. Thomas Ruff zwingt seinen Freunden die Formen standardisierter Passbilder auf, die jede Persönlichkeit verweigern. Und Roni Horn hält zwar gleich 50 Mal das zarte, sich stets leicht verändernde Gesicht Isabelle Hupperts fest, doch gewinnt die Schauspielerin dadurch nicht etwa an Kontur - vielmehr scheint das Bild von ihr dadurch immer unschärfer zu werden.
"Es gibt nicht das Abbild dieser Person, sondern es ist ein ständiges Changieren, Variieren. Auch da wieder so eine Relativität: Das, was die alten Meister in der Portraitphotographie und -malerei geleistet haben - so ein allgemeingültiges Abbild einer Person zu geben - das relativieren jetzt die modernen Künstler in der Photographie."
Jedenfalls die in der Ausstellung vertretenen. Eine Auswahl übrigens, die durch ihre Weltentrücktheit einigermaßen irritiert: So werden bis auf zwei Arbeiten von Michael Najjar die Möglichkeiten der Digitalphotographie für das Portrait völlig ausgeblendet. Auch zeigt kaum ein Fotograf sein Gegenüber in der Wirklichkeit, die ihn umgibt, also in seinem Alltag, bei der Arbeit.
Wo dies doch geschieht, wirkt dies ausgesprochen gestrig: So blicken gleich drei Fotografen auf die hiesige Landbevölkerung, als lebten wir in einem Agrarland, und als gäbe es keine Städte, keine Umwälzung der Arbeitsbedingungen, keine Arbeitslosigkeit, die die Menschen prägen.
Dagegen fehlen Positionen wie die von Tobias Zielony, Martin Parr, Sergej Bratkov oder Paul Graham, die all dies in ihren Portraitserien eindrucksvoll vorführen, völlig.
Kontrastprogramm im "Haus der Photographie": Dort widmen sich zwei Ausstellungen drei sehr unterschiedlichen Aussteigern: den Groopies Jutta Winkelmann und Gisela Getty - und dem Sexsymbol Joe Dallesandro, dem Lou Reed sein "Walk on the Wild Side" widmete.
Kurator Ingo Taubhorn: "Es gibt hier zwei starke Parallelen. Da sind drei Menschen: Hier die Zwillinge, auf der anderen Seite Dallesandro, die fast gleichaltrig sind, beide Ende der 40er-Jahre geboren, und die ausziehen - wenn man so will und das etwas pathetisch formuliert - um die Welt zu erobern."
Die "Twins" setzten ihr attraktives Äußeres ein, um in die internationale High-Society aufzusteigen. Auf dem Weg dahin Photographierten sie ihre Freunde: Man sieht Paul Getty, Dennis Hopper, Sean Penn, Bob Dylan und Werner Herzog - und immer wieder die mal nackten, mal verkleideten und haschenden Zwillinge.
Joe Dallesandro dagegen modelte bereits als 15-Jähriger für ein pornografisches Schwulenmagazin. Wenig später traf er Andy Warhol, und bezirzte mit seiner Jugend, seinem trainierten Körper und seiner Natürlichkeit Fotografen wie Richard Avedon, Jack Mitchell oder Michael Childers, die ihn lustvoll ablichteten.
"Wenn man bedenkt, dass diese Bilder alle Ende der 60er - beziehungsweise auch die Filme - Ende der 60er, Anfang der 70er-Jahre entstanden sind, - dann kann man ohne Weiteres sagen, dass hier jede Form von Tabu und jede Form von Radikalität ausgespielt wurde."
So gab er in Filmen wie "Flesh" und "Heat" die männliche Nutte beziehungsweise den jugendlichen Liebhaber einer älteren Diva. Stets spielte er direkt und schamlos - das bigotte Bürgertum war schockiert.
"Warhol hat ja gesagt: Das Licht ist schlecht, die Kamera ist schlecht, die Projektion ist schlecht, aber die Menschen sind schön. Und das birgt vielleicht sogar eine Protesthaltung gegen das, was zum damaligen Zeitpunkt hollywoodmäßig auf dem Markt gewesen ist: Figuren zu finden, die mit einer völligen Unprätentiösität sich, ihren Körper, bestimmte Themen gespielt haben."
Die collageartig präsentierten Photographien, Film-Stills und Plakate zeigen, wie Dallesandro zum Sexsymbol der 60er wurde: Grenzen überschreiten, gesellschaftliche Rollenzuweisungen aufbrechen, Lust unbeschwert leben - für diese Befreiung aus bürgerlicher Verklemmtheit und Verlogenheit wurde er auch zur Ikone der Schwulenbewegung.
"So viel lebendige Unangepasstheit sucht man heute vergebens: Wie brav und angepasst wirken doch die Herren der Ausstellung 'Traummänner', die gleich neben der Dallesandro-Ausstellung zu sehen ist."
Link:
Mehr zur Triennale der Photographie
Ganz anders nutzte Nicholas Nixon das Prinzip der Serie: 1975 begann er, seine Frau und ihre drei Schwestern einmal jährlich in immer derselben Anordnung zu Photographieren. Sabine Schulze, Leiterin des Museums:
"Da können einem die Tränen kommen. Wenn man sieht, wie diese schönen charmanten Frauen - wie das Leben einfach zugreift. Man fragt sich: 'Was ist in diesem Jahr - 1978 sag ich jetzt mal - mit der links außen passiert?', 'Was hat sie erlebt? Warum sind diese Züge so verhärtet?'. Drei Jahre später hat man das Gefühl, es geht ihr wieder sehr viel besser, aber da hat eine andere offensichtlich eine große Krise. Und das ist etwas, wo man sagen kann, das kann die Photographie leisten: Die Zeit, die vergehende, festzuhalten."
Bis ins frühe 20. Jahrhundert schufen Fotografen Portraits so wie Ölgemälde, die die Einmaligkeit ihres Gegenübers betonten. Doch seit den 1960er-Jahren misstrauen Fotografen der Idee, mit einem Bild eine Person fassen zu können: Andy Warhol und Cindy Sherman führen dies in ihren Verkleidungsspielen vor. Thomas Ruff zwingt seinen Freunden die Formen standardisierter Passbilder auf, die jede Persönlichkeit verweigern. Und Roni Horn hält zwar gleich 50 Mal das zarte, sich stets leicht verändernde Gesicht Isabelle Hupperts fest, doch gewinnt die Schauspielerin dadurch nicht etwa an Kontur - vielmehr scheint das Bild von ihr dadurch immer unschärfer zu werden.
"Es gibt nicht das Abbild dieser Person, sondern es ist ein ständiges Changieren, Variieren. Auch da wieder so eine Relativität: Das, was die alten Meister in der Portraitphotographie und -malerei geleistet haben - so ein allgemeingültiges Abbild einer Person zu geben - das relativieren jetzt die modernen Künstler in der Photographie."
Jedenfalls die in der Ausstellung vertretenen. Eine Auswahl übrigens, die durch ihre Weltentrücktheit einigermaßen irritiert: So werden bis auf zwei Arbeiten von Michael Najjar die Möglichkeiten der Digitalphotographie für das Portrait völlig ausgeblendet. Auch zeigt kaum ein Fotograf sein Gegenüber in der Wirklichkeit, die ihn umgibt, also in seinem Alltag, bei der Arbeit.
Wo dies doch geschieht, wirkt dies ausgesprochen gestrig: So blicken gleich drei Fotografen auf die hiesige Landbevölkerung, als lebten wir in einem Agrarland, und als gäbe es keine Städte, keine Umwälzung der Arbeitsbedingungen, keine Arbeitslosigkeit, die die Menschen prägen.
Dagegen fehlen Positionen wie die von Tobias Zielony, Martin Parr, Sergej Bratkov oder Paul Graham, die all dies in ihren Portraitserien eindrucksvoll vorführen, völlig.
Kontrastprogramm im "Haus der Photographie": Dort widmen sich zwei Ausstellungen drei sehr unterschiedlichen Aussteigern: den Groopies Jutta Winkelmann und Gisela Getty - und dem Sexsymbol Joe Dallesandro, dem Lou Reed sein "Walk on the Wild Side" widmete.
Kurator Ingo Taubhorn: "Es gibt hier zwei starke Parallelen. Da sind drei Menschen: Hier die Zwillinge, auf der anderen Seite Dallesandro, die fast gleichaltrig sind, beide Ende der 40er-Jahre geboren, und die ausziehen - wenn man so will und das etwas pathetisch formuliert - um die Welt zu erobern."
Die "Twins" setzten ihr attraktives Äußeres ein, um in die internationale High-Society aufzusteigen. Auf dem Weg dahin Photographierten sie ihre Freunde: Man sieht Paul Getty, Dennis Hopper, Sean Penn, Bob Dylan und Werner Herzog - und immer wieder die mal nackten, mal verkleideten und haschenden Zwillinge.
Joe Dallesandro dagegen modelte bereits als 15-Jähriger für ein pornografisches Schwulenmagazin. Wenig später traf er Andy Warhol, und bezirzte mit seiner Jugend, seinem trainierten Körper und seiner Natürlichkeit Fotografen wie Richard Avedon, Jack Mitchell oder Michael Childers, die ihn lustvoll ablichteten.
"Wenn man bedenkt, dass diese Bilder alle Ende der 60er - beziehungsweise auch die Filme - Ende der 60er, Anfang der 70er-Jahre entstanden sind, - dann kann man ohne Weiteres sagen, dass hier jede Form von Tabu und jede Form von Radikalität ausgespielt wurde."
So gab er in Filmen wie "Flesh" und "Heat" die männliche Nutte beziehungsweise den jugendlichen Liebhaber einer älteren Diva. Stets spielte er direkt und schamlos - das bigotte Bürgertum war schockiert.
"Warhol hat ja gesagt: Das Licht ist schlecht, die Kamera ist schlecht, die Projektion ist schlecht, aber die Menschen sind schön. Und das birgt vielleicht sogar eine Protesthaltung gegen das, was zum damaligen Zeitpunkt hollywoodmäßig auf dem Markt gewesen ist: Figuren zu finden, die mit einer völligen Unprätentiösität sich, ihren Körper, bestimmte Themen gespielt haben."
Die collageartig präsentierten Photographien, Film-Stills und Plakate zeigen, wie Dallesandro zum Sexsymbol der 60er wurde: Grenzen überschreiten, gesellschaftliche Rollenzuweisungen aufbrechen, Lust unbeschwert leben - für diese Befreiung aus bürgerlicher Verklemmtheit und Verlogenheit wurde er auch zur Ikone der Schwulenbewegung.
"So viel lebendige Unangepasstheit sucht man heute vergebens: Wie brav und angepasst wirken doch die Herren der Ausstellung 'Traummänner', die gleich neben der Dallesandro-Ausstellung zu sehen ist."
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