Zu Besuch in Slab City
Hippie-Hochburg, Aussteigerparadies, der ärmste Campingplatz der USA - all das gilt für Slab City. Ein Ort für Lebenskünstler, Einsiedler und Alternative im Osten Südkaliforniens. Slab City ist offiziell eine illegale Kommune, vom Staat aber wird sie geduldet.
Bill Ammon zeigt sein Zuhause. Er sitzt in seinem Truck, die Fenster sind runtergekurbelt, auf der Rückbank stapeln sich Briefe, die er vom Postamt im nahegelegenen Städtchen Niland abgeholt hat. Es ist heiß, 34 Grad, keine Wolke am strahlend blauen Himmel.
"Now for the property of Slab City the border line comes right here, so technically."
Sein Zuhause ist Slab City - das zwar das Wort "Stadt” im Namen trägt, aber keinerlei Ähnlichkeit mit einer Stadt hat. Es ist ein Stück Land im Osten Südkaliforniens, einem der ärmsten Landstriche in diesem unfassbar reichen Bundesstaat. Fast die Hälfte aller Bewohner von Niland leben unterhalb der Armutsgrenze.
Mexiko ist rund 80 Kilometer entfernt. Während des Zweiten Weltkrieges war hier eine Militärbasis stationiert, wurden Soldaten auf ihren Einsatz im Pazifik vorbereitet. An diesen Teil der Geschichte erinnern jetzt nur noch einzelne Fundamente, so genannte ‘slabs’ - daher der Name.
"And see this is the typical Slab City neighborhood."
Bill lehnt gegen das Autofenster und zeigt das "klassische" Slab City: weitläufig verstreut stehen Wohnwagen, alte und neue, es liegen Autokarosserien auf dem trockenen Boden, Zäune, die aus recyceltem Material zusammengeschraubt wurden. Aus Brettern entstanden Hütten und immer wieder tauchen Kunstobjekte auf: aus Metall, Holz, Glasflaschen.
Auffällig viele Solarpanele finden sich an den simplen Behausungen - Sonnenenergie hält hier einige Laptops und kleine Klimaanlagen am Laufen. Bill erzählt weiter:
"Die Jüngeren leben hier in diesem kleinen Tal, da siehst du ihre Zelte. Jetzt wo es wieder wärmer wird, hauen die meisten ab, weil es zu heiß wird um in einem Zelt zu leben.”
Kein fließend Wasser, keine Toiletten, keine Duschen
Slab City ist schlechter ausgerüstet als der primitivste Zeltplatz in den USA: es gibt hier kein fließend Wasser, keine Toiletten, keine Duschen.
Dieser Flecken Erde ist trocken und staubig, ein Stück Niemandsland, in dem Keiner das sagen hat. Das ist einer der Gründe, weshalb dem Ort östlich der Salton Sea das Image des Aussteigerparadieses anhaftet, auch angefeuert durch den Film "Into the Wild”:
"Some people think that the influx from "Into the Wild” - that’s where ‘the last free place’ entered the public consciousness.”
"Some people think that the influx from "Into the Wild” - that’s where ‘the last free place’ entered the public consciousness.”
Damals ist Slab City erstmals ins öffentliche Bewußtsein gerückt, erzählt Bill. In dem Film geht es um die wahre Geschichte von Christopher McCandless. Er war nach seinem Collegeabschluss ausgestiegen, durch die USA gezogen, starb schlussendlich in Alaska. Und auch er machte Halt in Slab City.
Total cool oder total ätzend
"Slab City ist das, was du draus machst. Es ist ein Stück dritte Welt in Amerika. Es kann total cool sein oder total ätzend, kommt drauf an, was Du magst.”
Cornelius Van-go steht hinter einem Tresen, ihre blass-braunen Haare hat sie in dünne Rastazöpfe geflochten. Sie ist vielleicht Mitte 20, hat glasige Augen, ihre Hände sind schmutzig. Als sie vor einigen Jahren herkam, hat sie die so genannte Bibliothek übernommen. 24 Stunden geöffnet, steht in roter Farbe an die Wand geschrieben. Bretter, Metallreste, alte Sessel, Planen und Plastikröhren stapeln sich draussen.
Die Bibliothek ist ein Ort mit vielen Bücherregalen, Planen bilden das Dach. "Nicht alle, die umherziehen, sind verloren”, steht auf einem Schild. Doch viele, die sich verloren fühlen in der Gesellschaft, zieht es nach Slab City. Die junge Frau sagt:
"Schon immer sind Menschen umhergezogen und haben sich irgendwo niedergelassen. Diesen Pioniergedanken tragen wir doch alle irgendwie in uns. Das kann man nicht aufhalten. Und es muss auch dafür Platz in einer Gesellschaft geben.”
Wer nach Slab City kommt, wird von einem bunten Stück Folk Art empfangen. Schon aus der Ferne leuchtet es rot, pink, gelb und lila - in großen Buchstaben prangt der Schriftzug "God is Love” an der Flanke dieses Hügels, auf dessen Spitze ein weißes Kreuz steht. Es ist der Salvation Mountain, ein Mensch-gemachter Berg mit Botschaft.
Gebaut hat ihn Leonard Knight - jahrzehntelang. Knight starb 2014, seitdem kümmern sich freiwillige Helfer um die Instandhaltung des Salvation Mountain.
Ron hat einen Wohnwagen auf dem Areal bezogen, seit Januar ist er offizieller Hauswart. Es war Liebe auf den zweiten Blick, wie er erzählt:
"Ich bin Umweltschützer. Und als ich von einem bemalten Berg hörte, standen mir die Haare zu Berge. Aber dann kamen wir hier an, verbrachten eine Nacht bei den heißen Quellen und als die Sonne aufging, sah es einfach wunderschön aus und es war um mich geschehen.”
Auch Ron hat es aus finanziellen Gründen hierher verschlagen. Eine Freundin erzählte ihm von Slab City, dass man hier umsonst leben könne.
"She’s like: camp for free, stap wasting your money - I’m like, ok, I’m down.”
Ron nahm sich einen Monat Zeit, um sein Camp zu errichten. Doch immer häufiger zog es ihn zum Salvation Mountain, er besserte aus, malte an, packte zu. Nun ist daraus eine Vollzeitbeschäftigung geworden, ohne Stechuhr, Vorarbeiter und Lohnzettel.
Farben der Hoffnung
Ron will das Werk von Leonard Knight bewahren. Knight kam 1984 in die Wüste. Nach einem gescheiterten Experiment mit einem Heißluftballon hatte er die Idee für den Berg. Er begann, Heuballen und Autoreifen zu stapeln, beschmierte alles mit Lehm und beschichtete das Ganze mit Farbe. Immer und immer wieder.
Es sind Farben der Hoffnung, der bunte Hügel strahlt Optimismus aus. Über drei Jahrzehnte wuchs der Salvation Mountain, Knight lebte daneben mit Katze in einem kleinen Truck. Sein Baumaterial sammelte er sich zusammen, ein steter Strom von gespendeten Farbtöpfen hielt seine Arbeit am Laufen, erzählt Ron.
"Er nutze Holz, Äste, Telefonmasten und Bolzen - was auch immer er finden konnte. Und wenn eine Wand hoch genug war, wurde sie mit Lehm verputzt, nachdem der ausgehärtet war, bemalte er die Wand und kletterte rauf und baute weiter.”
Er schuf Bögen aus großen Ästen, baute eine Art Tipi, das er von innen mit Bildern von Blumen und Vögeln dekorierte. Und immer wieder tauchen die Worte ‘Liebe’ und ‘Gott’ auf. Leonard Knight war ein Einzelgänger, besessen von seiner Idee, der Liebe Gottes ein Denkmal zu setzen. Auch er taucht in dem Film "Into the Wild” auf und wird gefragt, ob er an Liebe glaube:
"You really believe in love then? Yeah, totally. And this is a story that is staggering to everybody in the whole world, that god really loves us. A lot.”
"Ja,” sagt der alte Mann mit sonnengegerbtem Gesicht voller Inbrunst - "Gott liebt uns, sehr”. Er wollte mit einfachen Mitteln etwas schaffen, das Menschen überwältigt.
"Man muss das mal gesehen haben"
Isabel stammt aus Brasilien, lebt seit einigen Jahren in den USA. Sie ist zum ersten Mal am Salvation Mountain:
"Ich habe Bilder im Netz gesehen. Heute hatten wir einen freien Tag und haben uns entschieden, uns das mal anzuschauen. Die Bilder sind kein Vergleich - man muss das mal gesehen haben.”
Der Salvation Mountain ist wohl eine der ungewöhnlichsten Touristenattraktionen in Kalifornien, rund 2000 Menschen kommen jede Woche, erzählt Ron.
Die vielen Besucher sind aber auch eine Gefahr für das Kunstobjekt. Sandstürme, wolkenbruchartiger Regen im Winter und die unerträgliche Hitze lassen die Oberfläche des Berges porös werden. Risse ziehen sich wie feine Adern durch die Farbe.
Besucher müssen auf einem gekennzeichneten Weg bleiben, auch in japanisch wird auf selbstgemalten Schildern darauf hingewiesen. Das Wichtigste sei, die Oberfläche dicht zu halten, erzählt Ron, so dass Regen nicht viel Schaden anrichten könne :
"... biggest thing, most important thing is to seal the outside structure and the top rim of this so when rains do come it stays good.”
Wer will, kann eine kleine Spende hierlassen. Und jeder ist eingeladen mitzuhelfen, den Pinsel in die Hand zu nehmen und seiner Botschaft eine Frischzellenkur zu verpassen - natürlich nur unter Anleitung von Ron, der weiß, welche Stelle eine frische Schicht Farbe am Nötigsten hat. Gott ist Liebe, sagt Ron, das ist die Botschaft, der sich Leonard Knight verschrieben hatte.
"The biggest thing of all of this here is Leonard’s message. That God is Love.”
Sehen die Bewohner von Slab City diese Botschaft überhaupt noch? Oder gehört sie zum gelblich-trockenen Landschaftsbild genauso wie vor sich hin flatternde Plastiktüten und karge Sträuche? Wer sich für ein Leben in Slab City entscheidet, existiert häufig ohnehin schon am Rand: finanzielle oder rechtliche Schwierigkeiten, Arbeits- und Obdachlosigkeit, der Drogenkonsum ist hoch.
Hier kann man einfach herkommen und sich auf einem Flecken niederlassen, wird erstmal akzeptiert. Doch Cornelius Van-go gibt zu bedenken:
"Jeder kümmert sich am Ende um sich selbst. Manche wollen alleine sein, andere brauchen jemand anderen um überleben zu können. Aber sobald der Sommer kommt, kann man sich nur noch um sich selbst kümmern.”
Keine harten Drogen, Marihuana ist ok.
Die Bewohnerzahl schwankt: den Sommer halten rund 150 Hartgesottene aus, wenn das Thermometer schon mal 49 Grad Celsius zeigt. Erst, wer einen Sommer hier überstanden hat, darf sich offiziell ‘slabber’ nennen. Im Winter steigt die Zahl jener, die die kalte Jahreszeit im warmen Kalifornien verbringen möchten, auf bis zu 1500. Es gibt Pokerrunden, Musikabende, Feiern am Feuer.
Slab City hat verschiedene Camps, also Stadtteile, ein Internetcafe, inzwischen sogar ein Hostel. Selbst auf der Vermietungs-Plattform Airbnb finden sich Angebote, in Slab City in einem Wohnwagen zu übernachten: "Einfaches Leben. Plumpsklo, Lagerfeuerstätte, Strom und Internet. Keine harten Drogen, Marihuana ist ok.” - heißt es in dem Angebot.
Für Bill, der seit 20 Jahren hier lebt, klares Zeichen, dass selbst ein Ort wie Slab City nicht vor Gentrifizierung geschützt ist.
"Gentrification of a 3rd world town, man, but it’s real. Even improvements at that level have a loss of something.”
Selbst an einem Ort wie diesem sorgt der Fortschritt bei einigen zu Verlustgefühl bei anderen, sagt Bill. Er kommt mit seiner kleinen Rente hier über die Runden, ist Mitglied in einer Organisation, die versucht Geld zusammenzutrommeln um das Land, auf dem Slab City steht, zu kaufen. Ein Vorhaben, das nicht überall auf Verständnis stößt. Die Angst, vertrieben zu werden, ist groß.
"Was ich den Leuten klarmachen will: wir wollen alle, dass Slab City weiterhin existiert. Ich glaube aber, dass wir dafür etwas tun müssen.”
Doch selbst wenn sie es schaffen, das Areal zu kaufen - es gehört Kalifornien- beginnen die Probleme erst richtig, weiß Bill.
"Nehmen wir mal an, dass wir Land bekommen, kriegen sie uns dran wegen fehlender Abwasserentsorgung und weil hier massenhaft gegen Bauverordnungen verstoßen wird. Das lässt sich allerdings leicht lösen.”
Was er meint: Wohnwagen sind keine Häuser, Bretterbuden könnten auseinander genommen werden. Klar ist: Slab City würde sich verändern, Freigeister müssten sich mit Vorschriften anfreunden und das schürt die Angst, dass der Ort sich zum Nachteil verändern würde.
"The last free place on earth"
Regelmäßig steht Bill auf der Bühne in Slab City, er hat The Range gegründet, eine Art Freiluftbühne. Lichterketten sind gespannt, Sofas stehen an der Tanzfläche. Hier kommen die Bewohner zusammen, feiern und entspannen sich.
"The last free place on earth” - der letzte freie Ort der Welt wird Slab City genannt. Es bedeutet auch: hier kostets nichts. Doch Bill sagt: umsonst gibts hier gar nichts. Du kannst umsonst existieren und atmen, sonst gar nichts.
"You don’t get anything for free. You can just exist for free - that’s the only thing that’s free in the last free place is your existence. You can breath the air, you know?”
Und doch hofft er, bis ans Ende seines Lebens hier bleiben zu können.