"Amuse-bouche" im Tinguely Museum in Basel
Die Ausstellung wird bis zum 17. Mai 2020 gezeigt.
Pizza essen im Umami-Raum
05:32 Minuten
Auch das Erleben von Kunst kann durch den Magen gehen - oder zumindest über die Zunge. Geschmack pur wird in der Ausstellung "Amuse-bouche" in Basel präsentiert. Das Museum Tinguely macht dabei ernst mit der Erprobung der Sinne.
Süß, sauer, bitter, salzig, umami – das sind die Ordnungskategorien der verblüffenden Ausstellung "Amuse-bouche" im Basler Museum Tinguely. Wobei umami, eine 1908 von einem japanischen Wissenschaftler geprägte Bezeichnung, so etwas meint wie "herzhaft-würzig".
Herzhaft, das ist zweifellos die richtige Bezeichnung für die fotografierten Szenerien von Fischli/Weiss, in denen Mortadellascheiben oder Fleischwürste in grässliche Unfälle verwickelt werden. Bei Joseph Beuys wird es schon philosophischer: Er bindet eine Maggi-Flasche an Immanuel Kants "Kritik der reinen Vernunft" und nennt das Ganze "Ich kenne kein Weekend".
"Ich habe hier in dem Umami-Raum auch eine Arbeit der Künstlerin Anca Munteanu Rimnic, die ursprünglich aus Rumänien stammt. Diese Arbeit heißt 'Pizza', das ist eine Soundarbeit, da sieht man nichts, aber man hört nur, wie, das ist die Künstlerin selbst, wie sie eine vollständige italienische Speisekarte herunterzitiert. Und relativ verzweifelt und hungrig hört sich das an", sagt Kuratorin Annja Müller-Alsbach.
Eine Scheibe aus Zucker
Kunsterfahrung mit der Zunge? Ein Video der australischen Künstlerin Elisabeth Willing geht der Sache auf den Grund. Man sieht sie hinter einer gewellten Scheibe, die sie unermüdlich ableckt. Irgendwann hat sie damit ein Loch geschaffen, dann beißt sie, gelegentlich mit schmerzverzerrtem Gesicht, Splitter aus der Scheibe, die sich als Zuckerprodukt erweist.
Nun könnte man sagen: Okay, auch dieses Video bewegt sich auf der Ebene der Metapher. Was die Betrachter angeht, so ist dann doch das Sehen entscheidend beim Genießen dieser Kunst.
Aber das Museum Tinguely macht ernst mit der Erprobung des Geschmacksinns. Auf einer Wand von 22 Metern Länge hat Elisabeth Willing Reihen von weißen Knöpfen installiert, die sich bei genauer Betrachtung als Pfeffernüsse, angeklebt mit Zuckerguss, entpuppen. Freigegeben zum Knabbern. Annja Müller-Alsbach:
"Es sind sehr geometrisch aufgebaute Raster, die sie verwendet, mit verschiedenen Lebensmitteln. Die sind dazu gedacht, dass sie auch konsumiert werden können. Aber sie müssen nicht konsumiert werden. Sie können sich vorstellen, mit der Zeit, je mehr Leute daran knabbern, an diesen Lebkuchen, es verändert sich die Wand, die Reste des braunen Lebkuchens verbleiben dann an der Wand. Und es wird auch Leute geben, die sich dann mehr und mehr ekeln. Damit spielt die Künstlerin auch."
Das Auge isst doch mit
Die Ausstellung "Amuse-bouche" balanciert auf sehr gelungene Weise zwischen Immersion und kunsthistorischer Seriosität, zwischen Metapher und Zungenerfahrung. Da gibt es das Schachbrettobjekt mit gebackener Frauenfigur von Meret Oppenheim - ironischer Gruß an Marcel Duchamp - oder die sogenannten Fallenbilder von Daniel Spoerri, der die Reste von Mahlzeiten auf kleine Platten aufgeleimt hat und sie in vertikaler Position präsentiert.
Zugleich lässt es sich der 89-jährige Künstler aber nicht nehmen, im Rahmen des umfangreichen Performanceprogramms, ein Eat-Art-Experiment anzubieten: Geschmack pur. Und da geht es wohl auch um die Frage, ob das Auge mitisst? Annja Müller-Alsbach:
"Dieses Projekt 'Nur Geschmack anstatt Essen' – da geht es darum, dass er kein Bankett veranstaltet, sondern er den Leuten ein viergängiges Menü in einfarbiger Würfelform serviert. Das sind kleine Würfel, Pyramiden, die alle anthrazit, sehr dunkel eingefärbt sind. Die Bestandteile des Menüs muss derjenige, der das isst, erraten oder erschmecken".
Renaissance der Eat-Art
Warum erlebt nach dem Surrealismus und nach den 1960er-Jahren die Eat-Art, das Spiel mit Nahrungsmitteln, mit dem Geschmackssinn wieder eine so große Renaissance? Der Film des Nigerianers Emeka Ogboh, der sein selbstgebrautes Schwarzbier "Sufferhead" zwei Schweizer Wanderern serviert, die auf einer urigen Hütte in eine ausgelassene Fondueparty dunkelhäutiger Menschen platzen, gibt eine mögliche Antwort: Die Weltsicht hat offenbar viel mit Geschmacksurteilen zu tun. Beim gemeinsamen Essen lässt sich die Diskussion über Rassismus, Migranten und migrantische Nahrungsmittel vielleicht entspannter angehen. Ein Erfahrung, die auf dem Theater schon länger erprobt wird.
"Dieses Crossover, dieses Zusammenkommen, diese Assimilation und zu etwas Neuem werden – das ist vielleicht das Ziel", sagt Müller-Alsbach. Mit "Amuse-bouche" ist dem Tinguely-Museum eine erstaunlich substanzielle Ausstellung gelungen - weit mehr als ein "Appetithäppchen".