Die Ausstellung "Brennender Stoff. Deutsche Mode jüdischer Konfektionäre vom Hausvogteiplatz", konzipiert von Studierenden der Humboldt-Universität in Berlin, ist noch bis zum 31. Oktober im Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz zu sehen.
Wie die Nazis den Juden die Mode nahmen
Als die Nationalsozialisten jüdische Kultur zerstörten, verbrannten sie neben Büchern auch Stoffe. Denn jüdische Schneider hatten Berlin einst zu einer Modemetropole gemacht. Daran erinnert nun die Ausstellung "Brennender Stoff".
34, 40, 46, M, L oder XL – auch wenn wir uns manchmal ärgern, dass ein Kleidungsstück viel kleiner oder größer auszufallen scheint als sonst üblich, sind die Konfektionsgrößen doch vor allem eins: praktisch. Dabei waren die ersten Kleidungsstücke mit Größenangaben eine Sensation – und die kam Mitte des 19. Jahrhunderts aus Berlin.
Jüdische Kleidermacher revolutionierten die Mode
Dort arbeiteten damals häufig jüdische Kleidermacher an den neuesten Kollektionen. Und es waren auch jüdische Unternehmer, die zum ersten Mal Kleider in verschiedenen Größen auf Vorrat schneidern ließen, sogenannte Confectionees. Eine bahnbrechende Idee, sagte eine der Studentinnen, die die Ausstellung konzeptionierte, Paula Hausmann:
"Berlin und die Friedrichstraße waren immer ein Ort zum Flanieren und da haben die Menschen mit viel Geld ihre tolle Kleidung ausgetragen. Und auf einmal mit dieser revolutionären Erfindung der Kleidung von der Stange wurde dies halt der breiten Bevölkerung ermöglicht, schöne Kleidung anzulegen, bezahlbare Kleidung zu finden."
Gemeinsam mit ihren Kommilitonen des Berliner Instituts für Europäische Ethnologie hat Hausmann die Ausstellung geplant und umgesetzt. Ihr Titel: "Brennender Stoff. Deutsche Mode jüdischer Konfektionäre vom Hausvogteiplatz". Gut 20 Mäntel, Anzüge, Hüte und Abendkleider erinnern nun etwa an den jüdischen Kaufmann Valentin Mannheimer, der als Mantelkönig von Berlin Mäntel mit Konfektionen verkaufte. Die Blütezeit der Berliner Mode waren – natürlich – die 1920er-Jahre: Überall wurde es modischer, im Film, auf der Bühne, in der Berliner Nacht sowieso. Die Modebranche war einer der größten Industriezweige der Stadt.
SA-Männer sperrten Kaufhäuser ab
Allerdings schützte der Erfolg die Modebranche nicht vor dem Hass der Nationalsozialisten. Zwar machte auch die Weltwirtschaftskrise den Modeunternehmen zu schaffen. Aber: "Da 60 Prozent der Konfektionsunternehmen von Menschen jüdischer Herkunft betrieben wurden, gab es natürlich Gesetze der Nationalsozialisten, mit denen sie die Enteignungen legitimiert haben", sagt Hausmann. Die Umsätze jüdischer Schneider und Ladenbesitzer brachen ein. "1933 kam es zu großen Boykottaufrufen, SA-Männer sperrten Kaufhäuser erst ab und in der Reichspogromnacht wurden diese dann gestürmt." Das habe den Industriezweig enorm eingedämmt.
Firmen wurden von vermeintlich "arischen" Unternehmern übernommen, mussten zwangsverkauft oder ganz geschlossen werden. Das geschah, sagt die Dozentin Sigrid Jacobeit, indem peu à peu diese Ideologie in die großen Kaufhäuser und in die kleineren Modegeschäfte gebracht worden sei. Die Nationalsozialisten hätten proklamiert, "dass wir diese Juden nicht haben wollen, Juden müssen raus, wir Germanen wollen dieses übernehmen, wir wollen deren Können übernehmen, aber wir können es viel besser". Heute würden wenige in der Branche darüber sprechen, sagt Jacobeit. Sie leitete das Seminar an der Humboldt-Universität, aus dem die Ausstellung entstand.
Modekonzerne verschweigen ihre Geschichte
Nur wenige Modeunternehmer würden heute über die Geschichte ihrer Firma reden wollen. Wer erzähle schon gerne, sagt Jacobeit, dass der Erfolg des Unternehmens darauf basiert, dass es jemand anderem weggenommen wurde. Um das Schweigen zu brechen, ist die Ausstellung nun dort, wo sich früher ein Zentrum der Berliner Modeindustrie befand: auf dem Gelände des Bundesministeriums der Justiz und für Verbraucherschutz. Dort sagte Bundesjustizministerin Katarina Barley während der Eröffnung:
"In meinem Ministerium, im Ministerium der Justiz und für Verbraucherschutz, in dem Gebäude waren damals fast 60 jüdische Unternehmen angesiedelt, Modeunternehmen, zum Teil weltbekannt, und dort wurden dann die Stoffe aus dem Fenster geworfen, von den Nazis, auf dem Hausvogteiplatz gebracht und dort verbrannt. Wir wollen zum einen erinnern an die Menschen, die davon betroffen waren, aber wir wollen natürlich auch ein Zeichen setzen dafür, dass das nie wieder passiert. Denn gerade jetzt wird der Antisemitismus in Deutschland wieder stärker und die Angriffe auf Demokratie und Rechtsstaat wieder stärker und das soll auch ein ganz klares Zeichen sein, dass Antisemitismus in Deutschland nie wieder Platz haben darf."
Erinnerungsarbeit wird mit der Zeit immer schwieriger. Die betroffenen Menschen leben schon nicht mehr. In den Firmen, die damals von den Enteignungen profitieren, sind längst andere in den Chefetagen, die mit diesem Unrecht nichts mehr zu tun haben. Und trotzdem muss an die Taten erinnert werden. Die Ausstellung ist ein erster Schritt.