"Caricatures. Spott und Humor in Frankreich von 1700 bis in die Gegenwart" ist bis zum 6.11.2016 im Wilhelm-Busch-Museum in Hannover zu sehen.
Bissige Satire und Gemeinheiten aus Frankreich
Zeichnungen, Lithografien und Radierungen: Anschaulich präsentiert die Ausstellung "Caricatures" in Hannover die Kulturgeschichte der Bildsatire in Frankreich. Die Schau der endet mit Arbeiten der Karikaturisten aus dem Kreis der Zeitschrift "Charlie Hebdo" – von denen mehrere beim Anschlag in Paris im Januar 2015 ums Leben kamen.
Gisela Vetter-Liebenow: "Es sind eben auch Arbeiten dabei von den Zeichnern, die ums Leben gekommen sind wie Charb oder Honoré. Wir zeigen die, wie man sich das in der Redaktion vorstellen muss, dass da die Zeichnungen einfach an der Wand hingen und dann wird ausgewählt, was kommt in das Heft hinein: die französische Innenpolitik, die katholische Kirche, der Umgang mit Migranten?"
Sehr pietätvoll, so warnt Museumsdirektorin Gisela Vetter-Liebenow, zeichnen sie bei "Charlie Hebdo" auch heute nicht. Ein aktuelles Blatt zeigt den toten Flüchtlingsjungen am türkischen Strand, darüber die McDonalds-Werbung "Zwei Kindermenüs zum Preis von einem", dann der Titel "Si près du But", "So kurz vorm Ziel". Das ist nicht nur "bissige Gesellschaftssatire", wie es im informativen Katalog der Ausstellung in Hannover heißt, das ist fürchterlich roh, geradezu gemein – und sehr Französisch. Beweise dafür gibt es einige – ausgerechnet in einer mit grafischen Preziosen gespickten Historienschau.
Die Queen mit nacktem Hintern
Wie etwa das politische Personal immer direkter angegangen wird: Um 1800 werden die Napoleon unterlegenen Feldherren und Schlachtenlenker als Wetterfahnen eher symbolisch verspottet – heutzutage verwandelt sich Sarkozy "vom Kakadu zum erektilen Wiedehopf", Dominique Strauss-Kahn läuft mit herabhängendem Penis auf. Was tut's? Über so etwas hat man sich zuletzt 1902 aufgeregt, da brachte die Zeitschrift "Assiette du Beurre" Pressezeichnungen aus einem Konzentrationslager im Burenkrieg – die interessierten kaum jemanden – und daneben den englischen König mit nacktem Hintern. Das war der Skandal – mit diplomatischen Verwicklungen.
Gisela Vetter-Liebenow: "Wir haben ja die Reaktion darauf, bei dem Brexit dann Charlie-Hebdo-Ausgabe mit der englischen Königin, die genau diese gleiche Position einnimmt mit nacktem Hintern: Brexit!"
So schaut der kreative Umgang aus mit der Kulturgeschichte. Was dabei allerdings fehlt: Die blutsaufenden Ungeheuer, mit denen französische Karikaturisten unter Napoleon die Umwertung der Revolution betrieben. Fortan war ihre Verkörperung der pöbelhafte, messerwetzende Terrorist – obwohl die Gewalttaten im Gegensatz zu heutigen Dschihad-Attentätern doch extrem politisch motiviert waren.
Ein Gassenjunge auf dem Thron
Solchen Widersprüchen stellte sich dann aber 1848, bei der nächsten Revolution, Daumier mit seiner Lithographie eines Pariser Gassenjungen, der auf dem leeren Thron in den Tuilerien lümmelt. Weder glorifizierter Revolutionsheld noch verabscheuungswürdiger Königsmörder, einfach nur ein ungezogenes Gör:
Gisela Vetter-Liebenow: "Durchaus zwiespältig, er feiert diese Aktion nicht. Die Geister, die da gerufen wurden sind ihm schon wieder suspekt geworden. Wie er also Ereignisse nicht einfach illustriert, sondern so kommentiert, dass sie in ihrer historischen Bedeutung unglaublich spannend und doch auch weitschauend sind."
Dieser Weitblick wird nicht gemindert durch Typisierungen. Man könnte auch sagen: Klischees. Um 1800 schaut der Premierminister des verfeindeten England mit irrsinnigem Blick und gebleckten Zähnen über den Kanal. Und in Berlin plustern sich prächtig uniformierte Angeber mächtig auf, bevor sie die nächste Schlacht verlieren. Das sind ganz wunderbare, anspielungsreiche Blätter – die es verdienen, gehörig, also mehrmals angeschaut, geradezu gelesen zu werden. Nicht auf Französisch, sondern als Dokumente einer europäischen Kulturgeschichte – und als unerwartete Verständigungshilfe:
Gisela Vetter-Liebenow: "England, Deutschland, Frankreich – wenn man nur die drei Länder nimmt: Jedes hat eine eigene Karikaturentradition, die bis heute nachwirkt. Und die auch viel über die Presselandschaft sagt: Wie gehe ich um mit Themen, worüber lache ich? Wenn ich weiß, worüber ich lache, verstehe ich auch den anderen mehr."
Zwiespältige Funktion in der Öffentlichkeit
Wie zwiespältig diese öffentlichkeitswirksame Funktion der Karikatur jüngst in Frankreich ausfiel, das erklärt der ägyptisch-deutsche Politologe Asiem El Difraoui. Nicht jeder, der mit der Parole "Ich bin Charlie" gegen die islamistischen Anschläge protestierte, identifizierte sich mit dem Pariser Blatt:
Asiem El Difraoui: "Viele Leute fühlten sich eben nicht Charlie. Sie konnten mit dieser Form von 'wir greifen alles an' nicht viel anfangen, weil es auch gar nicht so kritische Leser sind, zum Teil sogar rechtsgerichtete Leser. Und das sind alles Fragen, wo man sich überlegen muss, hat sich das Blatt nicht überholt und was gibt es für andere Formen?"
Diese neuen Formen finden sich womöglich auch am Ursprung, in den Karikaturen des 18. Jahrhunderts. Denn damals schon stand im Fokus, was El Difraoui – nachdem er 2006 noch von der Veröffentlichung der Mohammed-Karikaturen abgeraten hatte – von der Bildsatire einfordert:
Asiem El Difraoui: "Heute würde ich das nach diesen schlimmen Anschlägen ganz anders sehen: ich bin überhaupt dafür, dass diese extremistischen Islamisten provoziert werden müssen bis zum geht nicht mehr. Und dass auch die muslimische Welt dazu gebracht werden muss, eine ganz massive Debatte über gewisse Sachen zu führen, gerade auch in Sachen Pressefreiheit."