Ausstellung

Das Leben eines Provokateurs

Der italienische Regisseur Pier Paolo Pasolini bei Dreharbeiten 1962 in Rom
Der italienische Regisseur Pier Paolo Pasolini bei Dreharbeiten 1962 in Rom © dpa / picture alliance / UPI
Von Laf Überland |
Polarisieren wollte der italienische Filmemacher und Publizist Pier Paolo Pasolini. Dafür wurde er geliebt und gehasst. Eine Ausstellung im Martin-Gropius-Bau blickt auf einen der bedeutendsten Intellektuellen der Nachkriegszeit.
“Ich floh mit meiner Mutter, einem Koffer und ein wenig Schmuck, der sich als falsch herausstellte.“

So fängt sie an, die Ausstellung "Pasolini Roma". Am 28. Januar 1950 kommt Pier Paolo Pasolini zusammen mit seiner Mutter am römischen Hauptbahnhof an. Sie haben ihr Haus am frühen Morgen verlassen, als der Vater noch schlief. Heimlich. Pasolini ist 28 Jahre alt und hat seine Stelle als Dorfschullehrer verloren, weil er Sex mit Schülern nicht ausschloss; deshalb flog er aus der Schule - und aus der Kommunistischen Partei.

“Pasolini Roma“, diese Ausstellung ist aufgebaut wie ein Roman, mit sechs Kapiteln für Pasolinis Entwicklungsabschnitte in Rom - der Stadt, die bei allen Auslandsreisen doch sein eigentlicher Kosmos ist.
Analytiker der italienischen Gesellschaft
Vom Zentrum Roms zieht er ins Armenviertel, in ein Haus ohne Dach und Verputz, wie Pier Paolo später anmerkt. Er kriegt einen schlecht bezahlten Job als Lehrer im Umland, aber er blüht auf in der Lebendigkeit der armen Leute - mit ihrem eigenen Dialekt, ihrem kleinkriminellen Überlebenswillen, ihrer Sexualität und ihrer Fröhlichkeit. Dass er schwul ist, stört hier keinen. Und so wird Pier Paolo Pasolini, der leise Radikale geboren.
Ein naiver Intellektueller, der sich an seinem Land entrüstet - und den Schmerz nur durch glasklare Analyse der gesellschaftlichen Zustände in erträgliche Ausdrucksformen umleitet: in Gedichte, Romane, Drehbücher für andere Leute, aber auch kritische Essays zur politischen und kulturellen Lage. Er zeichnete auch, malte, analysierte Architektur - und vor allem drehte er ja diese Filme, deren archaische Moral jedes Mal die Normen des gesellschaftlichen Konsens sprengte: Accatone, Mamma Roma König Ödipus und Medea – und schließlich mysteriös verästelte Sex-Gewaltorgien.
In die Welt Pasolinis eintauchen

In der Ausstellung sind die Ausschnitte aus seinen Kinofilmen beinahe nur dekorative Elemente – wenn auch äußerst liebevoll eingefügt: von innen auf die Windschutzscheibe eines kleinen alten Fiat projiziert zum Beispiel, wie Pasolini mit ihm 1963 durch die Gegend fuhr, um ganz normale Leute über ihre Sexualität zu befragen – für einen Dokumentarfilm.

Er dreht schon mal zwei Filme gleichzeitig und montiert nebenbei auch noch aus 90.000 Metern Wochenschau-Material einen delirierenden Bilderstrom aus Rassismus und Lynchjustiz, Ungarn-Aufstand und Algerienkrieg, aus der Krönung Elisabeths II. und dem Tod von Marilyn Monroe. Zu dieser Lava ließ er einen Kommentar in Versform sprechen.

Aus der Welt der Antike und der Welt der Zukunft / überlebte allein die Schönheit, und du, / arme kleine Schwester, / die den großen Brüdern hinterherläuft, / mit ihnen weinte und lacht, um sie nachzumachen, / Du, kleine Schwester, / trugst diese Schönheit demütig am Leib….

Solche Gedichte gibt es auch zu sehen in der Ausstellung, in die man mit viel Zeit eintauchen muss: in die Unmenge aus erhellenden Interviews, protokollierten Auseinandersetzungen mit seinen Schauspielern, Ausschnitten aus einer Fernsehsendung, in der er das Fernsehen angreift: und Tagebucheinträge, Briefe und viele wunderbare Fotos von diesem staunenden Lyriker, schwärmerisch Liebenden, diesem politischen Querulanten und Kämpfer in 33 Prozessen, die ihm im Laufe der Jahre angehängt wurden für sein maßloses, schockierendes Werk.
Mord an Pasolini bleibt ungeklärt
Die Popkultur hat diesen dunkel schillernden Künstler an sich vorbeiziehen lassen, weil er nicht passiv konsumierbar ist. Die Popkultur: jene Kultur, die zuletzt im Martin-Gropius-Bau das Popgesamtkunstwerk David Bowie mit einer großen Ausstellung feierte – und der vor allem zum Provokateur geworden war, weil er sich androgyn schminkte. Pier Paolo Pasolini wurde zum Provokateur, weil er immer – irgendwie – die Wahrheit sagte.

Vergesst unverzüglich die großen Siege und fahrt fort, unerschütterlich, hartnäckig, ewig in Opposition, zu fordern: fahrt fort, euch mit dem Andersartigen zu identifizieren, Skandal zu machen, zu lästern!

Das schrieb Pier Paolo Pasolini wenige Stunden vor seinem Tod: Er hatte schon lange an einem monumentalen Roman gearbeitet, in dem es unter anderem um die Verwicklungen des italienischen Geheimdienstes in schwere terroristische Anschläge ging. Dummerweise hatte er öffentlich gewettert, er kenne die Namen der Verantwortlichen. In der Nacht vom 1. auf den 2. November 1975 fand man am Strand von Ostia seine verstümmelte Leiche. Der Mörder war angeblich ein Stricher.
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