"Das Reichsparteitagsgelände im Krieg"
Ausstellung bis zum 2. Februar 2020 im Dokumentationszentrum Reichsparteitagsgelände Nürnberg
Den Opfern eine Stimme geben
05:36 Minuten
Wo die Nazis ihre Parteitage abhielten, wurde mit Beginn des Zweiten Weltkrieges ein Arbeitslager errichtet. Dort kamen Tausende Gefangene ums Leben. Mit diesem Thema setzt sich nun erstmals eine Ausstellung in Nürnberg auseinander.
Das ehemalige Nürnberger Reichsparteitagsgelände kämpft mit dem Verfall. Rund 85 Millionen Euro sind nötig, um der Nachwelt die allmählich zerbröselnden Kulissen der Gewalt zu erhalten: ein einmaliger Lernort der Geschichte. Doch in der aktuellen Ausstellung "Das Reichsparteitagsgelände im Krieg" des Dokumentationszentrums beschäftigt man sich nicht mit dem Pro und Contra der Restaurierung von Nazibauten, sondern geht der weitgehend unbekannt gebliebenen Geschichte des Reichsparteitagsgeländes im Zweiten Weltkrieg nach. Thomas Senne hat für Deutschlandfunk Kultur die Ausstellung besucht.
Vom Aufmarschplatz zum Arbeitslager
Wie in den Jahren zuvor sollte er eigentlich am 2. September 1939 in Nürnberg wieder über die Bühne gehen: der Reichsparteitag der NSDAP mit Adolf Hitler als Hauptredner. Doch weil mit dem Überfall Deutschlands auf Polen nur einen Tag vorher der Zweite Weltkrieg begonnen hatte, war das braune Massenspektakel kurzerhand abgesagt worden.
Bald darauf wurde im südlichen Areal des riesigen Geländes, wo früher Parteitagsteilnehmer in Zeltstädten untergebracht waren, ein Internierungslager für Kriegsgefangene und Zwangsarbeiter errichtet. Ausstellungskuratorin Hanne Leßau:
"Und in diesem Lagerkomplex sind, nach defensiven Schätzungen, mehr als hunderttausend Kriegsgefangene und Zivilisten untergebracht worden, die dort unter sehr unterschiedlichen Bedingungen leben mussten. Die meisten von ihnen mussten in den Arbeitseinsatz in der Region. Mehrere Tausende aber sind auch auf dem Gelände selbst gestorben."
Die Internierten starben an Mangelernährung, Kälte oder Krankheiten wie Typhus, die durch die unzureichende Unterbringung in Zelten oder später Baracken begünstigt wurden. Ein Thema, sagt die Kuratorin Hanne Leßau, das in der Ausstellung nun erstmals mit Hilfe von Dokumenten wie amtlichen Schreiben, Briefen, Tagebüchern, Skizzen oder Fotografien ausführlich gewürdigt wird.
"Es gibt natürlich sehr unterschiedliche Vorgehensweisen, je nachdem von welcher Nationalität die Gefangenen waren, aus welchem Land sie stammten, in welchem militärischen Rang sie waren. Offiziere hat man anders behandelt als einfache Soldaten."
Tod durch Hinrichtungen und Mangelernährung
Denn Offiziere mussten nicht arbeiten und konnten sich die Zeit beim Kartenspiel vertreiben. Jetzt ausgewertete Dokumente belegen, dass allerdings russische Kriegsgefangene, die in einem eigenen Lager untergebracht waren, oft systematisch für Hinrichtungen aussortiert wurden: Nürnberg als Tatort nationalsozialistischer Gewalt.
"Es hat vor allen Dingen sehr viele Tote durch Mangelversorgung gegeben. Man hat sie medizinisch nicht versorgt. Man hat ihnen zu wenig zu essen gegeben. Sie mussten hart arbeiten und waren in Zelten untergebracht. Das sind die höchsten Todeszahlen. Es gab aber eben auch 'Aussonderungen', wie das heißt. Das ist ein Mordprogramm, was vor allen 1941 und 1942 an sowjetischen Kriegsgefangenen durchgeführt wurde. Da wurden von Gestapo, Wehrmacht und SS sowjetische Kriegsgefangene nach relativ vagen Kriterien ausgewählt und in Konzentrationslager überstellt. Im Fall von Nürnberg war das das Konzentrationslager Dachau."
"Es hat vor allen Dingen sehr viele Tote durch Mangelversorgung gegeben. Man hat sie medizinisch nicht versorgt. Man hat ihnen zu wenig zu essen gegeben. Sie mussten hart arbeiten und waren in Zelten untergebracht. Das sind die höchsten Todeszahlen. Es gab aber eben auch 'Aussonderungen', wie das heißt. Das ist ein Mordprogramm, was vor allen 1941 und 1942 an sowjetischen Kriegsgefangenen durchgeführt wurde. Da wurden von Gestapo, Wehrmacht und SS sowjetische Kriegsgefangene nach relativ vagen Kriterien ausgewählt und in Konzentrationslager überstellt. Im Fall von Nürnberg war das das Konzentrationslager Dachau."
Einfachheit gegen die Wucht der Architektur
In Dachau wurden von Erschießungskommandos Tausende liquidiert. Bewusst wurden den beiden Schauräumen, zwei unvollendet gebliebenen Sälen mit wuchtigen Steinsäulen, etliche fragile temporäre Holzkonstruktionen entgegengestellt: einfache, asymmetrisch angeordnete Pulte, Infotafeln und gelbe Stehvitrinen mit raren Leitobjekten – als Gegengewicht zur monströsen Herrschaftsarchitektur. Ein Konzept, das funktioniert, auch wenn die gezeigte Text- und Bilderflut von den Besuchern vielleicht etwas zu viel Stehvermögen abverlangt.
Diverse Audiostationen mit nachgesprochenen Originalzitaten von Gefangenen geben den anonymen Opfern wieder eine Stimme. Fotografien und topografische Installationen vermitteln einen Eindruck von dem durch Schäferhundpatroullien bewachten Internierungsgelände mit seinen Holzbaracken, doppelten Stacheldrahtzäunen, Kommandotürmen und seiner lagereigenen Desinfektionsanstalt.
Unbeteiligte Besucher informiert die sehenswerte Geschichtsschau eindrucksvoll über ein vergessenes Kapitel des NS-Terrorregimes. Für die Angehörigen der Opfer aber ist die Ausstellung mehr: ein Ort der Erinnerung und Trauer.